31
Mrz
2015

Brief an den Orchestervorstand der Sächsischen Staatskapelle Dresden

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Aus Gründen der Dokumentation sei hier ein aktueller Brief zum Thema Musikerausbildung angezeigt. Er versucht, das Thema einer aktuellen Kritik an der Ausbildung der Musikhochschulen etwas weiter zu fassen. In den Dresdner Neuesten nachrichten erschien dazu heute ein redaktioneller Beitrag, der etliche Gedanken dieses Briefes aufnimmt.


Verehrter, lieber Herr Wylezol,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Kritik über den mangelnden Nachwuchs, der in deutschen Musikhochschulen und speziell auch in Dresden ausgebildet wird nehmen wir sehr ernst und ich erlaube mir gerade deswegen, Ihnen dazu einige Gedanken zu übermitteln.

Wie entsteht Elite in der Ausbildung des musikalischen Nachwuchses? Welche Voraussetzungen sind dafür notwendig und wieviel Breite ist nötig, um am Ende die so wichtige und hochqualifizierte Spitze zu erhalten?

Um mit einem Beispiel zu beginnen: Wenn Rudolf Mauersberger seinerzeit Nachwuchs für den Kreuzchor gesucht hat, fuhr er ins Erzgebirge und suchte ihn in den Kurrenden und Kantoreien. Für Roderich Kreile würde sich die Frage stellen, wo er überhaupt hinfahren soll, denn es gibt weder Kurrenden noch Kantoreien wie früher, auch die Kantoren sind nicht mehr da, weil sich ein riesiger Wandlungsprozess vollzogen hat. Weder Musikschulen und gleich gar nicht Schulen können das Weggebrochene auffangen. Das gesamte Reservoir des deutschen Musikernachwuchses ist momentan in Frage gestellt, weil die gegenwärtige gesellschaftliche Situation Kultur und besonders Kunst an den Rand drängt. Freischaffende wie fest Engagierte, von den besser bezahlten Spitzenensembles abgesehen, fristen ein Dasein am unteren Rand der Einkommensskala. Fast alle sächsischen und viele deutsche Orchester arbeiten unter Haustarifvertrag. Es wird nur noch über Abbau, Fusionen oder Einsparungen geredet, die Situation an den Musikschulen hinsichtlich der Verdienstmöglichkeiten ist katastrophal. Weder regionale Orchester noch Musikschulen sind realistische Perspektiven für junge Leute, die geeignet wären, den Musikerberuf zu ergreifen. Nicht zu reden von der Wertigkeit des Faches Musik an den allgemeinbildenden Schulen. Wir stehen also vor einem viel größeren Problem, als es auf den ersten Blick scheint und keinesfalls können hier nur die Musikhochschulen in die Pflicht genommen werden.

Dort anzusetzen wäre also die vordringlichste Aufgabe. Gelingen kann das nur, wenn alle Kräfte an einem Strang ziehen, wenn Spitzenmusiker, Pädagogen und Musikhochschulen Netzwerke in die Regionen hinein entwickeln, Talente aufspüren, fördern und wenn die Politik und die gesamte Gesellschaft dem Berufsstand wieder eine Zukunft und Vision gibt. Neben der dringend notwendigen hohen Qualität einer Elite-Ausbildung ist also zunächst und vor allem auch die Breite zu fördern, aus der die Spitze überhaupt wachsen kann.

Für die Eliteausbildung gibt es in Dresden durchaus herausragende Möglichkeiten und auch hervorragendes Personal. Es gibt das Sächsische Landesgymnasium als pre college - was es nicht gibt, sind attraktive Bedingungen für den großen Kreis der Lehrbeauftragten, die völlig unter Wert bezahlt werden. Hierfür kämpft die HfM Dresden seit Jahren, wohl wissend, dass qualifiziertes Personal auch an qualifizierter Bezahlung hängt. Mit ihren Kontakten in die Regionen steht die HfM Dresden geradezu vorbildlich da, indem sie etwa regelmäßig mit fast allen sächsischen Orchestern zusammenarbeitet, gemeinsame Projekte und Absolventenkonzerte gestaltet, die sowohl in den Regionen als auch in Dresden erklingen. Ich persönlich habe dieses Netzwerk in den letzten Jahren entscheidend vorangetrieben und entwickelt. Die Dresdner Studierenden profitieren dabei in vielerlei Form: Die Hochschule ist mit Praktika und Substituten in fast allen Orchestern von Görlitz bis Eisenach präsent und aktiv, bei den Konzerten selbst gibt es zahlreiche Möglichkeiten, besonders Begabte als Solisten auftreten zu lassen, Dirigenten die so wichtige Praxis zu vermitteln und die HfM Dresden als attraktiven Ausbildungsort in ganz Mitteldeutschland bekannt zu machen. Um dieses Netzwerk zu allen regionalen Orchestern und darüber hinaus vielen regionalen und überregionalen Musikschulen beneiden uns viele Kollegen als eines Dresdner Alleinstellungsmerkmals. Spitze trifft auf Breite und wäre imstande, neue Spitze anzulocken, wenn der Beruf eine Perspektive darstellen würde. Oft wünschen auch wir uns schnellere Erfolge und Fortschritte – sie zu erringen bemühen wir uns seit Jahren, nach wie vor entstammt die Mehrzahl unserer Professorinnen und Professoren in den Instrumental- und Gesangsfächern selbst den Spitzenensembles oder gehört ihnen an. Dem Engagement dieser Dozenten kann nicht genug Dank gesagt werden! Es als zu ungenügend zu kritisieren, zielt vorbei und ist – nebenbei bemerkt – eine Kritik an den eigenen Kolleginnen und Kollegen.

