Prolog zum Jubiläum
Vorschau auf ein interessantes Konzertprojekt am 9. und 10. Oktober 2009:
9. Oktober, Lukaskirche Dresden, 19.30 Uhr
Ekkehard Klemm, PSALMEN nach Texten von Christoph Eisenhuth
Gesprächsrunde zum Thema Komponieren und Dichten in der DDR
(mit Manfred Weiß, Wilfried Krätzschmar, Jörg Herchet, Christoph Eisenhuth, Michael Wüstefeld)
10. Oktober, Lukaskirche Dresden, 16.30 Uhr
Arnold Schönberg, Moses und Aron, 1. Szene
Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem, Satz 1-6
Arnold Schönberg, Ein Überlebender aus Warschau
Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem, Satz 7
Das 125-jährige Jubiläum der Singakademie Dresden fällt zusammen mit dem Gedenken an den Mauerfall in Deutschland vor 20 Jahren. Erinnern, Freude und Dankbarkeit über eine 125-jährige Vereinsgeschichte, Rückblicke und Ausblicke greifen ineinander.
Das Konzert am 10. Oktober 2009 knüpft an eine lange Tradition musikalischer Zusammenarbeit in Dresden an: von 1923 – 1933 war Fritz Busch neben seiner Tätigkeit als Generalmusikdirektor der Dresdner Oper gleichzeitig "Liedermeister" des Lehrergesangvereins. Er fügte dem reinen Männerchor 1928 die Damen hinzu und etablierte mit der Sächsischen Staatskapelle eine ständige Zusammenarbeit, die seither eine regelmäßige Konstante des Chorlebens darstellt. Zum 120-jährigen Jubiläum mündete sie in eine Aufführung des Requiems von Verdi, nachdem die Singakademie in den Jahren zuvor auch bei Konzerten und (mittlerweile mit einem "Echo" prämierten) CD-Aufnahmen u.a. der Totenmesse von Berlioz beteiligt war.
Die Tradition der gemeinsamen Aufführung des "Deutschen Requiems" von Johannes Brahms besteht schon seit Jahrzehnten. Gleichzeitig zeichnete sich die Singakademie gerade in den letzten Jahren durch programmatische Akzentsetzungen aus: Werke zeitgenössischer Komponisten, Ur- und Erstaufführungen prägten immer wieder die Konzerte des Chores, das Vertrauen auf zu Bewahrendes wurde stets durch das Aufbrechen des Bewährten kontrastiert, um dadurch Reibungsflächen zu schaffen, die Raum geben für neue Entwicklungen. Diese beiden Linien sollten gerade in den Jubiläumskonzerten auch ihren Niederschlag finden.
Das Nachdenken über 20 Jahre Mauerfall, über Schuld und Verstrickung, über Vergebung und Befreiung, über Diktatur und Demokratie – über Deutschland allgemein ist deshalb Anlass, der 'traditionellen' Aufführung des Requiems von Brahms zwei Werke von Arnold Schönberg entgegenzustellen: die Eröffnungsszene aus der Oper "Moses und Aron" sowie "Ein Überlebender aus Warschau". Während in der ersten Szene der Oper "Moses und Aron" mit Moses' Berufung durch Gott (Stimme aus dem brennenden Dornbusch) der Beginn der monotheistischen Religion musikalisiert wird, markiert "Ein Überlebender aus Warschau" das Überleben des Gottesgedankens im Terror des Holocaust: die zum Gang ins Gas abgezählten Juden stimmen das alte jüdische Gebet "Shema Yisroel" an.
