17
Jun
2009

Historisches Konzert am kommenden Samstag im Palais des Großen Gartens in Dresden

Mendelssohn

Im Jahr 1849 jährte sich der Geburtstag Goethes zum 100. Mal. Aus diesem Anlass fand ein musikgeschichtlich seltenes und interessantes Ereignis statt – eine Ringuraufführung. Der (spätere) dritte Teil von Schumanns "Faust-Szenen" erklang gleichzeitig unter Julius Rietz in Leipzig, unter Franz Liszt in Weimar und im Palais des Großen Gartens unter Schumanns eigener Leitung in Dresden, wo die Familie sechs Jahre gelebt hatte, bevor sie nach Düsseldorf zog. Die Dresdner Aufführung, bei der auch Mendelssohns "Erste Walpurgisnacht" erklang, mündete in eine Art Volksfest, "an verschiedenen Punkten des Gartens" wurde "gesungen, musiziert und jubiliert". Musikfestspiele anno 1849...?!

Der Dresdner Musikwissenschaftler Hans John hat die Dokumente dieses Konzertes akribisch zusammengetragen und 2001 in den "Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft" veröffentlicht. Demnach gab es ein Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten, das aus 27 Personen bestand, unter ihnen Kreuzkantor Julius Otto, C. G. Carus, Eduard Devrient, Kreuzschulrektor Julius Klee, Oberbürgermeister F. W. Pfotenhauer, Hofkapellmeister C. G. Reißiger und eben Schumann selbst. Nachdem die revolutionären Mai-Ereignisse zunächst viel Verwirrung hinterlassen hatten und das Hoftheater sogar wochenlang geschlossen blieb, erschien am 4. August 1849 eine Annonce zu den Goethe-Feierlichkeiten incl. eines Spendenaufrufes. Schumann selbst hatte wegen seiner demokratischen und republikanischen Gesinnung keinen leichten Stand in Dresden; das Hauptkonzert der Feierlichkeiten dirigierte Hofkapellmeister Reißiger, der auch im Palais-Konzert die Walpurgisnacht von Mendelssohn leitete. Als Orchester stand die Hofkapelle zur Verfügung, die Chöre waren der Chorgesangverein und die Dreyßig'sche Singakademie. Schumann dirigierte seinen "Faust" selbst. Von einer Unterstützung Claras ist die Rede – worin diese bestand, bleibt offen, ein Klavier ist nicht besetzt im Stück.

Das Konzert am 20.06.09 um 19.30 Uhr im Palais des Großen Gartens stellt dieses "historische Konzert" nach und will damit nicht zuletzt die Aufmerksamkeit auf zwei Dinge lenken: auf den DRESDNER Komponisten Robert Schumann, der hier seine fruchtbarsten Schaffensjahre verbrachte, und auf das Palais als einen Ort, in dem Kunst- und Musikgeschichte geschrieben wurde!

Unter Leitung von GMD Georg Christoph Sandmann erklang das Programm bereits in Sinfoniekonzerten in Plauen und Zwickau (dort innerhalb der Zwickauer Musiktage 2009). Wir danken dem Theater und dem Philharmonischen Orchester Plauen-Zwickau für die gemeinsame Arbeit und wundervolle Kooperation!





Felix Mendelssohn Bartholdy, "Die erste Walpurgisnacht" - eine Einführung
(eine Einführung zu Schumanns Faust-Szenen findet sich hier.



"Musik im besten Sinne bedarf weniger der Neuheit, ja
vielmehr je älter sie ist, je gewohnter man sie ist, desto mehr
wirkt sie."

(Goethe, Maximen und Reflexionen)


"Man muß Mendelssohns Töne hören, um zu ermessen, was alles ein so reichhaltiger Stoff einem geschickten Komponisten darbietet. Er hat ihn wunderbar benutzt."

(Berlioz über eine Aufführung der "Walpurgisnacht")



Das Spannungsfeld des musikalisch eher konservativ orientierten und von Zelter entsprechend unterrichteten Goethe und des musikalischen Neuerers Berlioz, über dessen "Niesen" und "Prusten" in der Musik sich Zelter gegenüber Goethe mokierte (wiewohl Berlioz Goethe verehrte!) – dieses Spannungsfeld wirft im Falle der "Ersten Walpurgisnacht" ein überaus interessantes Licht auf Mendelssohn, ist doch seine sinfonische Kantate oder Ballade ein tatsächlich sehr vorwärtsweisendes Werk, es hätte sonst auch kaum den Beifall aus Frankreich erhalten!

