5
Jun
2010

...der Pöbel hat bisher recht gut über Mozart gedacht...

In der ZEIT stand ein Beitrag zum Thema Theater, auf den mich der kulturchronist gebracht hat. Eine Leserzuschrift war fällig, insbesondere auf die Einlassungen eines "Knut Schreiber" antwortend, der sein Statement folgendermaßen beginnt:

Theater sind vor allem Unterhaltungseinrichtungen. Der Theaterbesucher geht dort in erster Linie hin, um sich von der Darbietung unterhalten zu lassen. Insofern unterscheiden sich Theater nicht von Kinos oder anderen Unterhaltungseinrichtungen. Jetzt schreit das Mitglied des sogenannten "Bildungsbürgertum" auf und behauptet arrogant, Theater sei "höhere Kultur" und der "blöde Pöbel" soll gefälligst dafür bezahlen.

Insbesondere dazu meine Antwort:

...der Pöbel hat bisher recht gut über Mozart gedacht...

Als Bildungsbürger und ausübender Künstler erlaube ich mir den diskreten Hinweis, dass es sich bei Schütz, Purcell, Bach, Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn, Verdi, Wagner, Mahler ... bei Ligeti, Xenakis, Rihm oder Lachenmann, bei da Vinci, Rembrandt, Dürer, Tizian, Michelangelo, ... bei Picasso, Chagall, Schmidt-Rottluff, Richter, Warhol, bei Shakespeare, Goethe, Schiller, Heine, Lessing, ... bei Frisch, Dürrenmatt, H. und Th. Mann, Bulgakow, S. Heym oder Uwe Tellkamp ...........

... NICHT um Unterhaltung handelt, sondern um die Essenz des menschlichen Geistes, um den Kern seiner gebündelten Kreativität und des Versuches, sich mit dem Sinn unseres Daseins, den Grundkonflikten unserer Gesellschaft und mit dem ganz tiefen Inneren unserer selbst auseinanderzusetzen. Das hat seit den alten Griechen in der Menschheitsgeschichte ganz gut und noch nie ohne Subventionen funktioniert, die indessen in der Demokratie - völlig richtig - erstritten werden müssen. Aber wenn wir sie abschaffen, sollten wir uns wenigstens darüber klar sein, dass wir den Kern unseres Menschseins zu den Akten legen. Der kann über kurz oder lang nicht nur aus Thomas Gottschalk und Lena bestehen.

31
Mai
2010

Nachtrag GENOVEVA

Es war eine schöne, bewegende Aufführung mit allen Schwierigkeiten, die es mit sich bringt, wenn man das Stück mit einem Ensemble von vorwiegend Studenten aufführt. Die haben sich der Herausforderung mit Engagement und Herzblut gestellt und sicher auch etwas schmerzlich kennengelernt, was es heißt, einen halben TRISTAN zu spielen (2 h 45 min.) Die Anforderungen Schumanns sind exorbitant.

Der Kritiker der SZ geht indessen Schumann in die Falle, wie ich finde: Die hier mit einem Happy End aufpolierte Genoveva-Legende, die in Hebbels Drama noch Trauerspiel sein darf, ist bei Schumann einfach arg süßlich. Auch musikalisch bleibt er einiges schuldig. Nach vielversprechender Ouvertüre braucht es lange, bis das Werk Fahrt aufnimmt.

Arg süßlich? Was ist denn dann LOHENGRIN oder HOLLÄNDER? Warum bekommt Schumann immer das ab, was bei den anderen viel mehr zuträfe? Man sollte die Story nicht 1:1 lesen - sie geht tief in die menschliche Seele. Und deshalb nimmt die Musik auch nicht Fahrt auf, sondern bleibt alles in allem lyrisch, motivisch unerhört dicht und verzahnt und verzichtet auf Äußerlichkeit. Die Chöre des TANNHÄUSER sind schmissiger, wirkungsvoller - mag sein. Die der GENOVEVA sind Lieder für Chor und Orchester. Die Gebete von Elsa und Elisabeth sind Melodien mit Akkorbegleitung - das Gebet der Genoveva ein harmonisch-kontrapunktisches Kunstwerk und wundervolles Lied ohnegleichen. Der intimste Moment des Stückes ist das Duett "Wenn ich ein Vöglein wär" - dort sind sich Genoveva und Golo viel näher, als es Siegfried und Genoveva je sein könnten. Das sollte zu denken geben.