Als Rektor der HfM Dresden blicke auch ich mit verhaltenem Stolz darauf:

- dass ausgerechnet in der Sinopoli-Akademie im letzten Jahr 7, heuer 5 Absolventen unseres Hauses spielen (in der von mir betreuten Premiere der
Nachtausgabe von Ronnefeld bestand die Mehrzahl des Orchesters der Akademie aus Absolventen und Studenten der von mir geleiteten Hochschule),
- dass ein weiterbildender Studiengang Chorgesang mit dem Chor der Semperoper ins Leben gerufen werden konnte (aktuell 4 Studierende),
- dass der neue Chordirektor und sein Stellvertreter (Herr Andresen und Herr Volke) beides Dresdner Absolventen sind (Schüler von Herrn Rademann und
mir selbst),
- dass unter den jüngeren Kollegen in der Staatskapelle mindestens 11 Absolventen engagiert sind, die unter meiner Leitung noch im Hochschulorchester
(also nach 2003) aktiv waren.

Semperoper und Hochschule arbeiten außerdem bei Semper II Junge Szene erfolgreich zusammen, mehrere Produktionen der letzten Jahre wurden von unseren Studierenden gespielt und sowohl von der Presse als auch der hauseigenen Leitung außerordentlich gelobt, so u.a.:

- Der gestiefelte Kater
- Die Prinzessin auf der Erbse,
- Mario und der Zauberer,
- Prinz Bussel,
- Der Teufel mit den drei goldenen Haaren
- Die Konferenz der Tiere (dort war es das Junge Sinfonieorchester des Landesgymnasiums).

Intensive Kontakte und Kooperationen gab es auch innerhalb der Veranstaltungen mit den capell-compositeuren und dem Schostakowitsch-Festival, für das die HfM Dresden gerade im letzten Zyklus ihren Saal großzügig für Proben und CD-Aufnahmen mit Gidon Kremer bereitgestellt hat. Eine solch fruchtbare Zusammenarbeit mit Weltspitzenensembles wie der Sächsischen Staatsoper und Staatskapelle können nur wenige Musikhochschulen vorweisen – sie wird uns langfristig auch neue und weitere Erfolge bringen.

Verbunden mit großem persönlichen Engagement der Hochschulleitung und mir ganz persönlich sind in den letzten Jahren außerdem mehrere Professuren für die Orchesterausbildung extra geschaffen und übrigens auch mit Kollegen der Dresdner und Berliner Staatskapelle besetzt worden. Der Schuncke-Hornpreis ging kürzlich an einen Studenten von Prof. Robert Langbein (Peter Müseler), das trio sostenuto hat im letzten Jahr den 2. Preis im Hochschulwettbewerb Ensemble Neue Musik gewonnen, Dirigierstudierende der unmittelbar letzten Jahrgänge arbeiten in festen Engagements u.a. in München, Berlin, Bern, Basel, Kaiserslautern, Hof, Mainz, Koblenz, Dresden, Seoul, Odessa, Yokohama, Peking usw. Mit den Dresdner Meisterkursen Musik DMM ist ein zusätzliches Instrument geschaffen worden, junge Leute an die Elbe zu locken. Ich bin dankbar, dass dabei Kolleginnen und Kollegen der hiesigen Ensembles fest integriert sind. Im Januar fand in Köln eine gemeinsame Konferenz der Deutschen Orchestervereinigung, des Deutschen Bühnenvereins und der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen zum Thema Orchesterausbildung statt, wo nach Wegen neuer Ansätze und vor allem Gemeinsamkeiten gesucht wurde. Ich selbst war in die Vorbereitungen aktiv integriert, weil das Thema so wichtig ist, konnte nur an der Konferenz selbst wegen eines Auslandsaufenthalts nicht teilnehmen.
Die Kontakte und Bemühungen, die Elite nach Dresden zu holen und hier auch kompetent auszubilden, sind also überaus vielfältig, an einigen Stellen durchaus erfolgreich und die Spitzenensembles – neben der Staatskapelle übrigens auch die Dresdner Philharmonie mit verschiedenen Aktivitäten – sind darin hervorragend eingebunden. Ich habe es vor diesem Hintergrund bedauert, dass das früher recht aktive und wichtige System der Substituten aufgegeben wurde. Umgekehrt habe ich in mehreren Gesprächen, an die anzuknüpfen wäre, für die Idee eines gemeinsamen Master-Studiengangs für die Akademisten (analog der Lösung für die Chorsänger) geworben, die durch so eine Möglichkeit als Studierende immatrikuliert wären und neben anderen Vorteilen (Studententicket, Versicherungsstatus) ihre akademische Karriere fortsetzen könnten.

