25
Mai
2006

Komische Musikwelt

Mit folgenden Worten leiten die Dresdner Neuesten Nachrichten einen Bericht über ein CD-Vorhaben der Dresdner Staatskapelle ein:

Natürlich Mozart! Wer mag daran zweifeln in diesem Jahr. Auch die Deutsche Grammophon schwimmt auf der Jubiläums-Welle und bringt für eine ihrer nächsten Veröffentlichungen - eben eine Mozart-CD - glanzvolle Stimmen und glanzvollen Orchesterklang zusammen: die russische Sopranistin Anna Netrebko, die lettische Mezzosopranistin Elina Garanca, den deutschen Bass-Bariton Thomas Quasthoff und die Sächsische Staatskapelle. Im stimmungsvollen Ambiente des Palais im Dresdner Großen Garten sind mit diesen Künstlern gestern unter der Leitung von Sebastian Weigle Ausschnitte aus Mozart-Opern aufgenommen worden.

Sängerevents, Sängerporträts, eine schöne und schön spielende Pianistin...

Es gab Zeiten, da nahm die Sächsische Staatskapelle TRISTAN mit Kleiber, FREISCHÜTZ mit ebendemselben, ARIADNE mit Kempe, Bruckner mit Jochum, Brahms mit Abbado (3. Sinfonie) auf. Das, was da jetzt als glanzvoll angekündigt wird, ist eher ein Signal für die Probleme auf dem Klassikmarkt: nix zieht mehr, alles ist schon eingespielt, man reproduziert nur noch das ewig Gleiche, und auch das verkauft sich schlecht. Die/Der Star könnte die/der RetterIn sein...

Wollen wir nicht wieder zu Inhalten zurückkehren? Man schaue sich mal den Plan von Lothar Zagrosek und seinem Konzerthausorchester an (im Internet etwas umständlich als Gesamtkalender des Konzerthauses unter diesem Link anzuschauen) - derweil tobt in Berlin der Kampf um die Deutungshoheit des Klanges der Philharmoniker... (kurz zusammengefaßt: unter Rattle eine Katastrophe, die Erwartungen wurden nicht erfüllt; unter Thielemann und Barenboim ein Wunder). Eben noch wurde Rattle für seine Konzepte gefeiert, die Philharmoniker für ihre Flexibilität, auch aufführungspraktisch und im Bereich des Neuen up to date zu sein - alles schon nicht mehr wahr.

Eine komische Musikwelt ist das. Und eine komische Medienwelt dazu.

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joern (Gast) - 2006-05-27 11:48

Tragikomisch,

denn sie sägen an dem Ast, auf dem sie alle sitzen: suchen mit süßem Kleister und leichter Kost das Publikum zu binden und werden Überdruss ernten.

Ich glaube, so wie die 'moderne' Medienwelt (ups, 'morden' und 'modern' sind einander nur einen Zeichenschüttler weit entfernt...) mir für Kreative zum Problem geworden zu sein scheint, so geht es auch dem Publikum auf seiner Suche nach dem gewissen Etwas, nach dem Besonderen: die uferlose Möglichkeit des Vergleichs mit andren Werken, andren Interpretationen läßt ratlos werden und nach Stereotypen greifen. Zum einen nach dem allzu bewussten Bruch mit der Historie, dem Fundament, zum andren nach dem Besondren, das der Erfahrungswelt entspricht (anstatt das Neue zu suchen). Wo bei den Schaffenden mir (und ganz persönlich mir) manchmal zuviel des Drangs zu 'wahrhaft Neuem' fühlbar wird, wünschte ich mir vom Publikum mehr Gier nach Neuem. Hier fehlt es an Orchester- und sonstige (z.B. 'E' vs. 'U') Gräben überbrückender Kommunikation. Das Schauspielhausprogramm liest sich vielversprechend.

Und wenn schon Mozart (schließlich ist das Jahr so eingeläutet), und im Palais des Großen Garten, nichts gegen die verführerische Netrebko und den verzaubernden Quasthoff, und wenn schon populär, dann frag ich mich besorgt, warum dann nicht der Große Garten eine einzig Mozart-Sommerbühne wird, am besten mit jungen Sängern, die noch unterwegs sind, in einer Mischung aus Studierenden und Profis, eine Art Sommer-Akademie mit vielen Experimenten, nicht für die 'Ahas' und 'Ohos' der Kenner, sondern meinetwegen so nachvollziehbar kommuniziert wie 'Peter und der Wolf'. Aber nein, eine weitere Konservendose soll es sein. Traurig. Auf dem Obstmarkt wäre die Entscheidung ganz selbstverständlich andersherum gefallen.

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