Zelter selbst hatte sich nicht zur Vertonung der "Walpurgisnacht" entschließen wollen, ihm hatte der Text seit 1799 vorgelegen. Er habe "die Luft nicht finden" können, "die durch das Ganze weht". Nach Mendelssohns letztem Aufenthalt in Weimar und während der darauffolgenden Italienreise reifte die Komposition in Felix' Kopf. In einer ersten Fassung wurde sie 1831 fertiggestellt, 1843 aber überarbeitet und als solche am 2. Februar 1843 im Gewandhaus zu Leipzig unter Teilnahme u.a. von H. Berlioz aufgeführt.

In vielerlei Hinsicht bricht das Werk mit Traditionen und gehört somit zu Mendelssohns 'modernsten' Kompositionen. Schon die Gattungsbezeichnung gibt Rätsel auf: kein Oratorium, eher eine Kantate, vielleicht aber doch lieber eine Ballade? Zudem wird Goethes Text um ein entscheidendes Stück erweitert, indem der Komponist unter dem Titel "Das schlechte Wetter" eine furiose Ouvertüre hinzufügt, die noch dazu durch ihre monothematische Anlage eine veritable Novität darstellt und die Eigenheit der Musik gegenüber der Dichtung eindrucksvoll unterstreicht. Der Biograph Wulf Konold (Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Zeit, Regensburg 1984) hält die Ouvertüre für eines der "formal stringentesten und orchestral überzeugendsten Vorspiele" Mendelssohns und verweist auf die Entwicklungslinien, die von hier über die Schottische Sinfonie bis hin zu Richard Wagner führen.

Doch um das Werk und sein Verständnis weiter zu erhellen, sei ein Blick auf zwei wichtige biografische Hintergründe und sodann ein zweiter auf die neuere Mendelssohn-Literatur geworfen.


Künstlerfreundschaft mit 60 Jahren Altersdistanz

Goethe lernte den Komponisten Mendelssohn 1821 kennen, als dieser 12 war. Zelters Ankündigung des Besuchs wirft ein Schlaglicht auf den Geist der Zeit: "Er ist zwar ein Judensohn, aber kein Jude. Der Vater hat mit bedeutender Aufopferung seine Söhne nicht beschneiden lassen und erzieht sie, wie sich's gehört; es wäre wirklich einmal etwas Rares, wenn aus einem Judensohne ein Künstler würde." – ein Brief, der den Unmut der Familie Mendelssohn hervorrief. Zunächst existierte die Bewunderung für das Talent des Knaben. Doch bereits 1825 notiert Mendelssohn "…wenn einem Göthe Champagner anbietet, und einschenkt, darf man ihn doch nicht ausschlagen?" Einige Briefzitate wenig später bezeugen trotz des Champagners, dass Goethe für Mendelssohn eine unumstößliche Autorität blieb. Es spricht umso mehr für Mendelssohns freien Künstlergeist und seine menschliche Integrität, wenn er beim dritten und letzten Besuch im Jahr 1830 dem Weimarer Dichterfürsten Musik von Beethoven vorspielte: "An den Beethoven wollte er gar nicht heran. – Ich sagte ihm aber, ich könne ihm nicht helfen, und spielte ihm nun das erste Stück der C-Moll-Symphonie vor. Das berührte ihn ganz seltsam." An Zelter schrieb Goethe, Mendelssohn habe ihm Bach, Mozart, Haydn und Gluck neu zum Leben gebracht, "von den neuern Technikern" habe er ihm "hinreichende Begriffe gegeben" und auch eigene Stücke vorgestellt. Goethe nötigte den jungen Komponisten sogar, länger in Weimar zu bleiben, was dieser nicht bereute, sondern diesen Tag als einen ganz besonderen erlebte. Es hatte sich über die Altersdistanz von 60 Jahren tatsächlich eine Künstlerfreundschaft entwickelt.

