27
Sep
2008

Konzert in Hellerau

hellerau

Im Rahmen der Tage der zeitgenössischen Musik in Dresden habe ich kurzfristig die Leitung eines Konzertes des Ensembles Msica viva Dresden übernommen, u.a. mit "Hollywood extra" von David Sawer und der Kammersinfonie von Hanns Eisler.

Datum: 5.10.08, 20.00 Uhr im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau

Und hier noch ein interessanter Link zur Kammersinfonie als Filmmusik: die Seiten der Hanns-Eisler-Gesellschaft

Eisler1943DVD

"Mariengesänge" - a-cappella-Programm des Kammerchores der Singakademie Dresden

SAD

MARIENGESÄNGE
Chormusik a-cappella zum Thema "Maria"

Josquin Desprez Ave Maria (um 1497)
ca. 1440 – 1521
Giovanni Pierluigi da Palestrina Ave, mundi spes, Maria (ohne Angabe)
ca. 1525 – 1594
Heinrich Schütz Meine Seele erhebt den Herren
1585 – 1672 Deutsches Magnificat, 4-st. (1657)
Arvo Pärt Magnificat (1989)
*1935
Henry Purcell Magnificat (vor 1683)
(um 1659 – 1695) My soul doth magnify the Lord
Bohuslaw Martinů Jungfrau Mariens Bild (aus Vier Lieder
1890 – 1959 über Maria; 1934)
Svatý Lukaš, maléř Boží
Giuseppe Verdi Ave Maria (aus Quattro pezzi sacri 1898)
1813 – 1901
Johann Eccard Übers Gebirg Maria ging
1553 – 1611 aus "Preußische Festlieder" (1598)
(nach dem Magnificat der Maria)
Michael Praetorius Es ist ein Reis entsprungen (1609)
1571 – 1621
Johann Eccard Maria wallt zum Heiligtum
1553 – 1611 aus "Preußische Festlieder" (1598)
(nach dem Nunc dimittis des Simeon)
Heinrich Schütz Deutsches Magnificat zu acht Stimmen auf
1585 – 1672 zwei Chören (1671)


"MusikTheoLogie" ist das Motto, welches die Konzerte der Singakademie 2008 prägt: Musik, Gottesverständnis und verkündigtes oder literarisches Wort stehen im Zentrum der Betrachtung. Die Figur der Mutter Jesu Christi hat die Evangelisten und Apostel, die Liederdichter und Komponisten zu allen Zeiten zu besonders andächtigen, auch prachtvollen, stets aber vor allem eindringlichen Werken inspiriert. Ihr einen ganzen Abend zu widmen, ist eine spannende Reise durch die Geschichte von Musik, Theologie und Wort.

Ausdrucksmusik vor 500 Jahren

Im vorliegenden Programm schlagen wir einen Bogen über 5 Jahrhunderte und beginnen bei Josquin Desprez, einem franko-flämischen Komponisten der Frührenaissance. Seine vierstimmige Komposition des "Ave Maria" ist von kanonischen Imitationen geprägt und folgt strengen Kontrapunktregeln. So sind Auf- und Abwärtsbewegungen klar festgelegt, nicht zu viele Stufen in jede Richtung durfte es geben, ebenso wenig konnte bei der Aufwärtsbewegung einem großen Intervall (z.B. der Quarte) ein noch größeres folgen. Stattdessen folgt dem Sprung die Stufe oder die Gegenbewegung. Ähnlich strengen Vorgaben folgt die Handhabung der Dissonanz und ihrer Auflösung. Josquin beherrschte diese Kompositionsweise so virtuos, dass er sich zahlreicher Freiheiten bediente, die seiner Musik ein besonderes Ausdruckspotential verleihen. Luther bezeichnete sie als "vom heiligen Geist inspiriert".

