18
Mrz
2012

Rede zur Verleihung der Ehrensenatorwürde an Prof. Dr. Hans John

Verehrter, lieber Herr Prof. Dr. Hans John,

liebe Kolleginnen und Kollegen, Studentinnen und Studenten,
sehr geehrte Festgesellschaft!

"Die Hälfte?" – unter diesem Titel erschien in dieser Woche in Deutschlands Nachrichtenmagazin, das von sich behauptet, wer es lese, wisse mehr als alle anderen, ein denkwürdiger Artikel. Vier Herren (ist es Zufall, dass keine Dame dabei ist?) veröffentlichen demnächst ein Buch unter dem Titel "Der Kulturinfarkt". Der Artikel im Spiegel dieser Woche lässt Böses erahnen und wir müssen vielleicht dankbar sein, dass die Redaktion hinter die provozierenden zwei Worte der Überschrift wenigstens noch ein Fragezeichen gesetzt hat.
Worum geht es? Kurz und knapp um die folgende Frage: "Was wäre, wenn die Hälfte der Theater und Museen verschwände, einige Archive zusammengelegt und Konzertbühnen privatisiert würden? 3200 statt 6300 Museen in Deutschland, 70 staatliche und städtische Bühnen statt 140, 4000 Bibliotheken statt 8200 – wäre das die Apokalypse?"

Zugegeben, eine provokante Frage, die nicht wenig an Sprengkraft verliert, wenn die Autoren danach milde und mildernd vorschlagen, das Geld solle in die freie Szene, die Laienkultur und sogar – man höre und staune – in die Kunsthochschulen und die kulturelle Bildung fließen. Dagegen kann niemand etwas haben. Medienwirksam und suggestiv wird der Artikel auf der ersten Doppelseite von 28 bunten Innenaufnahmen deutscher Theater illustriert, Unterschrift: "Und was, wenn es sie wirklich nicht mehr gäbe?"

Tja, was eigentlich?

Der Skandal des Artikels liegt in der Tatsache, dass ein scheinbares Wachstum beschrieben wird, wo in Wahrheit längst die Kräfte der Erosion wuchern. Von angeblicher Besitzstandwahrung ist dabei immer wieder die Rede, von Privilegien und den schädlichen Subventionen natürlich, die nur Mitnahmeeffekte erzeugen, ohne Kreativität auszulösen. Ich frage mich, welche Besitzstände die Autoren meinen? Welche Privilegien? Das Privileg, im blühenden Alter von 40 – 45 als Sänger auf die Straße zu fliegen, nachdem man 14 Jahre Publikumsliebling eines erfolgreichen Theaters war? Oder meinen die Autoren den Besitzstand von Orchestermusikern, die seit Jahren im Haustarif 70% nach TVK D bezahlt werden? Oder auf viel Geld verzichten, um endlich ein anständiges Haus gebaut zu bekommen? Meinen sie vielleicht das Gehalt der lyrischen Sopranistin eines Staatstheaters, das in etwa 60% des Gehalts eines Meisters in BY oder BW ausmacht?

Die Bundeszentrale für politische Bildung meldet folgendes:
"Unter Berücksichtigung des Preisniveaus zeigt sich, dass die öffentlichen Kulturausgaben je Einwohner real zurückgegangen sind. Nach Angaben des Kulturfinanzberichts 2008 lagen die Ausgaben je Einwohner im Jahr 2005 um 0,6 Prozent unter dem Niveau von 1995 und um 8,1 Prozent unter dem Niveau von 2000."

Und der Kulturfinanzbericht 2010 stellt fest:

Die Öffentlichen Ausgaben für Kultur 1995 bis 2010 im Bund insgesamt lagen bei
1995 7,4 - 2000 8,2 - 2005 8,0 und 2010 9,6 Milld. €

Das klingt sehr viel, entspricht jedoch lediglich einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von
1995 0,4 - 2000 0,4 - 2005 0,36 und 2010 0,38 %.

Nebenbei bemerkt: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im Zeitraum 1970 bis 2010 von ca. 250 Milld. $ auf ca. 3,3 Bill. $...

Gemessen an dem, was wir haben, sind die Ausgaben für die Kultur also eher gesunken, stellen wir ernüchtert fest. Wir tun den Autoren auch nicht den Gefallen, hysterisch aufzuschreien und "Apokalypse" zu rufen. Nein, beim Kampf um den Arbeitsplatz sollten der Künstler und die Künstlerin tatsächlich dem Publikum den Vortritt lassen. Dennoch sei den Schreibern wenigstens an einigen Stellen unser Zweifel zugerufen. "Der Glaube an die Gestaltungskraft der Kultur, an ihr Zusammenhalt und Frieden stiftendes Wesen ist inzwischen erlahmt", wird behauptet. Weiter: "Der staatlich finanzierte Kulturbetrieb ist ein Patient, der sich nicht für das interessiert, was jenseits seines Krankenzimmers geschieht, wie sollte er auch, dazu ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt." Und schließlich: "Die kulturelle Flutung Deutschlands wurde stets vom Angebot, nicht von der Nachfrage her gedacht." 'Ah ja', mögen wir im Geiste des wundervollen Loriot denken und im Stillen etwas ernsthafter fragen, ob wir tatsächlich im gleichen Land leben, von dem die Rede ist – 'die kulturelle Flutung': als ob es sich um eine dreckige, schädliche Überschwemmung handelte und nicht vielleicht um die Ursache, warum wir über einen so sagenhaften billionenfachen Reichtum verfügen und sogar Finanzkrisen noch immer recht anständig bewältigen. Und als ob die bedeutendsten Kunstwerke der Menschheit vor allem nachfrageorientiert entstanden wären…

