12
Dez
2009

"Adventsstern 2009"

Diese beiden sympathischen Herren waren in den letzten Monaten und Jahren Assistenten der Dresdner Singakademie. Am Dienstag verabschieden sie sich und dirigieren Mendelssohn und Martinu im vorweihnachtlichen Konzert der Singakademie:

Pujol Manuel Pujol Kirschner-21 Paul Johannes Kirschner


Ich selbst werde Haydns Harmoniemesse leiten. Eine kurze Vorschau in Zitaten der beiden Musikwissenschaftler Jürgen Hartmann und Wolfgang Stähr, die uns dankenswerterweise phantastische Aufsätze zur Einführung geschrieben haben:

Jürgen Hartmann zu Mendelssohn und Martinu:

Felix Mendelssohn Bartholdy nahm sich im Gegensatz zu dem von ihm bewunderten Johann Sebastian Bach, der die Stationen aus dem Leben Jesu Christi gemäß der Tradition auf verschiedene Kantaten und Oratorien verteilt hatte, eine biografische Gesamtschau vor. Er vollendete das Projekt nicht, und auch Franz Liszt, der fünfzehn Jahre später ein eigenes Christus-Oratorium begann, tat dies nicht in Form einer komponierten Biografie, sondern als Verbindung einzelner Stationen mit überhöhenden religiösem Textmaterial, gerade so, als habe Bach das Weihnachtsoratorium, einige Kantaten und eine der Passionen zusammengefasst. Großes hatte allem Anschein nach auch Felix Mendelssohn Bartholdy im Sinn, indem er Geburt, Leben und Tod Jesu in einem großen Oratorium zusammenfassen wollte. Dies hätte mit „Paulus“ (1836) und „Elias“ (1846) einen inhaltlichen Zusammenhang ergeben, indem alt- und neutestamentliche Themen durch die Christusgeschichte verknüpft werden. Wie bei diesen beiden Oratorien beschäftigte sich Mendelssohn intensiv mit Ideen und Entwürfen, von denen ihn die meisten nicht zufrieden stellten. Im Falle des „Christus“ ist nicht unanfechtbar bewiesen, aber doch wahrscheinlich, dass die überlieferten Fragmente – ein Terzett, Rezitative, Chöre und ein Choral – zu einem Oratorienplan gehören, für den sich in zeitgenössischer Korrespondenz der Titel „Erde, Himmel und Hölle“ (oder auch „Erde, Hölle und Himmel“) findet. „Christus“ kommt als Werktitel erst durch Mendelssohns Bruder Paul bzw. Ignaz Moscheles ins Spiel, der die Äußerung Paul Mendelssohn am 7. November 1847 wiedergibt, einige Tage nach dem Tod des Komponisten ....

Die „Christus“-Fragmente wurden bereits einige Jahre nach Mendelssohns Tod aufgeführt, wobei Ort und Zeitpunkt der eigentlichen „Uraufführung“ unklar sind. 1852 fand in Birmingham, am Ort von Mendelssohns „Elias“-Triumph, eine Aufführung statt, weitere folgten in Wien und Leipzig in den folgenden Jahren. Die Rezensenten urteilten sehr unterschiedlich; in einigen Kritiken finden sich bereits die „Module“ zu den später antisemitisch beeinflusstes Allgemeingut werdenden Einwänden, Mendelssohn sei oberflächlich, habe gar angesichts seiner jüdischen Herkunft das „Christus“-Thema nicht kompetent gestalten können. Tatsächlich hat sich Mendelssohn bemüht, zahlreiche antijüdische Formulierungen in den Bibeltexten zu mildern oder nicht in den Gesangstext aufzunehmen. Raphael von Hoensbroech fasst diese Teilproblematik so zusammen: „Die offensichtlich philosemitische Haltung gegen Ende seines Lebens ist sicherlich mehr als eine bloße Gegenwehr zum längst gesellschaftsfähig gewordenen Antisemitismus seiner Zeit. In dem Sinne einer historischen Abhängigkeit des Christentums vom Judentum konnte er ganz Christ sein, ohne das Jüdische in ihm leugnen zu müssen. Dadurch kam Mendelssohn schließlich dem Bestreben seines Großvaters Moses nahe, die Religionen nicht als gegensätzlich und unvereinbar zu betrachten, sondern auch ihre geschichtliche Beziehung zu würdigen und sie nebeneinander zu akzeptieren.“

