19
Apr
2009

eine kleine Referenz an den großen JOSEPH HAYDN

Haydn

Von den überlieferten Bildern Haydns gefällt mir dieses mehr als andere: es porträtiert mehr den unruhigen Schöpfer als den "Papa Haydn", als der er vielfach bezeichnet wird, wobei die Musiker oft in ein leicht mitleidiges Lächeln wechseln...

Ich werde dieses Jahr 3x Hadn musizieren: im Juni die SCHÖPFUNG (auf historischen Instrumenten musiziert mit dem collegium 1704 aus Prag), im Dezember die Harmoniemesse und nächstes Wochenende die Sinfonie Nr. 101 "Die Uhr" mit Sinfonietta Dresden, ein Konzert, das außerdem moderne Werke von Thomas Simaku und Karsten Gundermann im Programm hat.

Hier eine Einführung zu Haydns Sinfonie:

Franz Joseph Haydn, Sohn eines Stellmachers und in einer Familie ohne Notenkenntnisse aufgewachsen, hat einen Lebenslauf, den wir nach heutigen Kriterien eher mit jenem vielzitierten "american dream" vergleichen können: aus einfachsten Verhältnissen ist er durch eigene Leistung zu internationalem Ruhm aufgestiegen und kann wohl als der zu seinen Lebzeiten bedeutendste Komponist angesehen werden – Haydn, 24 Jahre älter als sein Freund Mozart, hat diesen 18 Jahre überlebt. In der Familie Haydn und der Nachbarschaft wurde viel gesungen und zu Haydns Brüdern gehörte auch der Komponist Michael Haydn sowie der Tenor Johann Evangelist Haydn. Das Talent wurde entdeckt, Joseph zunächst zu Verwandten geschickt, ehe Georg von Reutter als musikalischer Leiter am Stephansdom ihn nach Wien holte. 1749 wird er nach dem Stimmbruch entlassen und erlebt eine schwierige Zeit als Begleiter, Kammerdiener und freier Musiker. 1758 wird er Musikdirektor beim Grafen Karl von Morzin auf Schloss Lukavec bei Pilsen, der ihn jedoch wegen des Verlusts seines Vermögens wieder entlassen muss. Von 1761 an ist er zunächst Zweiter, nach 1766 Erster Kapellmeister am Hofe des Fürsten Esterházy.

Von etwa 1781 an bis zu dessen Tod ist Haydn mit Mozart befreundet, beide spielen Quartette zusammen und haben ähnlich intensive Bindungen zu den Wiener Freimaurerlogen. Mit dieser Freundschaft lässt das Opern- und Konzertschaffen Haydns nach, während Mozart mit seinen Quartetten dem Älteren nacheifert. Das Streichquartett kann als Erfindung Haydns gelten, der von Carl Joseph Edler von Fürnberg gebeten wurde, für Aufführungen in seinem Schloss Weinzierl kleine Musiken für ein Quartett zu schreiben, bestehend aus Pfarrer, Verwalter, Haydn selbst und Albrechtsberger (einem Bruder des gleichnamigen Komponisten) – die Idee und die ersten Aus- bzw. Aufführungen in dieser Besetzung ist in die Jahre 1755-57 zu datieren.

Die zweite große Leistung Haydns ist die Prägung der Sinfonie. In die Zeit am Hofe des Grafen Morzin, wahrscheinlich spätestens 1758, fallen die ersten Sinfonie-Kompositionen, die bereits eine große Distanz zu den Lehrmeistern Haydns verraten. Zunächst von Georg von Reutter unterrichtet, später vom Italiener Nicola Porpora beeinflusst, befasste er sich autodidaktisch mit dem Gradus ad Parnassum von Johann Joseph Fux und Johann Matthesons Der vollkommene Capellmeister, studierte Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen sowie dessen Sonaten. Haydn bleibt aber stets unterwegs, entdeckt neue Möglichkeiten der Komposition, entwickelt den Sonatenhauptsatz zu einer für Jahrzehnte, ja Jahrhunderte bindenden formalen Größe, entfaltet die Bedeutung des zweiten Satzes der Sinfonie – besonders auch durch instrumentatorische Raffinesse - , führt das Menuett zum sinfonisch gearbeiteten Scherzo und das Finale zu einem dem ersten Sinfoniesatz entsprechenden zweiten Schwerpunkt. Dies alles wird in den ersten Werken ab 1758 angelegt und findet seine Vollendung in den 12 Sinfonien, die nach dem Ende der Tätigkeit in Esterhaza nach 1790 im Auftrag des Impresarios Johann Peter Salomon für dessen Londoner Konzerte entstehen.

Haydn reist zweimal nach London, 1791/92 und 1794/95. Die Sinfonie Nr. 101, "Die Uhr", gehört zur zweiten London-Reise, entstand aber vermutlich teilweise auch in Wien, wo Haydn seit seiner Pensionierung lebte. Unterschiedliches Papier für den Autographen legt diesen Schluss zumindest nahe. Möglicherweise könnte Beethoven, der kurzzeitig Haydns Schüler war, bevor er diesen an den Komponisten Albrechtsberger 'weiterreichte', sogar der Entstehung beigewohnt und Teile des Werkes damals kennengelernt haben.

Wie viele Sinfonietitel ist auch der für die D-Dur-Sinfonie Nr. 101 eher später hinzugefügt worden – dem Londoner Publikum war er noch unbekannt. Wahrscheinlich geht er auf eine Bearbeitung des zweiten Satzes für Klavier zurück, die 1798 bei einem Verleger in Wien unter dem Titel "Die Uhr" erschien.

