14
Dez
2014

Theatersituation Plauen/Zwickau

Theater-Zwickau

Nun kann gleich einmal bewiesen werden, wie ernst es Politik und Kommunalpolitik mit dem Schutz der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft meinen: Sie stehen auf der deutschen Liste des schützenswerten immateriellen Kulturerbes (nicht identisch mit der UNESCO-Liste).

Hier mein Offener Brief an die beiden Oberhäupter der Städte Plauen und Zwickau:




Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Dr. Findeiß,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Oberdorfer,

mit Erschrecken, Unverständnis und großer Besorgnis nehmen die Kunst- und Kulturschaffenden sowie ein großes Publikum in ganz Sachsen und Deutschland wahr, was noch im Dezember den Stadtrat von Zwickau beschäftigen wird: Die Abschaffung des kompletten Musiktheaters in zwei Städten, die wohl zum musikalischsten und kulturvollsten Teil des Landes zählen können: Nicht nur der nahe Instrumentenbau im gesamten Vogtland sollte dafür Zeugnis ablegen, sondern auch die vielseitige Geschichte beider Häuser. Mit der "Jubel-Ouvertüre" von Carl Maria von Weber wurde das Plauener Haus einstmals eröffnet, ein Jahr später erklang "Der Freischütz". In der Geburtsstadt Robert Schumanns, in Zwickau, Orchester, Chor und Musiktheater mit einem Federstreich zu entlassen, ist eine Entscheidung, die deshalb gerade einem Musikhochschulrektor aus Dresden, wo sowohl Weber als auch Schumann prägend gewirkt haben, einen lauten Zwischenruf gestattet. Die vielfältigen Beziehungen von Musikerinnen und Musikern des Vogtlands, des Erzgebirges und der sächsischen Landeshauptstadt sowie die Bedeutung der Musik dieser Region für Sachsen und Dresden sind Beweis genug, dass dieses Reservoir größte Bedeutung hat.

Das Ensemble des Theaters gehört zu den unverzichtbaren Säulen einer lebendigen Musikszene. Chöre, Kantoreien, Musikschulen, auch allgemeinbildende Schulen und Gymnasien, Fach- und Hochschulen sowie eine weitverzweigte freie Szene leben von der inspirierenden Kraft des Philharmonischen Orchesters, eines leistungsfähigen Chores, der beliebten Solistinnen und Solisten sowie der Tänzerinnen und Tänzer. Großveranstaltungen wie die Tage der Chor- und Orchestermusik 2014, das 18. Deutsche Chorfestival des VDKC 2013 und der regelmäßig stattfindende Robert-Schumann-Wettbewerb haben eindrucksvoll erwiesen, welch große Chancen damit einhergehen. Bei unseren Begegnungen habe ich Sie, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, als Streiterin für die Kultur kennengelernt, ich kann mir kaum vorstellen, dass sich an dieser Haltung etwas geändert hat.

Als Rektor der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden darf ich auf wundervolle Kooperationen verweisen, die wir mit dem Theater eingegangen sind, vor allem aber auch auf die vielen Alumni, die von Plauen und Zwickau aus ihre Karrieren angetreten haben oder bei Ihnen engagiert sind. Als Präsident des Verbandes Deutscher KonzertChöre VDKC erinnere ich insbesondere an die fulminanten Aufführungen des War-Requiems von Benjamin Britten 2013 im Dom, an Konzerte mit Werken von Schubert, Mendelssohn und Schumann in München und Dresden – stets war das Philharmonische Orchester ein Partner auf höchstem Niveau, agierte mit Leidenschaft und Hingabe und bewies gerade dadurch seine Unverzichtbarkeit für das Musikleben einer ganzen Region. Sie kulturell attraktiv zu halten, sollte das Interesse beider Städte sein, einerseits, um kreative Potenziale, poetische Konzepte und elementare gesellschaftliche Auseinandersetzungen durch Kunst und Musik weiter zu befördern. Andererseits kann dadurch auch die wirtschaftliche Basis Westsachsens dauerhaft erhalten und verbessert werden, denn mehr und mehr erweist sich, dass jeder in Kultur investierte Euro verdoppelt oder sogar verdreifacht wieder zurückkommt, wie das verschiedene Studien längst erwiesen haben. Ein Verzicht auf die Kraftquelle eines kompletten Musiktheaterensembles hätte die großflächige Verarmung einer ganzen Region zur Folge: Zunächst eine des Geistes und der Kunst, anschließend aber auch eine ganz reale: Denn wer sieht und plant seine Zukunft gern in einer Stadt ohne attraktive Kulturangebote? Der Ruf nach mehr Musiklehrerinnen und –lehrern ist allgemein – wo jedoch sollen diese herkommen, wenn wir die Wurzeln ihres Wirkens abschlagen?

