15
Jan
2008

Die irgendwelcher modernistischer Umtriebe sicher unverdächtige Neue Zürcher Zeitung bringt einen bedenkenswerten Artikel

"Dabei müsste die Rekonstruktionswelle ein Alarmsignal sein. Drückt sich im angstvollen Festklammern an einer idealisierten Vergangenheit in Form von regionalen Bau-Ikonen doch mitunter gar Revisionismus aus. Mit der architektonischen Vergangenheitsbeschwörung soll dabei die Verlorenheit der Menschen in einer kalt wirkenden globalisierten Welt gemildert werden. Unter dem Dach der Rekonstruktion wird – wie bei der Dresdner Frauenkirche – Gemeinschaft gestiftet. Doch darüber hinaus erweist sich die Rekonstruktionseuphorie als Spätwirkung einer humorlos gewordenen europäischen Postmoderne, in der sich das tiefe Misstrauen gegenüber der Moderne und ihrer Architektur, ja der Zukunft insgesamt manifestiert. So tief ist dieses Misstrauen gegen Architektur und Architekten in Deutschland mancherorts geworden, dass beim Bauen erlaubt ist, was sonst in der Kunst als verboten gilt. Nirgendwo sonst nämlich wird die Fälschung so goutiert wie hier. Hingen in den Museen so hemmungslos banale Nachahmungen, wie sie sich beim Blick in die Kuppel der Dresdner Frauenkirche zeigen, alle Welt würde zu Recht aufschreien. In Dresden aber herrscht stattdessen heiliges Staunen. Original und Imitation gleichen sich im Zeitalter der virtuellen Verfügbarkeit der Architektur immer mehr an. Stadt und Stadtkopie werden austauschbar."

in voller Länge hier zu lesen

Trackback URL:
https://klemmdirigiert.twoday.net/stories/4618550/modTrackback

Talakallea Thymon - 2008-01-16 10:21

Na ja, aber der Vergleich hinkt doch. Die Frauenkirche ist ja kein Imitat. Die Museumsparallele wäre hier ein zerstörtes, dann wieder rekonstruiertes Gemälde. Ich glaube nicht, daß das Rekonstruieren Ausdruck einer Angst vor dem Neuen oder einer vergangenheitsverklärenden Haltung ist, sondern nur dem Wunsch entspricht, was verloren war, wiederherzustellen. Die zerstörte Kirche wieder aufzubauen, den Säurefraß an der Leinwand wieder auszufüllen. Warum sollte man sich mit dem Verlust abfinden?

Im übrigen treibt die sogenannte Baukunst meines Erachtens reichlich Blüten. Ob das nun schön oder häßlich, Kunst oder Kokolores ist, einmal dahingestellt: Das Problem bei Architektur ist, daß man ihr nicht entgehen kann. Ein Kunstwerk, das mir nicht gefällt, muß ich nicht ansehen; eine schräge Musik nicht hören; doch in der Stadt, in der eine Unmöglichkeit aus Beton, Glas und Stahl ihr finsteres Antlitz erhebt, muß auch ich leben.

mehrLicht - 2008-01-16 10:28

"was verloren war, wiederherzustellen". Der Illusion dieses Widerspruchs entsprechen die architektonischen Ergebnisse bei der Frauenkirche exakt. Und deswegen sind sie so traurig.
klemmdirigiert - 2008-01-17 00:16

traurig - das ist exakt auch mein Empfinden: der renommierte Architekt Behnisch (Münchner Olympia-Stadion, in Dresden das Benno-Gymnasium) hat sich aus den beratenden Gremien damals verabschiedet, als er merkte, daß es nur um das Wiederherstellen des Gewesenen ging. "Dafür braucht ihr mich nicht" - soll er sinngemäß gesagt haben. Was wäre es spannend gewesen, z.B. wenigstens die nicht einmal anständig dokumentierten Deckengemälde modern zu gestalten und einem Richter, Penk oder sonstwem anzuvertrauen. Stattdessen nachgemalte alte Sachen, die so ungefähr aussehen wie damals.

