17
Jul
2010

Siegfried Kurz zum 80.

Siegfried-Kurz

(leider kein sehr scharfes Bild, aber immerhin ein recht aktuelles)

CD-Tipps: Romantische Hornkonzerte mit Peter Damm; Vorklassische Hornkonzerte mit Peter Damm; Levins Mühle von Udo Zimmermann; Verdi, RIGOLETTO; Donizetti, DON PASQUALE; Kurz, Trompetenkonzert (u.a.); Tschaikowski, 5. Sinfonie mit der Dresdner Staatskapelle; Harfenkonzerte mit Jutta Zoff; Opernszenen mit Reiner Goldberg;
Rosenkavalier mit der Dresdner Staatsoper aus dem "La Fenice"

"O Wort, du Wort, das mir fehlt!"


Der berühmte Satz am Ende von Schönbergs unvollendeter Oper MOSES UND ARON könnte treffender nicht das Dilemma eines Dirigenten, Komponisten und Dirigierlehrers umreißen, mithin eines Menschen, der durch Hände und Töne stumm ausdrückt und gestaltet.

Zum ersten Mal nahm ich diesen Text am Ende eines Abends wahr, der zu den nachdrücklichsten Erfolgen des Jubilars gehörte. Wer immer die Aufführung im Großen Haus erlebt hat, wird sich an die entwaffnend einfache Lösung Harry Kupfers für den brennenden Dornbusch ebenso erinnern wie an die phänomenale Leistung von Reiner Goldberg, Werner Haseleu, von Staatsopernchor, Staatskapelle und eben: Siegfried Kurz am Pult. Ein Meilenstein der Dresdner Operngeschichte; ich selbst erlebte die Produktion als Schüler – nicht ahnend, dass der Mann im Graben wenig später mein Lehrer sein würde.

Es fehlen die Worte, die Leistungen des Dirigenten Kurz zu würdigen: er war als GMD in Dresden und Berlin über Jahrzehnte ein Garant hervorragender Aufführungen, beherrschte traumwandlerisch das große Repertoire, das er außer den genannten Städten auch u.a. in Leipzig (TRISTAN und ROSENKAVALIER), in Paris (RHEINGOLD), Buenos Aires (ROSENKAVALIER), Bonn (WOZZECK, PARSIFAL, DER FEURIGE ENGEL), Genf (WOZZECK), in Japan, den USA und anderswo dirigierte.

Ich darf mich glücklich schätzen, ungezählte Abende mit Kurz am Pult erlebt zu haben. Viele davon sind in lebhafter Erinnerung. Während einer ZAUBERFLÖTE in Dresden führte er mir vor, dass man das 'Sprecherrecitativ' durchaus mit nur einer Hand (samt Stab) dirigieren kann, die alles Nötige zu zeigen imstande ist. Die Linke wanderte demonstrativ auf den Rücken. Das Orchester mag sich gewundert haben, was mit dem Dirigenten passiert sei – allein der Schüler in den oberen Etagen des Opernhauses ahnte, wem die Lehrvorführung galt… Unvergessen sind die Perfektion der Ensembles in FALSTAFF, die Sicherheit der Begleitung in RIGOLETTO oder TOSCA (in Dresden und Berlin), die Choreografie der linken Hand für die Einsätze der 5 Soli im Judenquintett der SALOME. Das Stück übernahm Kurz innerhalb eines Tages für einen erkrankten Dirigenten in der Berliner Staatsoper, nachdem er es über ein Jahrzehnt nicht dirigiert hatte. Das Dirigat war der Grundstein für die Tätigkeit in der Lindenoper. Nachdrücklich im Gedächtnis bleiben auch der Dresdner TANNHÄUSER (mit den fulminanten Tenören Goldberg oder König), die Berliner MEISTERSINGER mit einer an Präzision nicht zu übertreffenden 'Prügelfuge' sowie Vorstellungen des ROSENKAVALIER, dessen Walzer kaum farbiger, pointierter, im Tempo flexibler denkbar sind. Ein Gastspiel der alten Dresdner Produktion im "La Fenice" existiert sogar als Live-Mitschnitt auf CD und gibt Kunde von der Qualität der damaligen Dresdner Ensemblekunst. Eins darf nicht vergessen werden: Unter Kurz musizierte das Orchester leise! Sehr energisch schnellte die Linke nach vorn und verlangte sofortiges Dämpfen der Lautstärke. Strauss' ELEKTRA war ein kammermusikalisch durchhörbares Stück und in der Inszenierung der Berghaus in Dresden bei Kurz am leisesten.

