Festkonzert zur Eröffnung des neuen Konzertsaals der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
Das Konzert wird eingeleitet vom dritten Teil der Faust-Szenen von Schumann. Ein Einführungstext:
"Übrigens werden Sie zugeben, daß der Schluß, wo es mit der geretteten Seele nach oben geht, sehr schwer zu machen war, und daß ich bei so übersinnlichen, kaum zu ahnenden Dingen mich sehr leicht im Vagen hätte verlieren können, wenn ich nicht meinen poetischen Intentionen durch die scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren und Vorstellungen eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit gegeben hätte."
(Goethe an Eckermann)
"Das Ergriffensein von der sublimen Poesie gerade jenes Schlusses ließ mich die Arbeit wagen."
(Schumann an Mendelssohn)
Im Jahr 1849 jährte sich der Geburtstag Goethes zum 100. Mal. Aus diesem Anlass fand ein musikgeschichtlich seltenes und interessantes Ereignis statt – eine Ringuraufführung. Der (spätere) dritte Teil von Schumanns FAUST-Szenen erklang gleichzeitig unter Julius Rietz in Leipzig, unter Franz Liszt in Weimar und im Palais des Großen Gartens unter Schumanns eigener Leitung in Dresden, wo die Familie fünf Jahre gelebt hatte, bevor sie nach Düsseldorf zog. Die Dresdner Aufführung, bei der auch Mendelssohns Erste Walpurgisnacht erklang, mündete in eine Art Volksfest, "an verschiedenen Punkten des Gartens" wurde "gesungen, musiziert und jubiliert".
Dresdner Musikfestspiele anno 1849...?!
Das Werk muss demnach als ein Stück originäre Dresdner Musikgeschichte angesehen werden. Nicht nur die Uraufführung des letzten Teiles fand hier statt: wichtige Nummern wurden auch in Dresden entworfen, konzipiert und im Detail niedergeschrieben. Etwa 10 Jahre arbeitete Schumann an der Komposition, zuletzt entstand im Jahr 1853 die Ouvertüre. Clara Schumann hielt es für eines der wichtigsten ihres verstorbenen Mannes; Joseph Joachim, der bedeutende Geiger und Freund von Brahms befand kurz. "Und dann das Herrlichste – Faust."
Wenn Heine vom "Riß der Verzweiflung" sprach, den er durch die Welt gehen sah, meinte Schumann, diesen durch die Kunst heilen zu können und bezog sich dabei explizit auf die Literatur und den Humor Jean Pauls sowie auf die Musik Beethovens.
Erst gegen Ende seines Lebens und mit wachsendem persönlichen Misserfolg (zunächst in Leipzig, dann in Dresden, zwischenzeitlich in Wien, zuletzt in Düsseldorf) dominieren düstere Gedanken und Ahnungen. Die politischen Ereignisse tun das Übrige: vom Geschehen im revolutionären Mai 1849 wenden sich die Schumanns angesichts der Leichen in den Straßen Dresdens ab und fliehen nach Maxen. Ausgerechnet in diesem Revolutionsjahr also erklingt in Dresdens Großem Garten die wahrscheinlich poetischste, lyrischste und kongenialste Musik, die zu Goethes Dichtung erdacht wurde und erzählt uns von der Hoffnung, die zerrissene Welt durch Poesie und Kunst heilen zu können. Von einer Chorsängerin ist der Satz überliefert: "Bei dem Studium dieser herrlichen Musik vergaßen wir die trübe Außenwelt."
Der Musikwissenschaftler Armin Gebhardt setzt sich vehement für eine Neubewertung der Dresdner Jahre Schumanns ein und hält diese Zeit für eine ebenso bedeutende im Leben des Komponisten wie jene in Leipzig. Klavierkonzert op. 54, Manfred-Musik, Konzertstück für 4 Hörner, 2. Sinfonie, Faust-Szenen, verschiedene Fantasiestücke u.v.a.m. gehören von der entscheidenden Entstehungsgeschichte her nach Dresden. Hinzu kommen zahlreiche wichtige Begegnungen, zu denen jene mit Richard Wagner als nur eine von vielen zu nennen ist: Schumann erlebte die Einstudierung des TANNHÄUSER und die Entstehung des LOHENGRIN aus nächster Nähe. Demgegenüber existiert das Bild des schweigsamen Sonderlings (Wagner: "sonderbar wortkarg", Hebbel "unangenehmer Schweiger"), der durch seine Art auch in den von ihm geleiteten Ensembles Mühe hatte. Dies war wohl in Dresden ebenso der Fall wie später verstärkt in Düsseldorf. Auseinandersetzungen mit der Künstlergattin Clara, die zudem unter den ständigen Schwangerschaften und dem Tod eines Kindes litt, mögen hinzugekommen sein.
Vor diesem Hintergrund trägt die Beschäftigung Schumanns mit FAUST sicher auch autobiografische Züge, interessanterweise wohl vor allem in jenen später komponierten Teilen, die nach der "Dritten Abtheilung" entstanden sind. In dieser blicken wir mit Schumann in den 'anschaubaren Himmel' Goethes, den er am Ende seiner Dichtung vor uns ausbreitet. Dieses letzte Drittel der Vertonung war zuerst beendet und stellt den geschlossensten Teil des Gesamtwerkes dar, der aufgrund seiner Aufführungsgeschichte jederzeit auch die alleinige Wiedergabe rechtfertigt.