Der Kollege Schüler vom Brandenburgischen Staatstheater in Cottbus sagt folgendes: "Der Plot ist: Was passiert, wenn Pfalzgraf Siegfried in den Krieg zieht, seine junge Frau zurücklässt und zum Aufseher einen bestimmt, der sie liebt? Siegfried hat Genoveva und liebt sie nicht, Golo – in unserer Version illegitimer Sohn des Pfalzgrafen – liebt Genoveva und hat sie nicht." (Das ganze Interview hier) Auch Zwickau bereitet eine Premiere vor!

29
Mai
2010

Eurovision...

Kulturchronist hat ja schon einen Tipp abgegeben...

Mal abgesehen davon, dass ich Genoveva für interessanter als Lena halte - h-Moll ist einfach zu tief für das Mädel. Und vom Absingen einer Quinte wird frau nicht den Contest gewinnen...

PS 00:30 Uhr: Respekt und Gratulation - ein Sieg der Natürlichkeit, der Jugend und des Minimalismus?! Ich habe mich wirklich gefreut! Und meine das ehrlich. (Muss aber zurück zu Genoveva...)

24
Mai
2010

Schumann - GENOVEVA

Genoveva-18371

Es ist ein merkwürdig melancholischer Zug, der die Figur der Genoveva umweht. Was Wunder, bei diesem Geschick. Wobei Schumann als besonders empfindsamer Mensch das Drama noch gut ausgehen lässt, anders als die Dichter Tieck und Hebbel, die seine Vorlagen bilden. Wie der Graf im FIGARO von Mozart bittet Siegfried um Vergebung - nur dass er sein Weib nicht hintergangen hat, sondern zum Tode verurteilt. Nur angesichts eines Kreuzes konnten die Haudegen (was für ein teffender Begriff in dem Fall) Caspar und Balthasar das Urteil nicht vollstrecken und bekamen kalte Füße... Versöhnung, Finale.

Sicher, etwas merkwürdig scheint uns das heute schon. Warum aber jedes viel schlechtere Libretto italienischer Opern oder auch Wagners Seltsamkeiten zu exorbitanten Aufführungszahlen führen, wogegen Schumanns einzige Oper nahezu unbemerkt existiert, bleibt rätselhaft. In Dresden wurde sie komponiert und erklang hier wahrscheinlich ein einziges Mal, nämlich 1882 unter Schuch. Sie ist - ähnlich dem IDOMENEO von Mozart - ein Meisterwerk für Kenner und Liebhaber. Keine Äußerlichkeiten, alles geht in die Tiefe, nach innen. Motivische Bezüge ohne Ende, phantastische Einfälle und wundervolle Lyrismen, prachtvolle Finali - eine Ouvertüre, wie sie für den gleichzeitig den LOHENGRIN schreibenden Wagner völlig undenkbar wäre. Wagner schreibt effektvoller fürs Theater. So weit, so gut. Schumann hingegen schreibt wahrhaftiger.

Am 30. Mai werden das Hochschulsinfonieorchester der Dresdner Musikhochschule, die Solisten Jana Reiner, Falk Hoffmann, Hyunduk Na und Johannes Wollrab in den Hauptrollen sowie die Singakademie Dresden unter meiner Leitung das Stück in der Semperoper konzertant aufführen, Beginn 11 Uhr. Es ist ein Wagnis, mit jungen Leuten, überwiegend Studenten, das Stück zu erarbeiten. Aber es ist eine wundervolle Pflicht und Aufgabe einer Hochschule, Meisterwerke dem Vergessen zu entreißen!

Komponistenlinks

Eine Überarbeitung der Linkliste war überfällig.