Ich erlebte FREISCHÜTZ, FIDELIO, ENTFÜHRUNG, ONEGIN, RUSALKA, IL TRITTICO, LOHENGRIN unter Leitung des Jubilars. Hinzu kamen viele Konzerte, u.a. Bruckners 2., Dvořaks 8. Sinfonie, Stravinskis "Petrushka". Hier war ich in einer Hauptprobe. Bei einem 5/8-Takt, der ständig zwischen 2+3 und 3+2 wechselt, passte sich Kurz der Struktur an und dirigierte wechselnd: Das Ergebnis war unsicher, verunsichert war auch der Schüler. Im Konzert wurde durchgehend 2+3 dirigiert – die Stelle war perfekt zusammen, der Schüler aufgeklärt.

Selten erlebte ich den Dirigenten aufgeregt oder nervös. Angespannt wohl öfter, 'auf dem Sprung' ohnehin immer. Wirkliches Lampenfieber vermute ich noch heute vor der Aufführung am 13.2.1983 in Leipzig: Für die Gedenkvorstellung zum hundertsten Todestag von Richard Wagner hatten Gewandhaus und Opernhaus TRISTAN angesetzt und Siegfried Kurz eingeladen. Meines Wissens dirigierte er das Stück erstmals und hatte nur wenige Proben vorher. Kurz kämpfte etwas mit dem Orchester, das sein pünktliches Spielen 'auf den Schlag' nicht gewohnt war – die Linke zeigte mehrmals auf die Stockspitze, bald wurden die Mahnungen erhört. Mir ist ein grandioser Erfolg in Erinnerung.

Neben den schon erwähnten Opern Bergs und Schönbergs war Siegfried Kurz mit dem LUKULLUS, dem LANZELOT von Paul Dessau, der ANTIGONE von Orff oder mit LEVINS MÜHLE von Udo Zimmermann auch stets ein Anwalt des Ungewohnten und Modernen.

Das sollte nicht verschwiegen werden: oft genug ein unbequemer Anwalt! Musikerinnen und Musiker fürchteten seinen in gediegenem Sächsisch vorgetragenen Zorn ebenso, wie Sängerinnen und Sänger schon in der Pause damit rechnen mussten, ins Zimmer des GMD gebeten zu werden... Die so Kritisierten rühmen heute fast alle und ausnahmslos die Gründlichkeit, die Genauigkeit und den Furor, der hinter allem Ärger stand. Es ging Siegfried Kurz stets um die Sache.
Sauberes Handwerk prägte sein Dirigieren, detaillierteste Partiturkenntnis sein Arbeiten, lebendiges Musizieren seinen Stil. Und noch heute erinnern sich viele der wundervollen Führung durch die Hand des in den Proben so ungnädigen Dirigenten.

1979 wurde ich sein erster Hauptfachschüler im Dirigieren. Die erste Stunde verging mit den einleitenden 8 Takten der Freischütz-Ouvertüre – und auch danach nahm das Arbeitstempo keineswegs deutlich zu. Der Unterricht fand in der Regel montags 8 Uhr in der Hochschule statt, 10 Uhr hatte Kurz Probe im Großen Haus. Ein Schüler spielte, manchmal ein zweiter, einer dirigierte. Unterricht in der Oper gab es manchmal donnerstags 13 Uhr im Zimmer des GMD – dann ohne Handschlag zur Begrüßung: "Wenn ich hier jedem die Hand gäbe, müsste ich 300 mal am Tag die Hand geben!" war die nüchterne Begründung für die verständliche Maßnahme. Beim Handschlag am Montagmorgen dagegen war zu überprüfen, wie erfolgreich das Wochenende in den Bergen der Sächsischen Schweiz verlaufen war: Es kam vor, dass ein Sturz zu Problemen beim Händeschütteln führte – die Leidenschaft des Kletterns war ein wichtiger Ausgleich für den bodenständigen Dirigenten.