Indessen gilt es, einem zweiten Missverständnis entgegenzutreten: das Mechanische als Thema eines Sinfoniesatzes durchzieht nicht nur das hervorstechende Ticken des Andantes. Auch das Presto des Kopfsatzes mit seinem furiosen 6/8-Takt arbeitet teilweise ganz mechanisch alle nur denkbaren thematischen Kombinationen ab. Und ganz und gar 'mechanistisch' werden im Trio des Menuetts (Allegretto!) Tonleitern auf- und abgespult, dieweil in den Streichern emotionslos an 'falschen' Harmonien festgehalten wird. Erst die ausgeschriebene Wiederholung ändert den Gang der Dinge. Und mechanisches Ticken im Fortissimo beendet auch den letzten Satz. Diese thematisch-motivischen Verknüpfungen legen womöglich sogar den Schluss einer geheimen Tempoverbindung zwischen allen Sätzen nahe, wonach die punktierten Viertel des Prestos (1. Satz) im Andante (2. Satz) etwa die Achtel werden, der halbe Takt im Andante einem ganzen im Menuett (3. Satz) entspricht, während beim abschließenden Vivace (4. Satz) die Halben wieder eine Brücke zum halben Takt des Kopfsatzes und damit auch zu den Achteln des zweiten Satzes bilden.

Unsere so von 'Emotionen' durchdrungene Zeit, erst recht jenes etwas wabernde Gerede von der Ausstrahlung eines Künstlers, namentlich eines Dirigenten, reagiert zuverlässig mit Irritation, wenn auf solch strukturelle Dinge verwiesen wird, die jedoch die Kompositionen der Zeit Haydns prägten. Die Größe Haydns, seine 'Ausstrahlung' beruht gerade in der perfekten Beherrschung dieser handwerklichen Grundbedingungen des Komponierens. Von diesem sicheren Fundament aus entwickelt er seine experimentellen und aufs Höchste kreativen Konzeptionen. Was mag ihn etwa bewegt haben, einem so mechanisch geprägten Stück eine dramatisch-tragische Einleitung in d-Moll vorangestellt zu haben? Wir wissen es nicht – die Idee indessen ist frappierend: das gesamte heitere Werk lang können wir den düsteren Grundton nicht vergessen. Mehr noch: die Mollabschnitte des zweiten Satzes, die Schreckensdissonanzen im Trio des Menuetts oder die intim-kapriziösen Fugati des Finales scheinen an diese Einleitung erinnern und das Mechanische hinterfragen zu wollen.

Und ganz und gar wird Haydn im kleinsten Detail zum größten Meister. Im Presto führt er uns bereits mit dem ersten Thema in die Irre. Die üblicherweise zu erwartende viertaktige Phrase besteht aus einem einleitenden Tonleitertakt und vier folgenden kadenzierenden, also insgesamt fünf Takten. Die Tonleiter vor dem eigentlichen Thema – wiewohl zu diesem gehörig - wirkt mithin, als ob die Uhr erst aufgezogen werden müsste… Dieses Prinzip übernimmt Haydn auch im zweiten Satz, dessen Thema immer ein Takt Ticken vorausgeht (Fagotte, Streicher pizzicati). Im zum Allegretto fortentwickelten Menuett finden wir das Mechanische insbesondere im Durchspielen verschiedener Varianten von Abwärtstonleitern. Alle Möglichkeiten der Betonungen – vorgezogene auf dem Auftakt, synkopische oder bordunartige auf der Eins – werden durchgespielt, ehe im Trio der erwähnte, gänzlich falsch wirkende Abschnitt mit dem stehenbleibenden D-Dur und der wie eine Spieluhr tickenden Flöte die schrecklichen Dissonanzen geradezu herausfordert. Das Finale hingegen sucht die Synthese: es nimmt die Idee der tickenden Spielereien auf, indem es das Ticken wieder in feuriges Musizieren und fulminante kontrapunktische Arbeit überführt. Dadurch entsteht ein Satz, der an die Bedeutung des Kopfsatzes direkt anknüpft und womöglich als Ausgangspunkt künftiger großer Finali angesehen werden kann – namentlich bei Beethoven ("Eroica") und Brahms (2. Sinfonie).

Die Bedeutung dieses sinfonischen Konzeptes für die Nachwelt kann gar nicht überschätzt werden. Die Aufführung einer der Londoner Sinfonien im Konzert der Sinfonietta Dresden mit Werken von Zeitgenossen zu konfrontieren, ist nur konsequent und knüpft an den fortschrittlichen, experimentellen Geist Haydns an. Einmal mehr dürfen wir uns erinnern, dass all unsere verehrten Komponisten zu ihrer Zeit Neuerer waren! Dem Neuen den Weg zu bahnen, selbst Neues zu schaffen war Haydns vornehmstes Ziel – als Schöpfer der Streichquartette und Sinfonien war er Avantgardist seiner Zeit. Dies nachdrücklich in Erinnerung zu rufen können wir nur, wenn wir es ihm gleich tun und für das Neue streiten.


Quellen:
Joseph Haydn, Kritische Ausgabe sämtlicher Sinfonien, Herausgeber H. C. Robbins Landon, Wien, 1968
Ludwig Finscher, Joseph Haydn und seine Zeit, Laaber-Verlag, 2002
Nikolaus Harnoncourt, Der musikalische Dialog, Kassel-Basel-London, 1987
Charles Rosen, Der klassische Stil, dt. Ausgabe Leipzig, 1983
Joseph Haydn, Artikel auf Wikipedia

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