Die Begegnung mit Friedrich Schenker (sh. letzter Eintrag) ließ mich die Begegnungen mit zeitgenössischen Kompositionen und ihren SchöpferInnen Revue passieren. Es ist mittlerweile eine ertstaunlich lange Liste geworden - und dabei habe ich bestimmt noch etliche vergessen, sie mögen bitte verzeihen und sich ins Gedächtnis rufen. Viele der Genannten konnte ich sogar persönlich kennenlernen bzw. hatte die Ehre, ihre Musik ihnen selbst vorzuspielen - jedesmal eine Erfahrung der besonderen Art.

Brandenburger Symphoniker

Schenker

Die BRANDENBURGER SYMPHONIKER gilt es zu bewundern: wo andere zu Pfingsten leichte Kost servieren, gibt es hier "Pfingst-Klang-Welten", eine Art lange Nacht der Musik, mit Uraufführungen, Chormusik, Streichquartett usw. usf. In diesem Zusammenhang wurde mir die Ehre zuteil, Friedrich Schenkers "Orchestermusik" aus der Taufe zu heben, ein großes Werk für volles Orchester, schwer, anspruchsvoll, archaisch, farbig... Eine wundervolle Erfahrung - insbesondere auch die Zusammenarbeit mit den engagierten Symphonikern der Havelstadt mit ihrem romanisch-gotischen DOM.

13
Apr
2010

Christian Hauschild +

Hauschild

Mit diesem freundlichen Lächeln haben ihn die meisten, die ihn gut kannten, in Erinnerung. In der letzten Nacht ist Chrsitian Hauschild nach längerer Krankheit verstorben.

Wir verlieren in ihm einen langjährigen Künstlerischen Leiter der Singakademie, der den Chor in schwieriger Zeit geformt und geprägt hat. An dieser Aufbauarbeit, bei der seine Musiklehrer-Tätigkeit an der Kreuzschule, sein Wirken als Stimmbildner des Kreuzchores und als Leiter des Hochschulchores stets Hand in Hand gingen, muss jeder von uns Nachfolgern sich messen lassen. Wir profitieren noch heute davon. Sowohl Hans Christoph Rademann als auch ich selbst - wir sind beide ganz entscheidend von Chrsitian Hauschild gefördert worden: aus der Schule holte er mich direkt als Assistent zum damaligen Beethovenchor. Noch während meiner Schulzeit dirigierte er Morgenstern-Vertonungen aus meiner Feder. Unvergessen sind die großen chorsinfonischen Aufführungen unter seiner Leitung, unvergessen auch die Uraufführungen bedeutender abendfüllender Oratorien von Rainer Kunad ("Stimmen der Völker") und Wilfried Krätzschmar ("...grüß ich dich tausendmal").

Im letzten Jahr durften wir noch gemeinsam seinen runden Geburtstag feiern, schon damals war sein schlechter Gesundheitszustand zu beobachten und erfüllte uns mit Sorge. Nun ist die Laufbahn dieses bedeutenden Chorleiters, der in Dresden, Helsinki und darüber hinaus tiefe Spuren hinterlassen hat, zu Ende gegangen. Mit dem chorus 116 hatte er sich als 'Pensionär' in Dresden nochmals ein Instrument geschaffen, das sein emotionales Musizieren einer breiten Öffentlichkeit vorstellte und gefeiert wurde.

Wir trauern mit allen Angehörigen, mit den Sängerinnen und Sängern, die ihm in letzter Zeit besonders nahestanden und behalten ihn in unseren Herzen und im Gedächtnis.

Die Trauerfeier soll in der Kirche zu Dohna am kommenden Freitag 14 Uhr stattfinden.

Wir gedenken eines treuen Freundes.

9
Apr
2010

5 Konzerte - 10 Dirigenten, 5 PianistInnen, 3 Geigerinnen...

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Das, worauf sich die neue elbland philharmonie da eingelassen hat, ist einzigartig und kann nicht genug gerühmt werden: Das Orchester hat einen ganzen Zyklus von Konzerten (mit einem Programm) in 5 verschiedenen Städten für Studenten zur Verfügung gestellt! Keine internationalen Stars, sondern Studentinnen und Studenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, die in zwei Ouvertüren (Albert Dietrich und Johannes Brahms) sowie zwei Solokonzerten (Schumann Klavierkonzert und Mendelssohn Violinkonzert) am Pult stehen bzw. als Soli auftreten dürfen.

