29
Sep
2010

Entschuldigung...

Als kleine Entschuldigung hier ein Link, der meine signifikante Abwesenheit möge erklären helfen...

http://www.dresdeneins.tv/nachrichten/Musikhochschule_Programm_20102011-417.html

17
Jul
2010

Siegfried Kurz zum 80.

Siegfried-Kurz

(leider kein sehr scharfes Bild, aber immerhin ein recht aktuelles)

CD-Tipps: Romantische Hornkonzerte mit Peter Damm; Vorklassische Hornkonzerte mit Peter Damm; Levins Mühle von Udo Zimmermann; Verdi, RIGOLETTO; Donizetti, DON PASQUALE; Kurz, Trompetenkonzert (u.a.); Tschaikowski, 5. Sinfonie mit der Dresdner Staatskapelle; Harfenkonzerte mit Jutta Zoff; Opernszenen mit Reiner Goldberg;
Rosenkavalier mit der Dresdner Staatsoper aus dem "La Fenice"

"O Wort, du Wort, das mir fehlt!"


Der berühmte Satz am Ende von Schönbergs unvollendeter Oper MOSES UND ARON könnte treffender nicht das Dilemma eines Dirigenten, Komponisten und Dirigierlehrers umreißen, mithin eines Menschen, der durch Hände und Töne stumm ausdrückt und gestaltet.

Zum ersten Mal nahm ich diesen Text am Ende eines Abends wahr, der zu den nachdrücklichsten Erfolgen des Jubilars gehörte. Wer immer die Aufführung im Großen Haus erlebt hat, wird sich an die entwaffnend einfache Lösung Harry Kupfers für den brennenden Dornbusch ebenso erinnern wie an die phänomenale Leistung von Reiner Goldberg, Werner Haseleu, von Staatsopernchor, Staatskapelle und eben: Siegfried Kurz am Pult. Ein Meilenstein der Dresdner Operngeschichte; ich selbst erlebte die Produktion als Schüler – nicht ahnend, dass der Mann im Graben wenig später mein Lehrer sein würde.

Es fehlen die Worte, die Leistungen des Dirigenten Kurz zu würdigen: er war als GMD in Dresden und Berlin über Jahrzehnte ein Garant hervorragender Aufführungen, beherrschte traumwandlerisch das große Repertoire, das er außer den genannten Städten auch u.a. in Leipzig (TRISTAN und ROSENKAVALIER), in Paris (RHEINGOLD), Buenos Aires (ROSENKAVALIER), Bonn (WOZZECK, PARSIFAL, DER FEURIGE ENGEL), Genf (WOZZECK), in Japan, den USA und anderswo dirigierte.

Ich darf mich glücklich schätzen, ungezählte Abende mit Kurz am Pult erlebt zu haben. Viele davon sind in lebhafter Erinnerung. Während einer ZAUBERFLÖTE in Dresden führte er mir vor, dass man das 'Sprecherrecitativ' durchaus mit nur einer Hand (samt Stab) dirigieren kann, die alles Nötige zu zeigen imstande ist. Die Linke wanderte demonstrativ auf den Rücken. Das Orchester mag sich gewundert haben, was mit dem Dirigenten passiert sei – allein der Schüler in den oberen Etagen des Opernhauses ahnte, wem die Lehrvorführung galt… Unvergessen sind die Perfektion der Ensembles in FALSTAFF, die Sicherheit der Begleitung in RIGOLETTO oder TOSCA (in Dresden und Berlin), die Choreografie der linken Hand für die Einsätze der 5 Soli im Judenquintett der SALOME. Das Stück übernahm Kurz innerhalb eines Tages für einen erkrankten Dirigenten in der Berliner Staatsoper, nachdem er es über ein Jahrzehnt nicht dirigiert hatte. Das Dirigat war der Grundstein für die Tätigkeit in der Lindenoper. Nachdrücklich im Gedächtnis bleiben auch der Dresdner TANNHÄUSER (mit den fulminanten Tenören Goldberg oder König), die Berliner MEISTERSINGER mit einer an Präzision nicht zu übertreffenden 'Prügelfuge' sowie Vorstellungen des ROSENKAVALIER, dessen Walzer kaum farbiger, pointierter, im Tempo flexibler denkbar sind. Ein Gastspiel der alten Dresdner Produktion im "La Fenice" existiert sogar als Live-Mitschnitt auf CD und gibt Kunde von der Qualität der damaligen Dresdner Ensemblekunst. Eins darf nicht vergessen werden: Unter Kurz musizierte das Orchester leise! Sehr energisch schnellte die Linke nach vorn und verlangte sofortiges Dämpfen der Lautstärke. Strauss' ELEKTRA war ein kammermusikalisch durchhörbares Stück und in der Inszenierung der Berghaus in Dresden bei Kurz am leisesten.

Ich erlebte FREISCHÜTZ, FIDELIO, ENTFÜHRUNG, ONEGIN, RUSALKA, IL TRITTICO, LOHENGRIN unter Leitung des Jubilars. Hinzu kamen viele Konzerte, u.a. Bruckners 2., Dvořaks 8. Sinfonie, Stravinskis "Petrushka". Hier war ich in einer Hauptprobe. Bei einem 5/8-Takt, der ständig zwischen 2+3 und 3+2 wechselt, passte sich Kurz der Struktur an und dirigierte wechselnd: Das Ergebnis war unsicher, verunsichert war auch der Schüler. Im Konzert wurde durchgehend 2+3 dirigiert – die Stelle war perfekt zusammen, der Schüler aufgeklärt.