Der tschechische Komponist Bohuslav Martinu hat seine „Marienspiele“, in denen die hier aufgeführte „Geburt des Herrn“ der dritte von vier Teilen ist, in Frankreich geschrieben, wo er lange Jahre lebte. Der neben Smetana, Dvorák und Janácek vierte große tschechische Komponist ist in diesem Quartett der am wenigsten Bekannte und am meisten Unterschätzte. Seine Musik, die durchaus französische Einflüsse aufweist, trotz der langen Abwesenheit von seinem Heimatland aber auch dezidiert tschechisch ist, wird heute nach und nach als meisterhaft anerkannt, ohne dass sie von nachhaltigem Einfluss auf die Zeitgenossen gewesen wäre. Sein früher Biograf Harry Halbreich schreibt 1968, keine zehn Jahre nach dem Tod des Komponisten: „Es gehört zum Paradox seiner Kunst, dass sie dem Laien leicht zugänglich ist, dem Fachmann dagegen immer wieder neues Kopfzerbrechen bereitet. Er bedient sich des tonalen Vokabulars, das vertraute Vorstellungen heraufbeschwört, geht aber in der Entwicklung seiner Formgesetze aus dem organischen Wachstum eines jeden Werkes, unmittelbar an Debussy anschließend, durchaus eigene Wege“.


Wolfgang Stähr zu Haydns Messe:

Haydns letzte Messe verrät weder die Verfallserscheinungen eines greisen, schonungsbedürftigen Meisters noch die abgeklärte Milde des weltentrückten Alters. Eher schon könnte von dem Werk eines „zornigen alten Mannes“ die Rede sein. Der Name „Harmoniemesse“ jedenfalls, der nicht von Haydn stammt und sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzte, müsste unweigerlich in die Irre führen, wenn er falsche Erwartungen an Eintracht, Konfliktlosigkeit und ungetrübten Wohllaut weckte. Gerade das Gegenteil ist der Fall in dieser Messe, deren „Harmonie“ als historisches Synonym für ein Bläserensemble aus doppelt besetzten Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten zu verstehen ist, wie sie auch Haydn vorsah für seine Partitur – ergänzt allerdings um eine Flöte und zwei Trompeten (sowie Pauken, Streicher und Orgel). Nicht die alles verzeihende Weisheit der späten Jahre spricht aus dieser Musik, vielmehr ein unruhiger, fragender, rebellischer Geist, wenn im Kyrie nach 16 Takten einer sinfonischen Adagio-Introduktion plötzlich der Chor einsetzt oder einfällt, verstörend dissonant und „forte assai“, ein Schockeffekt sondergleichen: ein Aufschrei, Passion und Protest gegen eine aus den Fugen geratene Zeit. Oder wenn Haydn im Credo den Auferstehungsjubel jäh verstummen lässt: „Et exspecto resurrectionem ... mortuorum“, und keineswegs die ins ewige Leben gerufenen, sondern die in ewiger Ruhe entschlafenen Toten unter dem Grabmal einer zweifachen Fermate ins Bewusstsein rückt. Offenbar dachte der in England als „Shakespeare der Musik“ gefeierte Komponist bei diesen verschwiegenen Takten weniger an das katholische Bekenntnis als an den anderen, den ersten Shakespeare, an „The Tempest“ und die Worte des Prospero: „Wir sind aus solchem Stoff, wie Träume sind, und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.“

Dieses erstaunliche Spätwerk ist musikalisch geprägt von leidenschaftlichem Einspruch, von subjektivem Kommentar und tönender Widerrede: von dem auskomponierten Missverhältnis zwischen Wort und Ton. Gänzlich eigenwillig, eigensinnig sogar, komponierte Haydn das Benedictus nicht als Pastorale, als Bildnis des guten Hirten oder als feierlichen Einzug in Jerusalem: „Molto Allegro“, gehetzt und atemlos erklingt dieser Satz, einer Flucht ähnlicher als einer Ankunft. Im Agnus Dei schließlich beschwört die Friedensbitte des „Dona nobis pacem“ paradoxerweise eine erschreckend martialische Musik herauf, mit Pauken und Trompeten, als wollte Haydn, der nie ein Requiem geschrieben hatte, zuletzt noch den Horror des Jüngsten Tages entfesseln, „Dies irae, dies illa“. Es herrschte Krieg in Europa...
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