Die Konzerte finden in Riesa (11.4.), in Pirna (15.4.), Meißen (16.4.), Großenhain (17.4.) und Zittau (18.4.) statt. Ich selbst dirigiere jeweils ein Drittel des Programmes, den Rest übernehmen die Studenten! Ein gewagtes Projekt, dessen Wert für die jungen Leute riesig ist - und ich bin überzeugt, auch das Publikum wird an den Konzerten viel Freude haben!

Mehr auch unter www.hfmdd.de

25
Feb
2010

alles falsch...

Fällt eigentlich niemandem auf, was für ein hässlicher Biodiskurs das Ganze ist? Der wahre Rassismus tobt sich augenscheinlich heute zwischen Jung und Alt aus, zwischen vitalen Welpen und kulturkonservativem Friedhofsgemüse. Wenn man so weitermacht, hat man bald den schönsten publizistischen Bürgerkrieg.

Und welcher Partei rechnen Sie sich zu?

Mir ging es nicht um Frau Hegemann. Mir ging es um den Irrsinn einer kriterienlosen Literaturdebatte.


(Durs Grünbein im Interview der FAZ zu seiner Verteiigung H. Hegemanns)

Irgendwie köstlich: Grünbein verteidigt Helene Hegemann mit den Worten G. Benns und der Kommentator Wittstock von der WELT fliegt draufrein, weil er den Benn nicht kennt...

Kriterienlos und alles falsch könnte eine Überschrift dieser Tage sein: bei den Elen fährt eine Bischöfin unter Alkohol Auto, tritt zurück und keiner fragt, warum sie denn um Himmels Willen SO ins Auto gestiegen ist. Da lauern doch Katastrophen dahinter?! Aber ob und warum ein Mensch sich einen antrinkt, ist ohnehin nicht so wichtig. Vielleicht hat sie ja gerade eine ganz furchtbare Nachricht verarbeiten müssen oder sich über sich selbst oder ganz andere Leute furchtbar geärgert und im Stillen ihr bischöfliches Amt verflucht? (Achtung: Todsünde Hochmut!)

Derweil lavieren die Olen um ihre Sexskandale in Internaten und Schulen... (Muß der Karikaturist der Dresdner Neuesten Nachrichten nun um sein Leben bangen, wenn er einen Priester mit Schild malt: "Kindergottesdienst nur in Begleitung der Eltern" und drunter schreibt: "Die Kirche reagiert"?)

Wirklich alles falsch z.Zt. Das Abendland scheint unterzugehen. Maazel folgt Thielamnn in München nach - auch falsch, raunen die ersten Kommentare. Keine Sicherheit, nirgends. (Achtung: 66% Plagiat von Christa Wolf).

30
Jan
2010

alles richtig...

Über www.perlentaucher.de erfahren wir von einer Kritik Joachim Kaisers über den Pianisten Maurizio Pollini - Freund Abbados und Luigi Nonos und als solcher mir schon immer sympathisch... (bei der DDR-Plattenfirma Eterna nahm Pollini seinerzeit das gesamte Klavierwerk von Arnold Schönberg auf - noch heute ein Meilenstein!). Zitat:

"Er erschleicht nie Interessantheit, indem er mystifiziert. Er verzichtet darauf, effekthaschend loszulegen, aufzubauschen, wo gar nichts Besonderes passiert. Oder mit Überlangsamkeit zu entwaffnen. Stattdessen macht er alles 'richtig'. Dieses Adjektiv dürfte auf manche Pollini-Bewunderer karg wirken, armselig. Indessen reicht es an das Höchste, was im Interpretations-Bezirk möglich ist. Denn was, beispielsweise, haben uns jene alten Dirigenten, die einst noch Gustav Mahlers legendäre Opernaufführungen in Wien erlebten, über Mahlers unvergleichliches Dirigieren zu sagen gewusst? Eben dies: es sei bei Mahler alles so wunderbar 'richtig' gewesen..."

"Das Hochste, was im Interpretations-Bezirk möglich ist" - danke, lieber Joachim Kaiser. Wir bemühen uns weiter, alles richtig zu machen... (aber recht hat er natürlich!).
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