Tempo und Rhythmus sowie die Sauberkeit des Dirigats waren Hauptthemen beim wöchentlichen Treffen, das auch in Sachen Klarheit der Kritik keine Fragen offen ließ. An die Direktheit musste man sich gewöhnen – sie überstanden zu haben ist wahrscheinlich der größte Gewinn. 14 Jahre nach dem letzten Unterricht wohnte Kurz einer von mir dirigierten Probe in der Semperoper bei, wo ich kurzfristig einen Aufführungsabend der Staatskapelle übernommen hatte – plötzlich sah ich den Maestro im Parkett sitzen. Statt einer irgendwie gearteten Begrüßung mahnte er aus 20 Metern Entfernung überdeutlich an, ich solle die Eins gefälligst ordentlich nach unten schlagen. Weitere 10 Jahre später, also 24 nach dem Studium traute ich den Ohren nicht: "Das mit dem Stock machen Sie ja jetzt schon ganz gut." – im gleichen Atemzug kam Kritik zu den Tempi in Strauss' "Till Eulenspiegel". Sie war ebenso berechtigt wie konstruktiv und hilfreich. Es kam vor, dass nach der Semesterpause der Unterricht begann mit einem "Vor allem ist es ja so…", worauf eine Auseinandersetzung mit dem Thema der letzten Stunde folgte, die 10 Wochen zurücklag. Kein Austausch über den Urlaub etc. – immer an der Sache orientiert. Bei einer der letzten Begegnungen innerhalb des Studiums kam mir die Aufgabe zu, einen Kollegen am Klavier zu begleiten: CARMEN, Quintett, 2. Akt, Des-Dur, schnell und schwer. Ich stümperte mich durch und wunderte mich, dass keine Kommentare kamen. Die Stunde schloss mit einem "Na, Klemm, hast wohl mit Deiner pianistischen Laufbahn auch schon abgeschlossen". (Man stelle sich den Satz in durchaus deutlich sächsischem Akzent vor.) Gott sei Dank war der Humor ein ständiger Begleiter des Weges.

Es fehlen die Worte, diesen nachzuzeichnen und Siegfried Kurz mögen beim Beschreiben des Phänomens Dirigieren bisweilen jene des Erklärens gefehlt haben: es war alles in allem ein wundervoller, mitunter eben sogar heiterer Weg, ganz auf die Erlernung des dirigentischen Handwerks konzentriert. Nach mir gingen ihn u.a. Gerd Herklotz, Martin Hoff, Hans Christoph Rademann, Eckehard Stier, Michael Güttler, Maja Sequiera, Annunziata de Paola – allesamt erfolgreiche Dirigenten, die ihren Weg gefunden haben.

"O Wort, du Wort, das mir fehlt"... – nicht zuletzt könnte das ein passender Wahlspruch für einen Komponisten sein. Zumal für einen, der vor allem wegen seiner Dirigenten- und Lehrtätigkeit als Tondichter in den letzten Jahren verstummte. Sein als junger Mann mit Schwung hingeworfenes Trompetenkonzert gehörte seinerzeit sogar zum Schulstoff: ein noch heute interessantes Dokument lebendigen, modernen Komponierens aus den 50-er Jahren. Bedeutende Stücke kamen später hinzu: das Hornkonzert für Peter Damm, 2 Sinfonien, ein Klavierkonzert, Kammermusik und sogar ein Musical.

Wir sagen Dank für ungezählte musikalische Erlebnisse unter seiner Stabführung – hier in Dresden allein über 2000 Abende!, insgesamt nahezu 3000! Danke für eine unvergessliche Zeit des Lernens! Glückwunsch zum Achtzigsten – Siegfried Kurz!

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