16
Sep
2007

Rolf Reuter +

Reuter1

Was für ein Charakterkopf - Rolf Reuter ist letzte Woche gestorben.

Rolf wer? Es gehört zur Tragik einer ganzen Generation von fantastischen Dirigenten des ehemaligen Ostblocks, das sie heute keiner mehr kennt. Siegfried Kurz, Rolf Reuter, Herbert Kegel, Heinz Fricke, Robert Hanell, Heinz Rögner, Max Pommer, in Prag Martin Turnowski (der kurze Zeit in Dresden Chef der Staatskapelle war und 68 aus Protest die DDR verließ, zusammen mit dem bekannteren Vaclav Neumann, der damals Gewandhaus-Chef in Leipzig war), die Liste kann fortgesetzt werden. Abseits der großen Medienmaschinen, die in Salzburg, Berlin, Bayreuth, bei der Deutschen Grammophon und anderswo Karrieren prägte, dirigierte im Osten eine Phalanx hochkarätiger Dirigenten, denen der Weg zum ganz großen Durchbruch zwar verwehrt blieb, von deren Arbeit heute jedoch fast ausnahmslos gechwärmt wird: die Abwesenheit der Gefahr, mit den neuen Medien dem schönen Schein zu verfallen, zeitigte eine Art der Interpretation, die zumeist von sauberem Handwerk, interpretatorischer Genauigkeit, künstlerischer Ehrlichkeit - im besten Fall durch Leidenschaft und durchaus nicht selten von Genialität geprägt war.

Reuter war unter den Erwähnten ein Schwergewicht in Sachen Interpretation. Seine Berliner MEISTERSINGER (mit Harry Kupfer und dem berühmten Riesenbaum auf der Bühne) sind mir als feuriger, transparent musizierter Wagner-Abend, die JUDITH von Matthus als beeindruckende Uraufführung in lebhafter Erinnerung! (Zum letzten Mal erlebte ich ihn als Dirigent in Rheinsberg mit einem FALSTAFF von Salieri, wenn ich das recht im Kopf habe.)
Mit großer Strenge verlangte er, die Viertel des letzten Taktes der Einleitung von Mozarts Es-dur-Sinfonie in die Ganzen des Allegros münden zu lassen - klare Grundsätze und eine geistige Durchdringung von großer Dichte prägten seine Vorstellungen.

"Erst kommt der Inhalt" lautete sein Credo, das er uns jungen Leuten in Seminaren mit auf den Weg gab. Ich selbst hatte das Vergnügen, 1988 an einem Kurs in Weimar teilzunehmen. Da ich bereits 4 Jahre als Kapellmeister und teilweise amtierender Chef in Altenburg hinter mir hatte, sah ich mich zwar mit der Tatsache konfrontiert, das Reuter mich fragte "...und was wollen Sie dann hier?" - dennoch, der Profit dieser 14 Tage war erheblich.

Denkwürdig für mich ein privates Mittagessen im Hotel Elefant: ich wollte Reuters Rat wegen der bevorstehenden Übernahme des Chefpostens in Greifswald - damals ein kleines Theater auf der Kippe: langjährige Rekonstruktionsarbeiten und Vakanzen ohne Ende hatten das Ensemble mürbe gemacht. Hilfe war nur zu bekommen, wenn die staatlichen Stellen den Neuanfang auch unterstützten, Wohnungen für junge Absolventen zur Verfügung stellten z.B. Reuter schien mir (damals GMD in der Komischen Oper Berlin und stets ein unbequemer Partner jener Ämter) als Ratgeber der Richtige. "Bestellen Sie mal schon", wies er mich an und setzte, leicht resigniert hinzu: "für mich Spiegeleier, was anderes haben die hier ja nicht." - Reuter war Vegetarier... Der eigentliche Rat Reuters war kurz und bündig: "Gehen Sie zu Frau Ragwitz" - mithin in die Höhle des Löwen: Ragwitz war die Kulturchefin des ZK der SED. Ich schrieb also einen Brief, teilte mein Konzept mit und wurde zu zwei Herren ins ZK geladen - Ragwitz selbst ließ sich entschuldigen, so wichtig war Greifswald nun auch nicht. Sie ließ mir aber beste Wünsche übermitteln, was immerhin hieß: 'machen Sie mal'. Die zwei Herren (nach meiner Erinnerung Müller und Hafrannek oder so ähnlich, der eine zuständig für Theater, der andere für Musik) waren äußerst zuvorkommend, beklagten inständig, daß sie ja so selten von der Basis etwas mitbekämen, lobten mein Bemühen und es wurde allerhand geredet. Irgendwann sagte ich da ziemlich unverblümt: "Machen Sie den Laden in Greifswald dicht oder nicht?" - einigen kleineren Theatern schien dieses Schicksal damals tatsächlich zu drohen, Greifswald gehörte dazu, war außerdem als Universitätsstadt doppelt gefährdet, denn wo renitente Studenten waren, stellte das Theater möglicherweise eine politische Gefahr dar (Jena weiß ein Lied davon zu singen). Da kam von den zwei Herren die recht klare Antwort: "Wo sich etwas tut, haben wir keine Veranlassung, dicht zu machen." Über das ZK ging offenbar eine Note an das Kulturministerium, von dort an die "Direktion Theater und Orchester", die uns mit jungen Absolventen etwas besser als vorher versorgte, die Wohnungsfrage konnten wir vor Ort lösen (auch das durch die Berliner Intervention befördert). Im Dezember 88 kam TITUS heraus, mit FIDELIO wurde 89 das Theater wiedereröffnet... Dazwischen allerhand interessante Konzerte sowie natürlich andere Produktionen.

Das Essen mit den Spiegeleiern ist daran nicht völlig unschuldig...

Zu den Vorwürfen der letzten Zeit gegen Reuter hat Werner Wolf hier Stellung genommen - eine Darstellung, die mir absolut glaubwürdig erscheint.

Die Musikwelt, die ihn erlebt hat, die Schüler, die ihn zum inspirierenden Lehrer hatten, werden ihn als einen der wichtigen, sehr aufrichtigen und ehrlichen Dirigenten, als künstlerisches Schwergewicht in Erinnerung behalten.
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Weblog des Dirigenten Ekkehard Klemm, Dresden

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