29
Apr
2014

Peter Gülke zum Achzigsten

Peter-Guelke

Am heutigen Tag fand in der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden eine Ehrenkolloquium für Peter Gülke statt, z. Zt. auch Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, die Kooperationspartnerin der Veranstaltung war. Ein Grußwort mit Gratulation.

Veröffentlichungen von Peter Gülke

Peter Gülke auf MDR



Verehrter, lieber Herr Prof. Dr. Gülke,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ganz herzlich heiße ich Sie alle willkommen zu diesem Ehrenkolloquium und darf zu Beginn zunächst die Geburtstagsgrüße und –wünsche des gesamten Rektorats und unserer Hochschule an unseren Jubilar übermitteln!

Ganz besonders heiße ich unsere Gäste willkommen, Sie, verehrte Frau Prof. Dr. Wiesenfeldt aus Jena bzw. Weimar, Herrn Prof. Dr. Schneider aus Berlin, Herrn Prof. Dr. Hinrichsen aus Zürich, Herrn Prof. Dr. Osterkamp aus Berlin! Ganz herzlich grüße ich auch die mitwirkenden Musikerinnen und Musiker, das Dresdner Streichquartett von der Sächsischen Staatskapelle, das trio sostenuto – gerade mit einem Preis beim Hochschulwettbewerb geehrt – und das vocalis ensemble dresden. Wir freuen uns, dass Sie alle gekommen sind, um an diesem Tag gemeinsam mit Peter Gülke zu feiern, indem wir ein klein wenig zurück, vor allem aber weiter nach vorn schauen auf den Gegenstand, der uns alle umtreibt: Die Kunst, in Sonderheit die Musik. Die Vorgabe von Peter Gülke war ebenso lakonisch wie umfassend: von Dufay bis Rihm… Über alles dazwischen könne geredet werden. Lassen Sie mich etwa in der Mitte, oder vielleicht besser: im goldenen Schnitt anfangen:

"Triumph der neuen Tonkunst" heißt ein exemplarisches Buch aus der Feder des heute zu Ehrenden. Es beginnt mit der Entschuldigung, dass die "Annäherung" an die großen Sinfonien von Mozart für den Titel sicher passender, jedoch bereits durch den großen Georg Knepler besetzt gewesen wäre. Und dann fährt Gülke fort:

"Kein kommentierendes Wort wird die Musik, die es meint, je ganz treffen, die Mozartsche am wenigsten. Einerseits ist der Beschreibende verpflichtet, zu reflektieren, was er treffen kann und was nicht; andererseits muß es ihn locken, den gegebenen Spielraum aufs Äußerste zu nutzen, die verbalen Kreise möglichst eng zu ziehen um das, was unerreichbar bleibt. … Was klingt, ist allemal anders, als was sich erklären läßt; dennoch und deshalb sagt gewissenhafte Rechenschaft über die Art und Weise, in der eine Erklärung am Phänomen der klingenden Musik abprallt oder danebentrifft, über diese mehr als Verallgemeinerungen, welche im Eifer des Identifizierens das Nichtidentische, durch das Schleppnetz der Argumentation Fallende, über dem Sagbaren das Nichtsagbare vernachlässigen. Wer an deren Abgrenzung sich abarbeitet, wird dem jenseits Liegenden sich mehr annähern, als wer bei der Auskunft innehält, Musik vom Rang der hier behandelten mache alles spekulative Drumherum überflüssig – wohl verständlich angesichts jenes Anpralls, schlimm jedoch als Prämisse."

Es sind Widersprüche dieser Art – und als Dirigentenkollege erlaube ich mir anzufügen – es sind existenzielle, im Sinne des Wortes an die künstlerische Existenz greifende Widersprüche, von denen Peter Gülke redet. Er thematisiert sie in seinem Werk und Wirken von Beginn an und es kann heute nur von einer unübersehbaren Fülle gesprochen werden, zu der diese existenziellen Auseinandersetzungen geführt haben – wir stehen staunend vor einem faszinierenden Lebenswerk und verbeugen uns. Dass nach ungezählten Ehrungen aller Art, zu denen auch die Ehrenpromotion dieser Hochschule im Jahr 2007 gehört, nun mit dem Siemens-Musikpreis 2014 eine gebührende und überaus angemessene Krone aufgesetzt wird, ist uns eine ebenso große Freude, wie diese Würdigung ein besonderes Signal aussendet. Erst zum dritten Mal nach Robbins Landon 1992 und Reinhold Brinkmann 2001 ist die Entscheidung der Jury musikwissenschaftlich konnotiert – im Falle Gülkes jedoch deutlich mit dem Verweis auf die von ihm geschlagenen Brücken zwischen Theorie, Praxis und vor allem auch zur Pädagogik. Die gern als 'Nobelpreis der Musik' bezeichnete Ehrung bezieht sich insgesamt auf ein Wirken im Dienste der Musik und hebt den 'Grenzgänger' und 'Weltenverbinder' hervor.