Musicae princeps

Ca. 70 Jahre später greift Giovanni Pierluigi da Palestrina auf diese Kompositionstechnik zurück, verfeinert und 'glättet' sie. In seinem mittlerweile als Standardwerk geltenden Buch "Kontrapunkt" schreibt Diether de la Motte: "Palestrinas weltmännische Souveränität machte diese Sprache gerade dadurch zu einer gleichsam dialektfreien Weltsprache". Josquins ungestümer Expressionismus sei zurückgenommen – "Reife durch Zurücknahme extremer Möglichkeiten". "Ave, mundi spes, Maria" ist eine anonyme Dichtung des hohen Mittelalters, die als Sequenz sehr beliebt war. Das Konzil zu Trient hat viele der Sequenzen in das römische Missale aufgenommen, Palestrina hat sie alle achtstimmig vertont, das "Ave, mundi spes…" allerdings findet sich nicht im Messbuch. Palestrina galt als "Fürst der Musik" (Inschrift auf seinem Grab im Petersdom zu Rom) und hat im Auftrag des Konzils die Kirchenmusik reformiert. Sein kontrapunktischer Stil galt fortan als mustergültig – nicht zuletzt wurde durch sein Wirken die Kunstmusik für die Kirche erhalten.

"Zu Gottes Ehren / und Christlichen nützlichen Gebrauch"

Das 4-stimmige Magnificat von Heinrich Schütz aus dem Jahr 1657 unterscheidet sich von den Kompositionen der niederländischen und italienischen Vorgänger ganz erheblich: mit seinem deutschen Text, der z.T. homophonen Schreibweise, der klaren Struktur und Textausdeutung atmet das Werk den Geist der Reformation: Schütz will, dass der einfache Zuhörer die Botschaft des Evangeliums versteht. In der beim Erstdruck zu lesenden Vorrede von Christoph Kittel ist denn auch davon die Rede, dass diese Musik "zu Gottes Ehren / und Christlichen nützlichen Gebrauch / in Kirchen und Schulen" (!) im Druck erschienen sei. Und in dieser Klarheit spricht auch der vierstimmige Satz zu uns: "die Gewaltigen", die vom Stuhl herabgestoßen werden, purzeln förmlich hinab, "die Niedrigen" dagegen (tiefe Lage) werden motivisch durch einen aufsteigenden Dreiklang erhöht. "Die Hungerigen" werden mit Gütern gefüllt – und das Motiv "füllet er" kommt dabei so oft und auf unterschiedlichen Zählzeiten, dass man tatsächlich meint, beim Ausgießen eines Füllhorns zuzusehen… In endlos sich umschlingenden und kreisenden Linien endet das Stück mit der klassischen Doxologie "…jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen".

Stille und Schweigen

"Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich. Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich baue aus primitivem Stoff, aus einem Dreiklang, einer bestimmten Tonqualität. Die drei Klänge eines Dreiklangs wirken glockenähnlich. So habe ich es Tintinnabuli genannt." Dieser "Glöckchenstil" hat Arvo Pärt berühmt gemacht. Er ist einer der bekanntesten und meistaufgeführten zeitgenössischen Komponisten, 1935 in Paide, Estland, geboren und 1980 nach Deutschland emigriert, weil sein Komponieren und nicht zuletzt seine religiöse Musik im kommunistischen Sowjetreich als nicht systemkonform angesehen wurde. Heute lebt er abwechselnd in Berlin und Estland. Die archaischen Dreiklangs- und Tonleiterstrukturen, die für Ewigkeit und Vergänglichkeit stehen, versetzen den Hörer in einen tief meditativen Zustand. Das 1989 für den Berliner Staats- und Domchor entstandene Magnificat erinnert in seiner Strenge an die Kompositionsweise Josquins und lässt interessanterweise im Kontext der anderen Werke alle freudigen Textausdeutung vermissen. Vielmehr weckt das beständig sich aufschwingende und wieder zusammenfallende f-Moll Empfindungen von Resignation und Trauer.

Orpheus britannicus

Ganz ähnlicher Mittel wie Heinrich Schütz bedient sich Henry Purcell, der "Orpheus britannicus", einst Chorknabe, später Organist der Chapel royal und der Westminster Abbey, wo er neben der Orgel begraben liegt. Neben vielen Theatermusiken, darunter die berühmte Oper "Dido and Aeneas", erstmals aufgeführt in einem Mädchenpensionat schrieb Purcell auch geistliche Werke. Dem "Evening service", zu dem auch noch ein Nunc dimittis gehört, ist sein Magnificat entnommen. Es gehört zu den eher seltenen liturgischen Kompositionen des Meisters und gliedert sich in vierstimmige Tutti-Abschnitte und 3-stimmige Verse mit entweder nur hohen oder tiefen Stimmen. Die Kompositionsweise ist eher schlicht, vorwiegend homophon, der englische Text kann gut verstanden und nachvollzogen werden. Interessant ist, dass das Werk in Moll steht. Während Schütz – kirchentonartlich orientiert – in Moll beginnt und in Dur endet, hält Purcell an der Molltonart fest. Einzig der Dreiertakt verrät etwas mehr von der Freude des Textes.