Das Schöne an Zeitschriften und solchen Artikeln ist, dass sie oft die Auflösung der aufgezeigten Konflikte gleich mitliefern – natürlich bezogen auf ein eigentlich anderes Thema, dennoch passend ein paar Seiten vorher, und das Zwischen-den-Zeilen-und-Seiten-Lesen beherrschen wir ja aus anderen Zeiten noch recht gut. Unter dem Titel "Selbstheilende Herzen" vermeldet die zusammenfassende Überschrift: "Im Kampf gegen den Infarkt rettet die Hochleistungsmedizin viele Menschenleben, doch Heilung bringt sie nicht. Nun beschreiten Ärzte neue Wege in der Herztherapie: Sie setzen auf körpereigene Bypässe – und die Mithilfe der Patienten."
Was das nun mit Hans John zu tun hat? Vorderhand nichts. Hinterhand: sehr viel.

Es fiel mir zunächst schwer, geeignete Worte der Begrüßung zu finden zu diesem Festakt. Schwer, weil es viel zu leicht wäre, Worte des Ruhmes für den zu Ehrenden zu formulieren. Klar und deutlich liegen seine Verdienste vor uns ausgebreitet: Sein Wirken für Dresden und seine Musikgeschichte, sein Engagement innerhalb der Musikhochschule, an der er zahllose Jahrgänge von Musikerinnen und Musikern in Musikgeschichte unterrichtet, selbst das Institut für Musikgeschichte mitbegründet, geleitet und das Promotionsrecht erstritten hat. Meine Nachredner werden zu diesen Leistungen und zur Biografie unseres künftigen Ehrensenators sicher noch einige Details beisteuern. Hans John war nie ein Mann hohler Worte – erst recht sollten aus Anlass der heutigen Ehrung keine solchen fallen. Dagegen war er stets ein wahrhaftiger und aufrechter Verfechter der Sache der Musik und Kultur, weshalb wir auch Artikeln wie dem oben zitierten so lange noch einigermaßen gefasst begegnen können, solange es engagierte Streiter vom Format Hans Johns gibt. Menschen, Künstler und Wissenschaftler, die nicht nachfrageorientiert wirken, sondern uns Menschen ein Werk und Schaffen vorlegen, das wir annehmen oder auch verwerfen können, das aber in jedem Fall in unser kollektives Gedächtnis einsickern wird und dort verweilt, um seiner Entfaltung zu harren.

Ein Komponist, mit dem Hans John sich neben Wagner, Weber und vielen anderen ganz besonders viel beschäftigt hat, ist Robert Schumann. Den Riss, den Heinrich Heine durch die Welt gehen sah, meinte Schumann durch Poesie und Musik heilen zu können. Damit sind wir wieder beim Infarkt. Wie Schumann ist Hans John ein Mensch, der glaubt, Infarkte durch selbstheilende Herzen therapieren zu können. Durch das Vertrauen auf die körpereigenen Bypässe und die Mithilfe der Patienten.

Wir können ihm attestieren: Verehrter Hans – als ehemaliger Kruzianer darf ich mir diese vertraute Anrede erlauben – Deine Therapie hat an dieser Hochschule, in Dresden, Sachsen und weit darüber hinaus vielfach gewirkt. Deine ungebremste Vitalität bis zum heutigen Tag, Dein überzeugender Ton – und damit meine ich viel weniger den profunden Bass als vor allem den Inhalt Deiner Reden, Vorlesungen und Texte – Dein Engagement in Akademien, Vereinen, Deine Vorträge, Schriften und Bücher haben Spuren hinterlassen, in denen die nachfolgenden Generationen von Studierenden, Lehrenden, von Wissenschaftlern und Künstlern sicher Tritt fassen und gehen konnten. Dies aus Anlass des nun schon wieder etwas zurückliegenden 75. Geburtstages zu würdigen war unser Anliegen und tiefes Bedürfnis.

Doppelt hält besser, mögen die Eltern unseres Jubilars gedacht haben und stellten dem ohnehin vom Johannes herkommenden Familiennamen gleich noch den Johannes als Vornamen voran: „Gott hat Gnade erwiesen“, bedeutet das, und auch Teil zwei meiner Namensrecherche ist wenig hinzuzufügen: der Name könne als Ausdruck einer als Geschenk aufgefassten Geburt verstanden werden.
Lieber Hans John – Danke, dass wir von diesem Geschenk hier an dieser Hochschule so lang und ausdauernd profitieren konnten und immer noch können, herzliche Glückwünsche zur heutigen Ehrung, alles Gute für alle Pläne, die vor Dir liegen, Gesundheit, Vitalität und natürlich einen nimmermüden Bass, der in Dresden nun schon ein Orgelpunkt geworden ist: eine profunde Stimme, die durch Rede und Tat die Infarkte der Kultur mit körpereigenen Bypässen versieht und damit selbstheilende Herzen schafft.

Die Hälfte? Nein, im Sinne HANS JOHNS – das Doppelte!
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