Brahms - Blacher
Nicht nur die Anfangsbuchstaben scheinen die beiden Komponisten zu verbinden: ein Kollege in Berlin (Constantin Alex) verband Blachers GROSSINQUISITOR mit der 3. Sinfonie von Brahms. Die Singakademie folgt ihrem Motto 2008 MusikTheoLogie und stellt dieses wichtige Werk aus der deutschen Schreckenszeit (entstanden ohne Aussicht auf Aufführung zwischen 1941/42) in den Zusammenhang mit zwei Literaturvertonungen von Brahms: Alt-Rhapsodie (nach Goethe) und Nänie (nach Schiller).
Aufführung am kommenden Sonntag, den 13.7., 17.00 Uhr in der Dresdner Lukaskirche mit der Singakademie Dresden und der neuen elbland philharmonie. Solisten sind Britta Schwarz, Alt und KS Prof. Andreas Schmidt, Bariton, der für den erkrankten Egbert Junghanns dankenswerterweise kurzfristig einspringt.
Der Link zu einem sehr ausführlichen Gespräch zwischen Constantin Alex und Michael Höppner führt hierhin.
Zum Komponisten selbst und seinem Werk hier noch einige Infos, teilweise mit Hilfe der im Internet verfügbaren Materialien zusammengestellt, teilweise zu danken der Akribie Burkhard Meischeins, Musikwissenschaftler und Chormitglied, der auch einen Einführungstext schrieb für das Programmheft:
Boris Blacher - Biografie
19. Januar 1903 - geboren in Niutschuang (Provinz Mandschurei, China) als Sohn deutsch-baltischer Eltern
1922 - Übersiedlung nach Berlin. Studium der Mathematik und Architektur
seit 1924 - Kompositionsstudium bei Friedrich E. Koch und Musikwissenschaft bei Friedrich Blume, Arnold Schering und Erich Moritz von Hornbostel
1938 - Kompositionslehrer am Landeskonservatorium in Dresden
1945 - Eheschließung mit Gerty Herzog
1945-48 - Lehrtätigkeit am Internationalen Musikinstitut Berlin-Zehlendorf
seit 1948 - Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Berlin, seine Schüler u.a.: Klebe, v. Einem, Erbse, Burt, Reimann, Yun und K. Huber
seit 1950 - Lehrtätigkeit bei verschiedenen internationalen Kursen, u.a. in Bryanston, Salzburg und Tanglewood
1953-70 - Direktor der Hochschule für Musik Berlin
1960 - Vorlesungen über elektroakustische Musik an der Technischen Universität Berlin
1968 - Präsident der Akademie der Künste, Berlin
gestorben am 30. Januar 1975 in Berlin
Mit folgenden Worten erinnert sich Harald Kunz an den Komponisten:
"Er schrieb zwölf Opern, zehn Ballettmusiken, fünfzig Orchesterstücke, Oratorien und Konzerte, ungezählte Vokal- und Kammermusikwerke und ein gutes Dutzend elektronische Kompositionen. Er wurde ausgepfiffen und bejubelt, angegriffen und verehrt. Er arbeitete bis zum letzten Tag und sprach seit seinem 70. Geburtstag von sich im Imperfekt: „Ich war einmal ein moderner Komponist.“ Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich und die Welt mit Ironie zu betrachten. Die Versuchung liegt nahe, Boris Blacher als den modernen „Klassiker der leichten Hand“ zu sehen, weil die breite Öffentlichkeit seine nur scheinbar leichtgewichtigen, durch Bravour und Esprit im besten Sinne unterhaltsamen Instrumentalwerke kennt, die seinen Weltruhm begründeten. Dabei hat er mit dem Großinquisitor und dem Requiem, mit Rosamunde Floris und Romeo und Julia, mit den Drei Psalmen und der Orchesterfantasie Werke geschrieben, deren Ernst jeden Hörer anzurühren vermag. Solche Arbeiten lagen ihm besonders am Herzen, und sie waren ihm wesentlicher und wichtiger als die Kompositionen, mit denen man gemeinhin seinen Namen verbindet." (zitiert nach dem Porträt auf www.boosey.com)
zum Stück selbst und seiner Handlung:
Die Legende vom Großinquisitor entstammt dem 5. Buch von Dostojewskis letztem Roman. In einer fast rauschhaften Vision entwickelt einer der drei Brüder die Erzählung: Zur Zeit der spanischen Inquisition, in einer Situation düsterster Verfolgungen und allgemeiner Niedergeschlagenheit, kommt Christus zurück auf die Erde, wird unmittelbar erkannt und vollbringt Wunder, wodurch der greise Großinquisitor auf ihn aufmerksam wird. Der Großinquisitor, tags zuvor der Mörder einer großen Anzahl von Ketzern, lässt Christus, den auch er erkennt, verhaften und einkerkern. Im Kerker entwickelt der Großinquisitor im Angesicht Christi seine Weltsicht, in der die Rückkehr Christi nur als Störung erscheinen kann und kündigt an, ihn morgen ebenfalls auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen: „Weshalb bist du denn gekommen, uns zu stören?“ Denn der Mensch sei nicht zur Freiheit geboren, wie Christus sie gegeben habe, sondern wünsche sich die Unfreiheit: „So werden endlich die Menschen zu schätzen wissen, was es heißt, ein für alle mal sich zu fügen, und bevor sie das nicht begriffen haben, werden sie unglücklich sein. […] Und sie werden bescheiden werden und werden hinaufblicken zu uns und werden sich in Furcht an uns anschmiegen. Sie werden uns anstaunen und heilige Scheu hegen vor uns, und sie werden stolz darauf sein, dass wir mächtig und klug genug waren, eine so wilde Hundert-Millionen-Horde zu bändigen. Sie werden in Schwäche erzittern vor unserem Zorn, ihr Geist wird verzagen vor uns, und ihre Augen werden voller Tränen sein […], aber ebenso leicht werden sie auf einen Wink von uns übergehen zur Heiterkeit und zu Lachen, zu lichter Freude und zu glücklichen Kinderliedchen.“ Im Heilsplan der Welt, der Freiheit durch Brot ersetzt, in der schrecklichste Verbrechen durch die Natur des Menschen gerechtfertigt werden, hat Christus keinen Platz mehr. Am Ende seiner Suada küsst Christus den greisen Großinquisitor auf den Mund, der, dadurch existentiell erschüttert, Christus aus der Haft entlässt und ihn auf die Straße schickt.
Der unmittelbare Bezug des Stoffes auf den Krieg, auf die kaum noch geheim gehaltenen Verbrechen apokalyptischen Ausmaßes, die weitgehenden Einschränkungen persönlicher Freiheiten, gepaart mit beruhigenden Geschenken beunruhigender Herkunft, mit denen der Staat sich die Loyalität seiner Bürger zu sichern suchte – zur Zeit der Entstehung der Musik des Großinquisitors waren die furchtbarsten Prophezeiungen Wirklichkeit geworden, eine Wirklichkeit, die dem Werk seinen grusligen Existenzgrund bot. (zit. nach B. Meischein, der für das Programmheft eine Einführung schrieb)
klemmdirigiert - 2008-07-08 20:54
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