Mährische Legende

Das Jahr 2009 ist nicht nur Jubiläumsjahr für Händel, Haydn, Mendelssohn oder Spohr, auch der Todestag des tschechischen Komponisten Bohuslaw Martinů jährt sich zum 50. Mal – Anlass für die Singakademie, sich diesem bedeutenden Mann eingehender zu widmen. Das heute erklingende Chorwerk ist Teil 4 der "Vier Gesänge über Maria", einer Komposition, die stark an volkstümlichen Melodien und Rhythmen orientiert ist und nach Texten mährischer Lieder entstand. Martinů war Schüler von Josef Suk, später auch von Albert Roussel, bei dem er in Paris Unterricht nahm, wo er von 1923 – 1940 lebte. Anschließend floh er vor den Nazis nach New York, arbeitete und lehrte in Amerika. Lange nach dem Krieg erst kehrte er zurück nach Europa und lebte zuletzt in der Schweiz. Die inzwischen von der UdSSR abhängige Tschechoslowakei mied er weiter. Im Jahr 2009 wird die Singakademie zwei weitere bedeutende Chorwerke Martinůs aufführen: das "Gilgamesch-Epos" und "Die Geburt des Herrn".

Rätselhafte Tonleiter

Im Jahr 1898 beschäftigte sich der berühmte Giuseppe Verdi nach Abschluss seines "Otello" mit einer "enigmatischen Tonleiter", über die er in einer Zeitschrift gelesen hatte. Am 6. März schreibt er an seinen Librettisten Arrigo Boito: "Ihr werdet sagen, es lohnt nicht der Mühe, sich mit diesen Kinkerlitzchen abzugeben, und Ihr habt sogar recht. Aber was wollt Ihr. Im Alter wird man wieder Kind, heißt es. Und diese Kinkerlitzchen erinnern mich an die Zeit, da ich achtzehn war und mein Maestro sich damit amüsierte, mir mit ähnlichen Bässen den Nerv zu töten. Überdies glaube ich, dass man aus dieser Tonleiter ein Stück mit Worten, zum Beispiel ein Ave Maria machen könnte … Auf diese Weise könnte ich hoffen, nach meinem Tode selig gesprochen zu werden." Das fertige Stück für vierstimmigen Chor a-cappella stellte Verdi später an den Anfang seiner Quattro pezzi sacri (1898). In vier Durchgängen wird die 'rätselhafte Tonleiter' (C, Des, E, Fis, Gis, Ais, C; C, H, Ais, Gis, F, E, Des, C) jeweils einer Stimme (Bass, Alt, Tenor, Sopran) in ganzen Noten übertragen, wobei Bass und Alt mit dem Ton C beginnen, während Tenor und Sopran um eine Quarte versetzt mit F starten und enden. Die restlichen Stimmen kontrapunktieren kunstvoll das besonders harmonisch aufregende und schwierige Stück, das mit einem kurzen Amen schließt und den Opernkomponisten von einer ganz anderen Seite zeigt.