Für die Ernsthaftigkeit des Umgangs mit der von Ihnen geäußerten Kritik kann ich mich seitens der HfM Dresden verbürgen und wünsche nichts sehnlicher, als die gemeinsam vorangebrachten Dinge weiter zu entwickeln. Allgemeine und sehr verkürzte Schuldzuweisungen in so herausgehobener Form dagegen sind aus unserer Sicht wenig hilfreich und – mit Verlaub – auch nicht zutreffend. Ich darf darüber hinaus erwähnen, dass Musikhochschulen heute wesentlich mehr auszubilden haben als nur Orchesternachwuchs – auch auf anderen Feldern müssen wir erfolgreich agieren und tun dies recht erfolgreich. Dies betrifft die Sängerinnen und Sänger ebenso wie Pianisten, Jazzmusiker, Musiklehrer in verschiedensten Ausprägungen und auch Komponisten, Dirigenten, Korrepetitoren und Musiktheoretiker. Es gibt jede Menge Absolventen, die auswärts Erfolg hatten und als sehr qualifizierter Nachwuchs aus Dresden wahrgenommen werden. Die Liste der Engagements und auch vieler Preisträger sind in den Jahrbüchern regelmäßig nachzulesen.

Ich rege ausdrücklich an, zu den Problemen ein gemeinsames Gespräch zu führen und knüpfe dabei an die Idee an, mit einem Dresdner Institut für Ensemble- und Orchesterentwicklung (DIEO) ein gemeinsames Forum zu schaffen und zu etablieren, wo alle Beteiligten in ständigem Austausch stehen, regelmäßig miteinander kommunizieren und nach Lösungen suchen. Die vielen unterschiedlichen Aktivitäten und Projekte hätten dann eine Plattform, die auch nach außen sichtbar macht, dass wir die Probleme konzertiert angehen und es in Sachsen und Dresden Initiativen gibt, genau den Nachwuchs heranzubilden, den Sie sich so dringend wünschen. Diese Idee hatte ich verschiedenen Ansprechpartnern bereits mündlich sowie teilweise auch schriftlich vorgetragen und auf dieser Basis sind viele der oben benannten Aktivitäten entstanden.

Gestatten Sie mir bitte noch einen ganz persönlichen Gedanken: Seit meiner Jugend im Dresdner Kreuzchor bin ich der Staatskapelle zutiefst verbunden, habe unzählige Konzerte unter Herbert Blomstedt, Rudolf Kempe, Wagners Ring mit Marek Janowski, Schönbergs Moses und Aron mit meinem späteren Lehrer Siegfried Kurz und vieles mehr erlebt. Es war mir eine große Ehre, in mehreren Konzerten der Singakademie, in Ihren Aufführungsabenden und auch in der Oper selbst mit dem Orchester zusammenarbeiten zu dürfen. Die von Ihnen skizzierten Probleme zu lösen ist daher eine der wichtigsten Motivationen, warum ich mich um das Rektorenamt der HfM Dresden beworben habe. Einfache Lösungen dafür gibt es jedoch leider nicht. Um die komplizierteren habe ich mich nach Kräften bemüht.

Ich freue mich auf weitere Kontakte und Gespräche, gern auch mit dem gesamten Vorstand der Kapelle und bin mit freundlichen Grüßen
Ihr

Ekkehard Klemm

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Wylezol - 2015-04-18 21:54

Antwort

Sehr geehrter Herr Prof. Klemm,
Sie hätten gut daran getan mich persönlich vor Ihrem Brief zu kontaktieren.
Das Zitat aus der jährlichen Pressekonferenz der Sächsischen Staatskapelle DRESDEN ist komplett aus dem Zusammenhang gerissen entnommen und Sie haben, ohne meine Worte persönlich gehört zu haben ( Sie waren nicht anwesend) Schlüsse gezogen,die zwar verständlich sind,aber meiner Darstellung in keiner Weise entsprechen.
Es wird daher eine Richtigstellung,ein Gespräch auch vor der Presse folgen.
MfG Andreas Wylezol
PS: Sie können mich auch gern jederzeit anrufen

mac38 - 2015-04-19 12:36

merkwürdig

in wien ist das ganz anders. da gibt es mehr als 100 bewerber für einen studienplatz und (fast) alle sind bestens qualifiziert.
und das schlimmste: ein großer prozentsatz der absolventen wird auch in zukunft arbeitslos sein

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