"Denn wir haben hie keine bleibende Statt", heißt es bei Johannes Brahms mit den Worten des Hebräer-Briefes: für niemanden bekam diese Aussage schrecklichere Gewissheit als für die Juden in der Zeit des Naziterrors. Dem triumphalen C-Dur des 6. Satzes wird deshalb Schönbergs "Überlebender" antworten, bevor der 7. Satz mit dem "Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben" (Offenbarung des Johannis) die Brücke zur ersten Szene des "Moses" schlagen wird: es ist derselbe Herr, von dem dort wie hier geredet wird. Die Brüchigkeit alles Redens von Gott hat nach Bach fast alle Komponisten beschäftigt: Mozart – gläubig und sicher tief religiös, aber kein praktizierender Katholik –scheiterte gerade bei seinen bedeutendsten geistlichen Werken, die fragmentarisch blieben; Mendelssohn entdeckte gegen Ende seines Lebens zunehmend seine jüdischen Wurzeln und integrierte in seinen "Elias" synagogale Gesänge; Brahms wollte das Wort "deutsch" durch das Wort "Menschen" ersetzen – "Ein Menschen-Requiem" hätte dann der Titel des Werkes geheißen, das oft als ein typisch protestantisches bezeichnet wird, dies aber in der Einschätzung der Apologeten mehr ist als in dem vom Komponisten intendierten Sinn.
Diese letzte Überlegung war der Anstoß, das Ungewöhnliche zu wagen, "Shema Yisroel" mit "Selig sind die Toten" zu verbinden, mit Schönbergs Kantate das Requiem von Brahms zu unterbrechen und dennoch zu hoffen, dieser Kontrast möge weder als Zertrümmern eines beliebten Stückes noch als Vereinnahmung jüdischen Gedankenguts für "christliche" Sichtweisen missverstanden werden. Angesichts des Geschehenen kann ohnehin nur gelten, sich zu verneigen. Das geschieht in dieser Gegenüberstellung m.E. besonders signifikant. Beiden Werken, dem Requiem wie der Kantate ist die Hoffnung auf den Sinn des Gottesgedankens zu eigen, wie sie just in der ersten Szene des "Moses" formuliert wird. Fast fühlen wir uns an die Worte des Vaters von Felix Mendelssohn Bartholdy, Abraham, erinnert, der seinem Sohn schreibt: "…ich hatte gelernt, … , daß die Wahrheit nur Eine und ewig, die Form aber vielfach und vergänglich ist…". Oder, um mit Christoph Eisenhuth zu sprechen:
Bilder in Spiegeln entworfen
Die unverhoffte Wendung füllt sie aus
Seitenverstellt in der Höhe verschoben
Tränen halten ihre Dimensionen zusammen
Im Konzert am 9. Oktober steht die Erinnerung an die Ereignisse vor 20 Jahren im Mittelpunkt. Ich selbst – fasziniert von den Gedichten Christoph Eisenhuths – schrieb im Jahr 1988 das Stück "Psalmen", das unmittelbar vor der 'Wende' uraufgeführt wurde und 1989 u.a. im gerade rekonstruierten Greifswalder Dom erklang. Töne, Text und politische Ereignisse durchdrangen sich auf merkwürdige Weise – wie sicher in vielen Werken der damaligen Zeit. Darüber zu berichten soll Thema einer Gesprächsrunde mit Dresdner Künstlern im Anschluss sein.
Allen Mitwirkenden sei bereits an dieser Stelle für das besondere Engagement für diese ungewöhnlichen Konzerte gedankt! Wir freuen uns, dass namhafte Künstler wie Olaf Bär und ein Orchester vom Range der Sächsischen Staatskapelle ebenso beteiligt sind wie junge Soli, Musikerinnen und Musiker der Sinfonietta Dresden (am ersten Abend). Ganz herzlich begrüßen wir die Gäste des Münchner Motettenchores und Mitglieder des Bad Hersfelder Festspielchores, die sich nach Dresden auf den Weg machen werden, um gemeinsam 125 Jahre Singakademie Dresden und 20 Jahre Mauerfall zu feiern – eine Geste, über die wir uns besonders freuen!
klemmdirigiert - 2009-09-12 21:35
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