Ganz in diesem Sinne kann Peter Gülke wohl als einer der vielbeschworenen und im Untergehen begriffenen "Universalgelehrten" bezeichnet werden, dessen interdisziplinäre Ausbildung als Musiker, als Cellist ebenso wie als Dirigent, als Musikwissenschaftler, Germanist und Romanist die Grundlage bildet für ein Schaffen, das hinsichtlich der wissenschaftlichen Ergebnisse ebenso bahnbrechend und erfolgreich ist wie hinsichtlich seiner musikalischen Laufbahn. Hinzu kommt ein bewundernswürdiges Engagement in Gesellschaft, Politik und speziell natürlich Musikpolitik. Gleichviel, ob es das von ihm ganz wesentlich geprägte Dirigentenforum des Deutschen Musikrates oder die Präsidentschaft der Sächsischen Akademie der Künste betrifft, gleichviel, ob der Kampf als Generalmusikdirektor zu DDR-Zeiten in Weimar oder jener in Wuppertal gerade die Biografie bestimmten – Gülkes Wirken war immer mit Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Gründlichkeit, jedoch immer auch mit Dialog, Kommunikation und Respekt verbunden. Um seinem Weimarer Orchester die Reise in den Westen zu ermöglichen, verschloss er sich dem Gespräch mit den politisch Verantwortlichen der damaligen Zeit nicht – stellte sich jedoch nach mehreren Stunden demonstrativ zum Yoga auf den Kopf, denn eine Bruckner-Sinfonie stand am Abend noch auf dem Konzertplan…

Sich auf den Kopf stellen und einen geraden Rücken behalten. Dies ist nur eine signifikante Geschichte von unzähligen, eine besonders eindrückliche und schöne sicherlich, die aus der Perspektive mehrerer Jahrzehnte ein Lächeln hervorbringt, zu dem die konkrete Situation damals ganz sicher keinen Anlass gab!

Ich selbst hatte die Freude und Ehre, Peter Gülke in der Zeit seines Wirkens hier in Dresden kennenzulernen. Nach dem Genuss der Lektüre seines Buches "Mönche, Bürger, Minnesänger" aus dem Jahre 1975 war er mir zu Beginn meines Studiums 1979 längst ein Begriff, ich hospitierte daraufhin in seinem Unterricht, war Zeuge etlicher Vorstellungen und Konzerte, von denen die Uraufführungen von Rainer Kunads Oper VINCENT und jene von Udo Zimmermanns DER SCHUHU UND DIE FLIEGENDE PRINZESSIN besonders im Gedächtnis haften blieben. Schon damals war der Brückenschlag zwischen Dirigieren und Wissenschaft zu bewundern: In die Zeit seines Dresdner Wirkens fiel die erste Veröffentlichung der Erkenntnisse vor allem zu Franz Schubert und Ludwig van Beethoven, deren wir sozusagen relativ nahe zu ihren jeweiligen Geburtsstunden teilhaftig werden durften. Ich werde nie die wunderbare Art vergessen, mit der uns Peter Gülke den Unterschied zwischen Akzent und diminuendo bei Schubert beschrieb und am Beispiel der fortissimo- Akkorde der 'Unvollendeten' die revolutionäre Wirkung dieses Gewitters nach dem erstorbenen Gesang des zweiten Themas demonstrierte. Um diese Sprengkraft – und was sie für die Zeit der Uraufführung möglicherweise zu bedeuten hatte – zu erneuern schlug Gülke vor, in heutigen Aufführungen statt des c-Moll einen Zwölftonakkord zu musizieren… Auch die Interpretation der "Fünften" von Beethoven und insbesondere ihres Scherzos war nach den damaligen Vorträgen und Begegnungen nicht mehr so möglich wie vordem. Es steht zu befürchten, dass die Erkenntnisse und die Neuausgabe von 1977 heutzutage wieder stark in Vergessenheit geraten sind und die Argumentationen pro oder contra del Mar (Bärenreiter) oder Gülke (Peters) dürften zum spannendsten Diskurs der Beethovenforschung gehören. Ein Jammer, dass Gülkes geplante Gesamtedition politischen Auseinandersetzungen zum Opfer fiel.