Bitte erlauben Sie noch einen letzten Gedanken: Unter großen persönlichen und finanziellen Opfern haben die Ensembles aus Plauen und Zwickau die Theaterfusion vollzogen und umgesetzt. Bis heute sind die Nachwirkungen von Überhängen und nicht möglichen Neubesetzungen von Stellen zu spüren. Nun, da die Konsolidierung möglich wäre und zum ersten Mal die Chance einer Profilierung mit neu hinzukommenden jungen Musikerinnen und Musikern besteht, erhält das Ensemble die Komplettabsage. Dass zum Zweck der Durchsetzung der Strukturveränderungen zunächst die Haustarifverträge beendet und die Künstler auf 100% Lohn gesetzt werden, um sie danach ganz zu entlassen und dafür 25 Mill. € Abfindungen einzuplanen ist ein Konzept, das allem Verzicht der Künstler bis heute, das allen großartigen künstlerischen Leistungen Hohn spricht und nur als bizarr bezeichnet werden kann.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister – ich vertraue auf Ihren integrierenden und vermittelnden Einfluss, eine Entscheidung dieser Tragweite, die für ganz Sachsen das Signal einer kulturellen Bankrotterklärung wäre, zu verhindern. Ich bin sicher, dass es den politischen Willen der Bevölkerung gibt, einen solchen Beschluss der künstlerischen und musikalischen Verarmung zu verhindern. Bitte erlauben Sie, wenn ich Ihnen auf diesem Weg den Protest des Rektorats, der Professorinnen und Professoren der HfM Dresden sowie des Geschäftsführenden Vorstandes und des Künstlerischen Beirats des VDKC übermittle. Auch als Mitglied des Sächsischen Kultursenats und der Sächsischen Akademie der Künste bitte ich Sie inständig und dringend, Musik und Kunst als Chance und Bereicherung der gesamten Gesellschaft und nicht unter dem Aspekt finanzieller Herausforderungen als Belastung zu begreifen. Wir wissen darum, dass dieser Weg nicht einfach ist. Das sollte aber nicht zu Kurzschlussreaktionen wie den angedachten Stadtratsbeschlüssen führen. Die große kulturelle Tradition beider Städte, die Musikgeschichte des gesamten Vogtlandes und seines Instrumentenbaus, die Geburtsstadt Robert Schumanns haben eine solche Entscheidung nicht verdient.

Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen und bin mit hoffnungsvollen Grüßen

Ihr


Prof.
Ekkehard Klemm
Rektor HfM Dresden
Präsident des VDKC

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Gabriele Vogel - 2014-12-14 13:45

Offeber -Brief

Sehr geehrter Herr Prof. Klemm,
ich möchte Ihnen für den appellierenden Brief an Frau Oberbürgermeisterin Dr. Pia Findeis und Herrn Oberbürgermeister Oberdorfer danken. Es gibt durchaus den politischen Willen, den Entschluss der Stadt Zwickau, die finanziellen Mittel für das Theater Zwickau/Plauen in erheblichen Maße zu kürzen und die Existenz des Musiktheaters in Frage zu stellen, zu verhindern. Das beweisen die Petitionen, das beweist die Facebookseite von Norman Sengewald. Unabhängig davon, ob jemand Kunst- und Kulturliebhaber ist (ich bin es) muss jeder begreifen, dass die beabsichtigten Entschlüsse des Stadtrates Zwickau nicht nur ein Armutszeugnis bedeuteten, sondern ein nicht wiede gut zu machende Entscheidungen. Dieser Stadtrat hätte dann versagt.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Vogel

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