"…die Wahrheit nur Eine und ewig"

Ein zweiter wichtiger Hintergrund im Zusammenhang mit einem Stück, in dem über die "dumpfen Pfaffenchristen" gelästert wird, kann an dieser Stelle nicht übergangen werden: Mendelssohns jüdische Herkunft. Großvater Moses, der Philosoph, der Lessing zur Ringparabel inspirierte und die Emanzipation der Juden in Preußen einleitete, wurde – von Dessau kommend – in Berlin noch als Jude registriert, der neben soundso viel Ochsen und Schweinen das Tor passierte. Von dort bis zum ersten im europäischen Maßstab erfolgreichen jüdischen Komponisten (einzig Meyerbeer hatte noch ähnliche Berühmtheit) war ein zeitlich ebenso kurzer wie dennoch steiniger Weg, der in den 1840-er Jahren, also zur Zeit der Entstehung der Umarbeitung der Walpurgisnacht und später des "Elias" eher schon wieder ins Schlingern geriet. Die Mitte dieses dünnen Pfads stellt die protestantische Taufe der Kinder Fanny, Felix, Rebecca und Paul im Jahr 1816 dar sowie der Übertritt des Vaters Abraham (des Sohnes von Moses) und seiner Frau Lea im Jahr 1822. Im guten Glauben, den Kindern das Beste getan zu haben und durchaus in der kritischen Distanz zum zurückgebliebenen, dem Mittelalter verhafteten Judentum der Zeit ermahnt Abraham Felix 1829: "Du kannst und darfst nicht Felix Mendelssohn heißen." In London war der seit dem Übertritt angenommene Zusatzname Bartholdy auf Plakaten weggelassen worden. Das hatte den Zorn des Vaters erregt. Seine Antwort auf die väterlichen Ermahnungen ist erst in den letzten Jahren teilweise wieder rekonstruiert worden – alles in allem hat Felix wohl kühl reagiert.
Im gleichen Brief äußert sich Abraham zu seinen Erziehungsprinzipien und schreibt: "…ich hatte gelernt, … , daß die Wahrheit nur Eine und ewig, die Form aber vielfach und vergänglich ist, und so erzog ich Euch, solange die Staatsverfassung unter der wir damals lebten, es zugeben wollte, frei von aller religiösen Form…" Die jüdische bezeichnet er dabei als die veraltete, verdorbene und zweckwidrige, die christliche als die gereinigte.

In diesem Kontext nun wenig später von Felix ein Stück Literatur eines verehrten Dichters vertont zu sehen, das die Worte "Die Flamme reinigt sich vom Rauch: so reinig' unsern Glauben" beinhaltet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, zumal dieser Glaube ganz eindeutig nicht der christliche ist, sondern vielleicht ein – möglicherweise durch Goethe inspiriert? – wie auch immer gearteter pantheistischer an den "Allvater", der dem alten Brauch der Walpurgisnacht huldigt und die Pfaffenchristen fliehen lässt, die ihrerseits Kinder und Väter hatten schlachten lassen und den "Heiden" Netze stellten, um mit ihrem Christenglauben den alten heidnischen zu überwinden.

"Frömmelnde Religiosität" oder jüdisches Bilderverbot?

Ausgerechnet an dieser Auseinandersetzung entzündet sich Mendelssohns Fantasie auf das Herrlichste und es scheint mehr als nur die Lust an Ironie und deftiger Klangmalerei zu sein, was ihn hier antrieb. In der neueren Mendelssohn-Literatur wird erheblich um das Thema gestritten. Eric Werner war wohl der Erste, der sich 1963 auf das Jüdische in Mendelssohns Biografie konzentrierte und von dort aus eine neue Sicht entwickelte. Inzwischen haben Jeffrey Sposato und Raphael Graf von Hoensbroech ("F. M. B.s unvollendetes Oratorium Christus", Kassel 2006) nachgewiesen, dass Werner unkorrekt argumentierte und sogar Zeugnisse für seine 'Neusicht' umgedeutet und verfälscht wiedergegeben hat. Mendelssohn als Juden zu rehabilitieren, wäre möglicherweise Werners Ziel unmittelbar nach dem Krieg gewesen. Sposato und Hoensbroech halten fest, dass Mendelssohn bis zum Tod des Vaters (1835) darauf bedacht gewesen sei, "seinen protestantischen Glauben darzustellen, die jüdische Vergangenheit hingegen zu verbergen. … Der Tod des Vaters verursachte eine Kehrtwende in Mendelssohns Sicht auf die Juden. Er schien nun mehr und mehr seine jüdische Herkunft anzuerkennen und war mit fortschreitendem Alter bereit, sie in seinen christlichen Glauben mit einzubeziehen."