Einbindung der Gemeinde

Beim Thema "Maria" schwingt unwillkürlich das Thema "Weihnachten" mit. So ist es nicht verwunderlich, dass die drei nächsten Sätze die Geburt des Herrn rahmen: theologisch sind das "Magnificat" der Maria, die Geburt Jesu und der Lobgesang des Simeon (das "Nunc dimittis") untrennbar verbunden. Der im thüringischen Mühlhausen geborene Johann Eccard war ein in seiner Zeit gefragter Musiker, wirkte in Weimar, Augsburg, lange Zeit in Königsberg und zuletzt in Berlin. Stilistisch bildet er eine Brücke zwischen seinen Lehrern Joachim a Burgk und Orlando di Lasso sowie dem ca. 30 Jahre jüngeren Heinrich Schütz. Seine in der Sammlung "Preussische Festlieder" (1642 und 1644 von Johann Stobäus veröffentlicht) festgehaltenen Kompositionen sind eher geistliche Lieder im Charakter einfacherer Motetten, jedoch oft 5- oder 6-stimmig. Typisch ist für Eccard die Einbindung der Gemeinde in das biblische Geschehen: zunächst erzählt er die Geschichte "Übers Gebirg Maria geht…", dann folgt das eigentliche "Magnificat": "Mein Seel den Herrn erhebet…". Am Ende steht eine Wiederholung und es folgt eine zweite Strophe: "Was bleiben immer wir daheim? Lasst uns auch aufs Gebirge gehen…" – wir als die Lauschenden werden direkt angesprochen! Dem folgt der Refrain, der nun aber "unser Magnificat", das der Gemeinde ist. Auf diese Weise wird der Zuhörer ins Geschehen hineingenommen und zum aktiven Gläubigen: "da eins dem andern spreche zu, des Geistes Gruß das Herz auftu…" – schöner, eindringlicher können die Worte der Gottesmutter Maria kaum klingen. Auch der Lobgesang des Simeon ist auf diese Weise zweistrophig mit Refrain gesetzt, diesmal in geradezu sechsstimmiger Pracht!

Das 'schönste Weihnachtslied'…

Die Motetten Eccards gehören zweifellos zu den bedeutendsten Schöpfungen des 16. Jahrhunderts und markieren einen ersten Höhepunkt protestantischer Kirchenmusik der nachreformatorischen Zeit. Zu den Musikern, die kurze Zeit auch am Dresdner Hof wirkten, gehört der in Creuzburg bei Eisenach geborene Michael Praetorius (die Creuzburg war die Lieblingsburg der heiligen Elisabeth, wo auch ihre Kinder geboren wurden). Bekannt wurde er vor allem auch als Musikschriftsteller und Theoretiker. Sein berühmtestes Stück ist wohl der Satz über das Lied "Es ist ein Reis entsprungen". Diese aus einer Kölner Quelle von 1599 überlieferte Melodie spricht von Maria als dem edelsten Reis aus der Wurzel der Familie Davids (des Sohnes Jesse). Der Gleichklang der lateinischen Wörter "virgo" (Jungfrau) und "virga" (Reis, Rute) animierte zu dieser Deutung, in der Christus die Blüte darstellt, aus der ewiges Leben duftet. Texte aus Jesaja und Jesus Sirach haben die Dichtung beeinflusst – Praetorius' schlichter vierstimmiger Satz hat sie zu einem der wohl bekanntesten Weihnachtslieder gemacht, das in einem Programm zum Thema "Maria" deshalb nicht fehlen darf. Gleichwohl reicht die Auseinandersetzung um die Marienverehrung bis in dieses Lied, in dem es ursprünglich hieß: "Sie solt en kindlein geberen / Vnd bleiben ein reine maigt". Praetorius witterte womöglich Ungemach und benutzte den Text: "hat sie ein Kind geboren, welches uns selig macht".

Gelebte Ökumene

Dass Schütz ein halbes Jahrhundert später gleich zwei deutsche Versionen des "Magnificat" vertont, spricht womöglich von etwas mehr Gelassenheit – und davon, dass in dieser Zeit das verkündigte Wort wieder wichtiger war als der Streit um die Reinheit der Maria und ihre daran gekoppelte Verehrung. Mit dem 8-stimmigen "Deutschen Magnificat" aus dem "Schwanengesang" von 1671 beenden wir das Programm und kehren noch einmal zum Dresdner Meister Heinrich Schütz zurück, der in dieser, einer seiner letzten Kompositionen, nochmals die Mehrchörigkeit seiner venezianischen Vorbilder aufleben lässt. In seinem Begleitwort zur Neuausgabe von 1950 weist Konrad Ameln darauf hin, dass Schütz im hohen Alter von über 85 Jahren aus den biblischen Cantica nicht den Lobgesang des Simeon erwählte, sondern den Lobgesang der Maria, das Magnificat. Nach mühseligem Leben bekennt er gemeinsam mit der Gottesmutter: "Er hat große Dinge an mir getan".
Fast könnten wir meinen, an dieser Stelle beginnt ein Stück gelebte Ökumene…
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