25
Dez
2005

IDOMENEO

Zum Mozart-Jahr hier ein Artikel, den ich für das Programmheft meiner IDOMENEO-Aufführung in München (http://www.staatstheater-am-gaertnerplatz.de) schrieb. Sie wird unterdessen von meinem Schüler Oleg Ptashikow dirigiert; nächste Aufführung am 27.01.06.

Ich glaube, im alten 20six-Blog hatte ich den Text auch schon mal stehen. Sorry für die Wiederholung aus aktuellem Anlaß. Die Notenbeispiele muß frau/man sich leider ergänzen, aber das Stück kennt ja eh jeder... - es ist eines der genialsten der Musikgeschichte.


IDOMENEO

- ein Held wird entwaffnet


Der Beginn der Ouvertüre setzt uns – dem Gesetz der Seria folgend – klar in Kenntnis: hier ist von einem König die Rede:

NB 1 Ouvertüren-Beginn


In der für solche Zwecke vorgesehenen Tonart D-dur führt eine martialische Fanfare aufwärts, selbstverständlich mit Trompeten und Pauken, den Insignien königlicher Macht. Doch weder läßt sich dieses aufstrebende Motiv als "Thema" im eigentlichen Sinne ansprechen noch paßt es in eine typisch klassische Phrasierung (was bereits Stefan Kunze beschrieb): mit unüblichen 7 Takten weist es eine merkwürdige Gliederung auf, die in eben jenem 7. Takt auch noch völlig ins Schleudern gerät – oder besser, vom Sturm erfaßt wird. Denn was nun folgt, ist nichts anderes als die musikalisch und formal großartig gefaßte Darstellung dessen, was vor der eigentlichen Opernhandlung auf dem Meere stattfand: Idomeneo, der König, der Krieger (!), gerät mit seinem großartigen D-dur ins Strudeln, wird stürmisch durch Motive und Tonarten gepeitscht, die seinem Stolz, seiner aufstrebenden Sicherheit entgegenstehen, doch ungleich tiefer loten.

NB 2 Seitenthema der Ouvertüre

Nicht ins dominantische A-dur, sondern in dessen Moll-Variante ist das zweite Thema getaucht, eingeleitet von einem "Gang von gewagter Anmut", der sich "wie ein plötzlich durchbrechender Lichtstrahl" ins Geschehen einmischt, aber nicht zum heiteren A-dur führt, sondern zu einer "Seelenlandschaft", die Kunze zutreffend als "leichtfüßig und doch von bohrendem Leid durchsetzt" charakterisiert..

Interessant ist der Fortgang des sinfonisch angelegten Stückes – sieht man von seiner schieren Schönheit ab - vor allem deshalb, weil eben jenes Seitenthema nicht mehr wiederkehrt. An seiner Stelle erklingen in der Reprise Abspaltungen sämtlicher anderer Motive der Ouvertüre, die von 2 Varianten des punktierten Hauptmotivs kontrapunktiert werden: der piano vorgebrachten Seufzer-Variante antwortet stets eine harsche und scharf punktierte im forte, wobei mehrere Tonarten im Abwärtsgang durchschritten werden, zunächst über dem Orgelpunkt A, dann über D – dem Grundton des Stückes, das an dieser Stelle zur Dominante der nächsten Szene wird, nämlich Ilias Recitativ und Arie in der Leidenstonart g-moll.
Mit diesem – musikalisch und formal motivierten, jedoch inhaltlich klar zu fassenden – Abgesang der Ouvertüre wird das Thema der Oper etabliert und vorgestellt: ein Held wird demontiert. Sein Tun hat nichts gebracht außer: Leid, viel Leid, Haß und Trauer. Denn neben Ilias Leid sollten wir Elettras Rache und Haß nicht vergessen – all dies Ergebnis einer zutiefst kriegerischen Gesellschaft.

Ilia ist die Lichtgestalt des ganzen Werkes: ihr Leid des Beginns wandelt sich über das Bekenntnis zum "neuen Vater" Idomeneo (Se il padre perdei, la patria il riposo, tu padre mi sei... – II. Akt) und ihre Zefiretti, lusinghieri (III. Akt) in das offene Liebesbekenntnis und die daraus resultierende Tat: sie fällt dem neu gewonnenen Vater in die Arme und verhindert das Entsetzliche, indem sie sich selbst als Opfer darbietet – eine Tat, zu der sich Idomeneo nicht imstande sah.

Elettra, eine Figur, deren bekanntere (und u.a. von R. Strauss vertonte) Legende vor ihrem hiesigen Erscheinen liegt, beginnt mit einer Rachearie, weiß sich im II. Akt (Idol mio) nur zu einer Liebe zu bekennen, deren Fragwürdigkeit ihr selbst sehr wohl bewußt ist und endet folgerichtig in der puren Raserei, mit der sie sozusagen die mythologische Bühne verläßt. Hat Mozart ihr deshalb ursprünglich jene furiose und großartige Arie komponiert, die dann zur Uraufführung am 29.1.1781 in München doch wieder gestrichen und durch einen kurzen Abgang ersetzt wurde?

