Schumann, NACHTLIED, nach Hebbel
Robert Schumann, NACHTLIED
Die Nacht spielt in der romantischen Kunst eine besondere Rolle, ist Erfahrung von Tiefe ebenso wie Furcht vor dem nicht zu Fassenden, Dunklen, Endlosen – vor dem Abgrund der Seele.
Es war, als hätt' der Himmel die Erde still geküßt, heißt es bei Eichendorff, von Schumann kongenial vertont: ein schwebender Ton, scheinbar ohne harmonische Bindung; einen Ton darüber beginnt die Melodie, steigt bis zum Himmel, berührt kurz den Ausgangston, um danach einen Ton 'unter dem Himmel' neu anzusetzen und sich nach unten zu schwingen – was für ein Einfall!
Auch Webers Agathe besingt die Nacht auf eine Art und Weise, die uns die Bilder Caspar David Friedrichs direkt vor Augen führt. Hier wie dort ist die Nacht Ort des Aufblickens: zu den Sternen, zum Mond, zu Gott. Der Himmel der Natur als Fluchtpunkt des einsamen romantischen Menschen und als Ort des göttlichen Erlebens: aus dem Anblick des Nachthimmels erwächst das Gebet Agathes. Und aus beidem speist sich die Hoffnung auf Max' Erscheinen, die Vision ihrer Liebe, die wenig später so herb enttäuscht wird, weil der Geliebte nicht dem Himmel, sondern in seiner Verzweiflung der Finsternis zuneigt – die Wolfsschlucht erzählt eindrücklich davon.
Schumanns NACHTLIED nach einem Text von Hebbel beginnt beinahe bizarr, harmonisch und motivisch indifferent. Aus dem musikalischen 'Nebel' schälen sich die ersten Gesangseinwürfe Quellende, schwellende Nacht – auch diese verteilt auf verschiedene Stimmgruppen und gleichsam im Raume schwebend. ...voll von Lichtern und Sternen wird danach eher harmonisch-melodisch ausgedeutet, nur einige Streicher-Tremoli und Bläser-Staccati setzen Farbtupfer illustrierender Art. Steigendes, neigendes Leben, riesenhaft fühle ich's weben – mit großen Oktavsprüngen schreitet das Werk fort, gewinnt an Tempo. Aber Schumanns Nacht ist an dieser Stelle nicht bedrohlich; er erlebt sie gewaltig, erschauernd auch, das beengte Herz jedoch wird durch die Nacht weit gemacht, das Moment der Befreiung ist stärker.
Mit einer fast identischen Figur zum eingangs zitierten Lied senkt sich der Schlaf herab. Beinahe auf Webern vorgreifend werden Einzeltöne und Akkorde nach- und übereinandergeschichtet. Der Chorsatz bleibt zerklüftet bis fast zum Schluß: ziehst du den schützenden Kreis ist ganz eindeutig ein Zitat Mendelssohns, der sein berühmtes O Täler weit, o Höhen bei den Worten schlag noch einmal den Bogen um mich du grünes Zelt mit denselben Wendungen beschließt.
Der Ansatz des Stückes ist geradezu revolutionär, mindestens aber experimentell – das Stück entstand 1849! Aber es ist eine Revolution von innen, aus der Tiefe des Geistes, der romantischen Inspiration und des philosophischen Ausdeutens her. Schumann findet jene Farben, Klänge und Strukturen, denen wenig später Brahms durch seine Verortung in der klassischen Form und der Kontrapunktik Bachs den Hauch des völlig Neuen nimmt. "Neue Bahnen" attestierte Schumann dem jungen Kollegen – Schumann selbst entwarf sie, Brahms konnte auf ihnen gehen.
klemmdirigiert - 2006-10-24 00:09
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