„Enigma“ heißt ein Gedicht Ingeborg Bachmanns: „H.W.H. aus der Zeit der Ariosi“. Die Dichterfreundin hatte ein Zimmer hier, kaum ein Sims oder Tischchen kommt ohne ein Foto von ihr aus. Beim Abschied lässt Henze es sich nehmen aufzustehen. „Un bacio“, bittet er, und es ist klar, wer hier am Ende wen küsst. Glücklichere Augen hat Ciampino nie gesehen.
DAS ist nun wirklich das Dokument einer besonderen Begegnung. Nicht ganz so krass habe ich meine Begegnung mit HWH im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten" vor etwa 5-6 Jahren in Erinnerung. Wir (der Regisseur Jochen Schölch, der Dramaturg Konrad Kuhn und ich) saßen mit dem Maestro in der Lobby und suchten Klarheit über Stück und Idee der ENGLISCHEN KATZE, an der wir laborierten. Henze wirkte weise, zurückhaltend, informierte zögernd, wirkte bisweilen abwesend wie in anderer Welt. Pünktlich nach einer Stunde beendete Fausto das Gespräch.
Eine eindrückliche, zugleich eine verstörende Begegnung.
Merkwürdigerweise mußte ich beim Musizieren der komplizierten Partitur des ehemals Linken und Kommunisten Henze oft an Richard Strauß denken: sehr klassisch orientiert, sehr sanglich, schwer über die Maßen (50 Ensembleproben 7 Wochen lang!), etwas wuchernd im Orchestersatz, üppig, mitunter weitschweifend, immer einem verästelten Satz auf der Spur... - eine sehr bürgerliche Musik: nicht die pointiert-dialektische Kürze des Altmeisters Dessau, nicht das Aufrührerisch-Widerborstige eines Lachenmann oder Schnebel, weit entfernt auch von der Konsequenz und Sperrigkeit des Henze-Freunds Nono.
Aber imponierend in Idee und Größe der Ausführung. Der vorerst letzte große deutsche Sinfoniker, der vorerst letzte große deutsche Opernkomponist in Personalunion. Unfaßbar wie die Begegnung mit ihm.