Idomeneo selbst beginnt aufgewühlt vom abgelegten Schwur in C-dur (Vendrommi intorno, l'ombra dolente), schon jetzt verfolgt vom Schatten des Opfers, das sein eigener Sohn werden wird. Aber auch im berühmten Bravourstück Fuor del mar vermag er seine königlichen Insignien D-dur, Pauken und Trompeten nicht abzulegen. Nicht einen Augenblick ist von der Möglichkeit eines eigenen Rücktritts oder Opfers (Selbstmord?) die Rede. Erst am Ende des II. Aktes erhalten wir das eindeutige Schuldbekenntnis von ihm selbst, und gar im III. Akt erst die Namensnennung des Opfers gegenüber dem Volk.

Idamante schließlich ist mit zwei Arien im I. Akt vertreten, danach treibt er das Stück in Recitativen und vor allem als Partner weiter: er ist an allen drei Ensembles des Werkes beteiligt, am Terzett (mit Elettra und Idomeneo), am Duett (mit Ilia) und am berühmten Quartett (mit Ilia, Elettra und Idomeneo), dessen formale Struktur beinahe klassisch im Sinfonischen wurzelt, Idomeneos königliches Ouvertürenthema nach Es-dur wendet - aber in die Gegenrichtung, nach unten führt, während ein Seitenthema ihm und Ilia allein vorbehalten bleibt:

NB 3 Beginn Quartett

NB 4 Quartett, 2. Thema


Die fünfte Hauptfigur ist der Chor: in keinem anderen Werk mißt Mozart ihm eine solche Bedeutung, dramatische Kraft und ausdrucksmäßige Vielfalt zu. Zweifach geteilte Männerchöre (4-stimmig gegen 2-stimmig in Nähe und Ferne), Jubelchöre, ein zeitlupenhafter Siciliano in E-dur im II. Akt, der auf das "Winde-Terzett" der COSI verweist, schließlich die Sturmchöre in kühner Harmonik und mit dreifachen Fermaten (Poseidons/Nettunos Dreizack!) und im III. Akt das grandiose c-moll-Adagio Oh voto tremendo! sowie der groß ausgebaute Schluß.

Hinzu kommen Arbace und der Sacerdote als Gegenpole: der vertraute und (zu?) treue Freund auf der einen, der Chefideologe auf der anderen Seite.

Dies alles ist vom 24-jährigen Mozart in solcher Kühnheit entworfen und dennoch als Opera seria gedacht, daß unsere Aufführung versucht, jenen Zustand wiederherzustellen, der wahrscheinlich nie erklungen ist und nur ursprünglich in Mozarts Kopf existiert hat – gerade darin liegt der große Reiz. Während Nikolaus Harnoncourt (durchaus verständlich) die dramatische und kürzere Version der Uraufführung verteidigt, wagt unsere Aufführung den Test: was wäre, wenn Elettras große Arie doch gekommen wäre? Dann hätte Idomeneo auf alle Fälle mit Torna la pace antworten müssen! – das Stück heißt ja schließlich Idomeneo, nicht Elettra. Auch die Dreiteiligkeit des Chores Nr. 24 (Oh voto tremendo) wurde wiederhergestellt, ebenso die dreiteilige Cavatina con coro des Idomeneo im Anschluß daran.

Ein großes Problem bildet der Schluß des Werkes: Üblicherweise erklingt der marschartige Chor, oft genug sogar ohne Wiederholung – Fine. Jene kleine Coda mit fallenden (!) D-dur-Akkorden kann aber unmöglich der Schluß des Werkes sein. Das eigentliche Finale finden wir in einem groß angelegten (typisch Mannheimer, woher ja das Orchester kam) Crescendo am Ende des Balletts.
Zumindest diesen Teil als den eigentlichen Schluß anzuerkennen, war das Bemühen unserer Einstudierung. Es wird damit nicht zuletzt eine Brückenfunktion der D-dur bzw. d-moll-Teile der ganzen Oper ermöglicht, die mit der Ouvertüre beginnt, über das Intermezzo zwischen I. und II. Akt reicht, im Sturmchor am Ende des II. weitergeführt und mit dem ursprünglich geplanten Ballett instrumental zu Ende gebracht wird.

Der Bogen zur Ouvertüre ist somit wiederhergestellt, Idomeneo aber, der Held, der König und Krieger, ist entwaffnet. Sein Volk darf tanzen – oder wenigstens aufräumen, pflanzen und von vorn beginnen.
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