Aber mir geht es um mehr: hinter dem Rekostruktionsbedürfnis von Kriegsruinen steht für mich latent ein fatales Gefühl - den Velust der Frauenkirche in ihrer ursprünglichen Gestalt anzuerkennen, wäre ein wirkliches, ehrliches, schmerzendes Schuldeingeständnis für die von Deutschland ausgegangenen Verbrechen des WK II gewesen. Daß wir dazu nicht fähig sind, ist schmerzlich. Daß wir mit dem Bau nun dazu noch so tun, als ob nichts gewesen wäre, ist billig.
Heraus ist bonbonfarbener Kitsch gekommen - leider. Schön, aber falsch. Eine verbrannte Mona Lisa hätte auch nachgemalt niemand akzeptiert.
Ich stelle mir die Mauern der alten Ruine in einen Glaskubus eingefaßt vor, über dem auf einer Extra-Stahl-Konstruktion die steinerne Glocke schwebt (damit von mir aus das Stadtbild wiederhergestellt ist) - was wäre das aufregend gewesen.
Talakallea Thymon - 2008-01-17 09:48

"Eine verbrannte Mona Lisa hätte auch nachgemalt niemand akzeptiert."

Antwort: Doch!

klemmdirigiert - 2008-01-18 01:15

nee, der Louvre hätte nicht halb so viele Besucher, wenn es eine Kopie wäre, sorry (übrigens rennen ohnehin alle nur zur Mona Lisa, und an den 7 anderen da Vincis im vorhergehenden langen Raum links gehen alle vorbei... - die Leute suchen den Kick); ich hoffe immer inständig, daß die Anziehungskraft der Frauenkirche sich auf das inhaltliche und religiöse Angebot richten möge... schauen wir mal; die richtigen Dresdner gehen übrigens in die viel schmucklosere, mit Rauhputz verkleidete Kreuzkirche - zu Weihnachten am Heiligen Abend allein zweimal über 4000 Leute, und das war vor 35 Jahren genauso wie heute; die Frauenkirche hat keine Gemeinde, nur Touristen; als Ort der Versöhnung und des religiösen Dialogs messe ich ihr große Chancen zu, dann müssen aber dem rekonstruierten Ort wirklich innovative neu Inhalte zuwachsen, vom Abspielen Bachscher Werke und anderer beliebter Musikstücke in allen Variationen, von minutiös getimten Ogelkonzerten und Führungen mit oder ohne Segen gewinnt der Raum kein Profil - wer in Dresden lebt und arbeitet, spürt dieses Manko bereits sehr deutlich, über die Konzerte in der Frauenkirche wird mittlerweile müde gelächelt - die Akkustik ist eh eine ziemliche Katastrophe und zumeist mit großen Schwierigkeiten verbunden; Verdi Requiem und Beethoven Missa solemnis sind im Prinzip unaufführbar; Monteverdi und Schütz funktionieren, ebenso Mauersberger oder Matthus...

Aber ich will hier nicht mit Steinen werfen: natürlich verstehe ich jede alte Dresdnerin, die ihre Frauenkirche, in der sie vielleicht getauft, konfirmiert oder getraut wurde, mit Tränen in den Augen wieder betreten hat! Und ich habe selbst darin mit Freude musiziert (Mauersberger Lukas-Passion mit 160 Leuten Chor). Aber eine Chance zu wirklichem Aufbruch im doppelten Sinn wurde m.E. verschenkt, und das macht - traurig.
CordulaHess - 2008-01-20 14:57