In vollendeter Lyrik schwingt der 9/8-Takt (in der Haupttonart F-dur) "Waldung sie schwankt heran" – ein Stück, das 60 Jahre später von Gustav Mahler ins bizarr Schauerliche geführt wird (in seiner "Sinfonie der Tausend").
Liedhafte Strukturen prägen den Gesang des Pater ecstaticus, den nachfolgenden des Pater profundus und des Pater seraphicus mit dem Chor seliger Knaben. Auffallend sind ständige Wechsel duolischer und triolischer Strukturen, die bereits in den ersten beiden Teilen des Werkes das Verhältnis Faust – Gretchen prägen und nun wiederkehren in neuem Gewand.
In warmtönendem As-Dur hebt danach zunächst hymnisch der große Chor
Gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen
an und geht über die Stationen der 'Rosenmelodie' – eine der wohl zauberhaftesten Einfälle im ganzen Opus – , über die harmonisch wie rhythmisch unbestimmt huschenden Triolen des
Nebelnd um Felsenhöh' spür ich soeben
regend sich in der Näh' ein Geisterleben
hin zum Ges-Dur-Chor der seligen Knaben. Anschließend greift Schumann – anders als Goethe – erneut auf den Anfangstext zurück und schließt den Kreis zum hymnischen Beginn durch ein Fugato, das an die ausgiebigen Kontrapunktstudien Claras und Roberts aus dem Jahr 1845 erinnert. Der Abschnitt beschwört deutlich die oratorische Tradition Händels oder Haydns herauf.
Neben dem punktierten Hauptmotiv dominiert eine aufstrebende Tonleiter bei
wer immer strebend sich bemüht...
die gegen Ende auf den Eingangstext "Gerettet..." chromatisch wieder abwärts geführt wird.
Damit ist der 'Held' nun tatsächlich gerettet – A. Gebhardt verweist auf die Tatsache, dass der Rest des Werkes der Rettung des Paares Faust-Gretchen gilt und die entscheidenden Worte nicht Gott der Herr (analog dem Prolog im Himmel) spricht, sondern die Mater gloriosa.
Es kann hier nur spekulativ erinnert werden, dass die Künstlerehe zwischen Robert und Clara – wie glücklich oder bisweilen belastet auch immer – nicht nur eine Liebesheirat war, sondern als Beziehung Mitte des 19. Jahrhunderts wohl eher eine Seltenheit darstellte. Wie viel autobiografische Züge Schumann deshalb gerade der Verklärung des Paares gegeben hat, darüber kann nur hörend gemutmaßt werden. Wir hören: – ein bestrickend lyrisches Stück Musik, mündend in die flehentliche Bitte des Dr. Marianus (Faust)
Jungfrau, Mutter, Königin,
Göttin bleibe gnädig!
Dem folgt mit dem Chorus mysticus einer der großartigsten zusammenhängenden Chorentwürfe der gesamten Romantik! Allein die langsame Einleitung stellt ein tönendes Universum dar, dominiert vom doppelt fallenden Quintmotiv, begleitet von Oktaven auf und ab, von chromatischen Gängen (bei den Worten "das Unzulängliche, hier wird's Ereignis"!) und auch von den das Stück prägenden Triolenstrukturen. Das Ganze wird kontrapunktisch als Fugato geordnet, schwingt sich hymnisch auf und führt den 8-stimmig gesetzten Chor in die Soli hinein, die den Doppelchor des Finales vorbereiten.
Es ist eine Ironie der Entstehung des Werkes, dass Schumann mit dem folgenden Finale unzufrieden war und einen weiteren Schlusschor entwarf, der dem ersten, wie er schrieb, vorzuziehen sei. Clara scheint um den ersten Schluss gekämpft zu haben, fand ihn gelungener, was eine wundervolle Pointe ist: Clara mag die lebhaft-kräftigere – die 'männliche'? – Robert dagegen bevorzugt die lyrisch-verhaltene – die 'weibliche'? – Schlussversion!
In der Aufführungstradition des Werkes erhielt Clara recht – die 1. Fassung hat sich durchgesetzt. Ist diese womöglich 'effektvoller', so ist die nachkomponierte auf alle Fälle 'wertvoller': sie ist formal größer strukturiert (ABA plus Coda) und arbeitet mit diffizilen kontrapunktischen Finessen (u.a. der Augmentation eines der Hauptthemen). Die Doppelchörigkeit ist subtiler, die Soli sind stärker in die Kontrapunktik eingebunden. Ein lyrischer Schleier liegt über dieser Version.
Nachdem in einer Aufführung des Gesamtwerkes durch die Singakademie Dresden 2005 die erste Fassung erklang, haben wir uns aus Anlass der Eröffnung des neuen Konzertsaals im Sinne Robert Schumanns für die zweite entschieden – sie rundet die alleinige Aufführung des dritten Teils in besonderer Weise und symbolisiert wohl am deutlichsten das, was Schumann mit dem eingangs zitierten "Ergriffensein von der sublimen Poesie gerade jenes Schlusses" meint.
Das Unbeschreibliche, hier ist's getan.
klemmdirigiert - 2008-10-01 00:52
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