Richard Hauser und Heinz Klaus Metzger ("Musik-Konzepte 14/15", München 1980) widmeten sich speziell der Kantate und lesen die "Walpurgisnacht" auf ihre Art: Hauser erwähnt die zeitliche Nähe der großen Oratorien und der Umarbeitung der "Walpurgisnacht" und attestiert dieser mit den Worten Ulrich Schreibers "frömmelnde Religiosität". Das außermusikalische Engagement des Komponisten habe seine Fantasie gelähmt, der provokanteste Vers ("Diese dumpfen Pfaffenchristen…") sei lediglich als Rezitativ vertont und über den Schluss des Werkes schreibt Hauser: "Wie Zelter hat auch er die Luft nicht finden können, die durch das Ganze weht, aus dem simplen Grund, weil in dem Ganzen schlicht keine Luft weht, vielmehr alles steril bleibt, ein pantheistischer Psalm auf einen allliebenden Allvater, der so blass bleibt wie alles, was über ihn gesagt wird: die All-Liebe ist nicht vertonbar, sie ist eine rhetorische Phrase, die gerade einem Mendelssohn keine Wärme einhauchen kann." Es sei kein Zufall, dass darum der Aktionschor "Kommt mit Zacken" der Höhepunkt der Komposition sei.

Metzger dagegen deutet das Stück konsequent vor dem jüdischen biografischen Hintergrund, spricht zwar selbstkritisch von einer Spekulation, die er aber mit brillanten Argumenten vorträgt, etwa, wenn die lange Ouvertüre ("Das schlechte Wetter") mit dem langen Winter der Juden in Europa in Verbindung gebracht wird. Metzger hört und liest das Werk als "jüdischen Protest gegen die Herrschaft des Christentums". "In feierlichem Wechselgesang zwischen Vorbeter/Kantor und Volk artikuliert Nr. 1 der Kantate den Jubel eines ersten Aufatmens ('…der Wald ist frei…') nach tausendjähriger christlicher Oppression", weiter geht es über die Warnung der alten Frau und der Weiber, die nicht weit hergeholt, sondern von historischer Erfahrung geprägt sei bis zu einem (Hohe)Priester, der an die Verzagten appelliert ("Wer Opfer heut zu bringen scheut, verdient erst seine Bande"), jedoch Vorsichtsmaßregeln zubilligt ("Doch bleiben wir im Buschrevier am Tage noch im Stillen"). "Dann aber laßt mit frischem Muth uns unsre Pflicht erfüllen" sei demnach eine Rückbesinnung auf das Gesetz Mosis wie der gesamte Zacken-Chor ein riesiger Aufschrei der gequälten Juden. Das von Hauser erwähnte Rezitativ avanciert damit zum Zentrum: es ist deklamierendes Rezitativ, damit das Ziel der "subversiven Demonstration" verstanden wird, nämlich die Überlistung der "dumpfen Pfaffenchristen". Und was die nicht vertonbare All-Liebe betrifft, so schreibt Metzger: "der 'Allvater' der Mendelssohnschen Komposition ist nicht der heidnische, pantheistische, idealistische, den Goethe seinen Pseudokelten andichtete, sondern 'Unser Gott und König, außer dem wir keinen König anerkennen', und seine 'Unvertonbarkeit' ist die moderne Gestalt des Bilderverbots…" (Für ein Bilderverbot, ließe sich einwenden, ist die Musik nun wieder zu stark und schön…)

Dieser – vielleicht spekulativen, jedoch ungemein überzeugenden – Argumentationskette sei noch ein von Metzger und Hauser nicht erwähnter Bezug hinzugefügt: "Dein Licht, wer kann es rauben", heißt es im Text. Und das Licht Mendelssohns am Ende der Walpurgisnacht leuchtet fast ebenso grell wie jenes in Haydns "Schöpfung", fortissimo und C-Dur. Zufall?

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