Frauenkirche

Auch ich halte den nachahmungsbau der frauenkirche für kitschig und für eine vertane chance. Als die diskussion anfang der neunziger jahre begann, waren nach meinem eindruck ein drittel für das sichern und stehen lassen der ruine, ein drittel für einen gedenk-neu-bau und ein drittel für die fälschung. Ich war vehement für einen gedenkbau unter einbeziehung der stümpfe - eine atemraubende idee wäre das gewesen mit der glas-kuppel und der steinernen glocke oben drüber. Aber die sehr kraftvolle und mitreißende "wiederaufbau"-fraktion unter Güttler setzte sich durch und schaffte sehr schnell eine große identifikation von sicherlich mehr als zwei dritteln der dresdner mit dem projekt. Ich hatte dann noch die einsame idee, den bau in einer zeitspanne von 100 jahren auszuführen und alle 10 jahre ein bauabschnitts-friedensfest zu feiern verbunden mit einem gedenken an millionen tote und unendliches leid, in die welt getragen von deutschland durch zwei kriege. Aber die bewegung war nicht zu stoppen und als deutliche mehrheit zu respektieren. Dennoch - es ist schade um die ideen, die gar nicht erst geboren oder aber nicht umgesetzt wurden für ein neues kunstwerk. Wichtig im artikel der zürcher erscheint mir im übrigen der hinweis auf die humorlosigkeit, die mit den platten fälschungsbauten einhergeht: Nicht nur der GEIST des neuen, sondern eben auch sein WITZ fehlt, wenn man ihm keine chance gibt. Denn was in der frauenkirche gibt schon zum lachen anlass? Allenfalls die rosa farbe. Cordula Heß

marc! (Gast) - 2008-02-11 21:41

form is function

Es geht hier doch eher um die Unfähigkeit zur Weiterentwicklung, das tiefe Niveau deutscher Architektur mehrheitlich. Die Moderne stirbt in völliger Ignoranz, so wie Alles, was starren Dogmen anhängt, leeren Phrasen wie 'f f f', alten Moden, öffentlich rechtlichen Schulmeinungen langweiliger deutscher Muff-Unis, alternden Pseudo-Revoluzzer Profs.
Es geht hier auch um solche Houmoristen z.B. wie uns' Ungers, der, anhand zweier gegeneinander gekehrter Holzklötzchen in U-Form, römische Platzgeometrie auf dem Berliner Schlossplatz mittels fassadenlosen Kisten, von ihm schickidämlich 'Piazza' genannt, erstehen lassen wollte... Dies ohne in seinem ganzen Leben auch nur einmal die geringste Ahnungsbereitschaft für die universale Poesie einer Frühlingsnacht am Torre del Greco in Neapel - Beispiel -aufgebracht zu haben. Modernistische Klotzfetischisten, des Italienischen denkens nicht mächtig und des Deutschen nicht willens, welch 68er Armut. Biedermeierpiazzamodernisten. Zuviel 'La Gondola' Spaghettieis im Germanenhirn der 60er.

Meinetwegen sterben diese unverbesserlichen Protagonisten denn bald mit ihren Kubuskisten aus. Ihre Gesamtleistung für die Gesellschaft war doch durchaus negativ. Öffne einmal die Augen. Niemand mag doch diesen Modernisten-Schrott mehr sehen. Frag mal Deinen Tankwart, die Sekretärin vom Behnisch, selbst den deutschen Bundestag, die Designspezialisten bei Pininfarina oder sonst wen... Wo auch immer, mach den Versuch! Am besten jetzt gleich.

Kollhoff und Patschkes die Ausnahme? Nein, bloss der Anfang vom Ende der Primitivkisten Ideologie!
Pluralität wird kommen und somit endlich das Ende der Moderne-Vorherrschaft in D. In USA, Lateineuropa, Osteuropa längst der Fall. Wisse, es sind die Letzten Ihrer Art in D. In anderen Bereichen sind sie schon lange davongelaufen. Nur Architektur, Kunst und Theater harren noch aus. Aber auch dort werden sie noch fallen. Spätestens beim 100.000sten McBeth in Unterhosen ist dann das Warten auf Godot selbst denen zu langweilig geworden, die einmal so auf Pina Bauschs hysterisches Rummrennenlassen in feschen, weissen H&M Tshirts standen. Nichts währt ewig auf dieser Welt. Und dieser Modenistenkrampf währt nicht mal sechzig Jahre...

Schon mal was von biologischer Ergonomie gehört? Ihr redet und baut an den Menschen vorbei. Der nächste Kondratief Zyklus basiert auf Biotechnologie, work-life balance und Lebensqualität. Schluss mit der Betonstadt, dem millionenfach schlechtkopierten Modernisten Wohnsilo von Corbusier. Zukünftige Konjunktur findet in Graz, Prag, Leipzig, Breslau und dem rekonstruierten Königsberg statt. 50 Jahre tabula rasa Modernismus aber führt das Ruhrgebiet in die Verarmung.