Minutiös übertrug Peter Gülke seine interpretatorischen Einsichten in der problematischen Aula der Blochmannstraße auf die Studierenden des Hochschulsinfonieorchester, probte Beethoven, Brahms, Schubert oder Strauss' Till Eulenspiegel und verlor dabei nie die Geduld. Ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Musizierenden galt ihm bei den Profis wie den Studierenden stets als wichtigste Arbeitsgrundlage. Insofern ist es nur folgerichtig, dass er in einem seiner Aufsätze über das Ende des Schamanentums beim Dirigieren sich auf Christoph von Dohnányi bezieht und den Kollegen zitiert, der von einer "neuen Partnerschaft" und vom "Ende des patriarchalischen Systems" sprach. Seit dem Erscheinen des Aufsatzes ("Dirigentendämmerung", Das Orchester, Heft 3, März 1997) sind nun schon wieder 17 Jahre vergangen, die Analyse von damals kann von heute aus gesehen als außerordentlich hellsichtig eingeschätzt werden. Sie mündet in die Erkenntnis:

"Einstweilen verdecken hohe Standards, die Machtfülle und die Allgegenwart der großen Namen, daß die Verabschiedung des Präzeptors längst begonnen hat, wie immer Napoleon und Prospero partiell überdauern mögen. Wegweisende interpretatorische Impulse gehen immer seltener von Dirigenten aus, am wenigsten von den betriebskonformen.
Der Dirigent wird dafür gerade zu stehen haben, daß das Verhältnis von universalem Anspruch und Spezialisierung neu definiert werden muß. Vielleicht aber wird sich gerade die Verschiebung des präzeptoralen Anspruchs (welcher ja nie bedeuten konnte, daß einer in allen Bereichen als letzte Instanz galt) als Moment einer demokratisierenden Versachlichung erweisen, als Entlastung, die in der Wirksamkeit des primus inter pares neue Möglichkeiten freisetzt."


Zu diesen Äußerungen passt, was Peter Gülke am Wochenende in einem Interview des MDR sagte: Seine Tätigkeit hätte stets bedeutet, sich und anderen Mühe zu machen! Wenn uns etwas am Weiterbestand der Musik des Abendlandes läge, sei dies nicht ohne diese Mühe, die wir uns alle machen müssten, denkbar. "Schreiben", sagt Gülke, sei für ihn die Fortsetzung des "Musizierens mit anderen Mitteln. und weiter: "Ich möchte beides so eng beieinander halten, wie es nur geht. Das Wort erreicht ja das, was Musik sagt, nie ganz. Es kann Musik, das musikalische Phänomen nur einkreisen. Mir macht es einfach große Freude, über geschätzte und geliebte Musik viel zu wissen. Ich schreibe über Musik, um sie noch schöner zu finden, als das ohnehin schon der Fall ist."

Mit dieser Haltung – um Vergebung, lieber, verehrter Peter Gülke – ist der zu Ehrende ganz gegen seinen Willen sicherlich selbst und vielleicht gerade deshalb zur Instanz geworden und könnte künftigen Generationen, um an den Beginn anzuknüpfen, als 'Triumph eines neuen, vor allem anderen Dirigententyps' gelten. Das mögen Musikwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler der nächsten Generationen entscheiden.

Vorerst begnügen wir uns mit besten Geburtstagswünschen und ich darf allen Gratulanten, insbesondere jenen, die sich mit eigenen Beiträgen hier vorstellen, im Namen der HfM Dresden und im Namen der Sächsischen Akademie der Künste für die Beteiligung am Ehrenkolloquium danken.
Von Herzen alles Gute, Gesundheit und weiterhin ein für uns alle inspirierendes Wirken im Dienste der Musik, lieber Peter Gülke – und ich verspreche: Wir geben uns Mühe!
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Weblog des Dirigenten Ekkehard Klemm, Dresden

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