Schaut mal ins Baunetz.de. Die tollen Diplomarbeiten der Woche zB.: immer dasselbe Geschwätz, alles konzeptionell-analytisch-kritisch intellektuell kreativ. Und doch nur abgeguckt. Einer vom anderen, alle vom Prof und der vom ollen Rohe, Corbusier und so weiter. Alle das gleiche Modernisten-Konzept, vom gleichen Lehrbuch denselben Satz kopiert. ’Kontrast der leisen Töne und sensible, zeitgenössische Formensprache mit klarem, festem Grundanspruch in der modernen Konzeption'.
Ja klar, und was man sonst alles noch so in eine windschiefe Betonmauer interpretieren mag. Und natürlich wollen sie bitte auch alle etwas Neues sein, Neues erschaffen, nicht das Alte kopieren, ja ja, bloss keine Reko bitteschön! Aber dann kommen sie doch alle wieder mit der gleichen Kubus Skizze? Wie neu und avantgardistisch, city cube gallery, hohoho! Plus Stumpf der Frauenkirche mit Kuppel auf Stelzen? Joa geh, haudi üba die hoäusa, burschi! Mit bestem Dank an die zukünftige Stadt des Stumpf-Grauens! Das schön modernistisch bedeutungsschwanger und clever designte Dresden, damit auch der letzte Kurzsichtige schnellstens die Autobahnflucht nach Prag ergreift… Schliesslich war ja Krieg in D, oho, und wer hätte das noch gewusst ohne den Ruinenstumpf…

Revisionistische Reko-Kriegstreiber, kauft euch Katzen, wenn Ihr was gemütliches haben wollt!!

Vergesswen wirs, die Luft ist raus, sind hier alles bloss noch angepasste Spiesserkünstler mit der modernistischen Neue-Kunst Fassade, vorgehängt aus Weissglas, Kunst aus der grauen Buchhalterseele des Betonhörsaals.
Die Greisenmodernisten wolltens so, also kriegen sie's. Zum Kotzen, dieser einseitig verbildete, angepasste Haufen paraphrasierender Mitläufer ohne jegliches visuelles Talent. Lauter möchtegern Corbusiers mit modernistischer Gefühlsarmut, Erfahrungsleere und Gestaltungssterilität: Farbiger T-Träger mit Schlitz-Fensterreihe, assymetrisch verteilt, plus polierter Granit Verkleidung, Teil-Glasverblendung vorgehängt, die spitze Metall-Ecke zur Strassenflucht rausgereckt, a la CoopHimmelblau ’wir wollten was absolut hässliches erschaffen’, und vor allem mehr Auffallen zum besser Abkassieren, die Geburt des Dekonstruktivismus.

Und es folgt der Applaus der Fachjury im Wettbewerb!!! Tattatata tataa!

Brav, das Mega-Skript zum Dipl.-Studiengang Architekt (Univ.) (Moderne) sechs Jahren lang auswendig gelernt. Aber nur bitte kein Disneyland, sagen sie, die Genies…

Was sind wir das leid, diese niveaulosen, unbegabten Spinner der Hässlichkeit… Das Zentrum Dresdens ein Stumpf plus schwebende Kuppel. Ja klar, und morgen kommt der Entwurf zur assymetrischen Müllkippenbar-Belvedere niente. Für die Hyppie-Modernisten. Viel Spass dort...
alle anderen gehen ein Bier auf der Terasse Neumarkt trinken und entspannen unter Pastelfarben. Wahre Intellektuelle halt.

Marc!
klemmdirigiert - 2008-02-12 00:12

@marc anonymus

wer ist WIR? und woher der Furor dieses amüsanten Geschreibsels? Niveaulos, unbegabt, zum Kotzen - wow, da weiß es einer aber ganz genau. Glückwunsch! Ich gratuliere zu solch fundierter Auseinandersetzung.

Vielleicht demnächst mal Klarname und etwas Bio hinterlassen, die ja bei mir auch jeder lesen kann.

Danke
ek
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