Selten erlebte ich den Dirigenten aufgeregt oder nervös. Angespannt wohl öfter, 'auf dem Sprung' ohnehin immer. Wirkliches Lampenfieber vermute ich noch heute vor der Aufführung am 13.2.1983 in Leipzig: Für die Gedenkvorstellung zum hundertsten Todestag von Richard Wagner hatten Gewandhaus und Opernhaus TRISTAN angesetzt und Siegfried Kurz eingeladen. Meines Wissens dirigierte er das Stück erstmals und hatte nur wenige Proben vorher. Kurz kämpfte etwas mit dem Orchester, das sein pünktliches Spielen 'auf den Schlag' nicht gewohnt war – die Linke zeigte mehrmals auf die Stockspitze, bald wurden die Mahnungen erhört. Mir ist ein grandioser Erfolg in Erinnerung.

Neben den schon erwähnten Opern Bergs und Schönbergs war Siegfried Kurz mit dem LUKULLUS, dem LANZELOT von Paul Dessau, der ANTIGONE von Orff oder mit LEVINS MÜHLE von Udo Zimmermann auch stets ein Anwalt des Ungewohnten und Modernen.

Das sollte nicht verschwiegen werden: oft genug ein unbequemer Anwalt! Musikerinnen und Musiker fürchteten seinen in gediegenem Sächsisch vorgetragenen Zorn ebenso, wie Sängerinnen und Sänger schon in der Pause damit rechnen mussten, ins Zimmer des GMD gebeten zu werden... Die so Kritisierten rühmen heute fast alle und ausnahmslos die Gründlichkeit, die Genauigkeit und den Furor, der hinter allem Ärger stand. Es ging Siegfried Kurz stets um die Sache.
Sauberes Handwerk prägte sein Dirigieren, detaillierteste Partiturkenntnis sein Arbeiten, lebendiges Musizieren seinen Stil. Und noch heute erinnern sich viele der wundervollen Führung durch die Hand des in den Proben so ungnädigen Dirigenten.

1979 wurde ich sein erster Hauptfachschüler im Dirigieren. Die erste Stunde verging mit den einleitenden 8 Takten der Freischütz-Ouvertüre – und auch danach nahm das Arbeitstempo keineswegs deutlich zu. Der Unterricht fand in der Regel montags 8 Uhr in der Hochschule statt, 10 Uhr hatte Kurz Probe im Großen Haus. Ein Schüler spielte, manchmal ein zweiter, einer dirigierte. Unterricht in der Oper gab es manchmal donnerstags 13 Uhr im Zimmer des GMD – dann ohne Handschlag zur Begrüßung: "Wenn ich hier jedem die Hand gäbe, müsste ich 300 mal am Tag die Hand geben!" war die nüchterne Begründung für die verständliche Maßnahme. Beim Handschlag am Montagmorgen dagegen war zu überprüfen, wie erfolgreich das Wochenende in den Bergen der Sächsischen Schweiz verlaufen war: Es kam vor, dass ein Sturz zu Problemen beim Händeschütteln führte – die Leidenschaft des Kletterns war ein wichtiger Ausgleich für den bodenständigen Dirigenten.

Tempo und Rhythmus sowie die Sauberkeit des Dirigats waren Hauptthemen beim wöchentlichen Treffen, das auch in Sachen Klarheit der Kritik keine Fragen offen ließ. An die Direktheit musste man sich gewöhnen – sie überstanden zu haben ist wahrscheinlich der größte Gewinn. 14 Jahre nach dem letzten Unterricht wohnte Kurz einer von mir dirigierten Probe in der Semperoper bei, wo ich kurzfristig einen Aufführungsabend der Staatskapelle übernommen hatte – plötzlich sah ich den Maestro im Parkett sitzen. Statt einer irgendwie gearteten Begrüßung mahnte er aus 20 Metern Entfernung überdeutlich an, ich solle die Eins gefälligst ordentlich nach unten schlagen. Weitere 10 Jahre später, also 24 nach dem Studium traute ich den Ohren nicht: "Das mit dem Stock machen Sie ja jetzt schon ganz gut." – im gleichen Atemzug kam Kritik zu den Tempi in Strauss' "Till Eulenspiegel". Sie war ebenso berechtigt wie konstruktiv und hilfreich. Es kam vor, dass nach der Semesterpause der Unterricht begann mit einem "Vor allem ist es ja so…", worauf eine Auseinandersetzung mit dem Thema der letzten Stunde folgte, die 10 Wochen zurücklag. Kein Austausch über den Urlaub etc. – immer an der Sache orientiert. Bei einer der letzten Begegnungen innerhalb des Studiums kam mir die Aufgabe zu, einen Kollegen am Klavier zu begleiten: CARMEN, Quintett, 2. Akt, Des-Dur, schnell und schwer. Ich stümperte mich durch und wunderte mich, dass keine Kommentare kamen. Die Stunde schloss mit einem "Na, Klemm, hast wohl mit Deiner pianistischen Laufbahn auch schon abgeschlossen". (Man stelle sich den Satz in durchaus deutlich sächsischem Akzent vor.) Gott sei Dank war der Humor ein ständiger Begleiter des Weges.

Es fehlen die Worte, diesen nachzuzeichnen und Siegfried Kurz mögen beim Beschreiben des Phänomens Dirigieren bisweilen jene des Erklärens gefehlt haben: es war alles in allem ein wundervoller, mitunter eben sogar heiterer Weg, ganz auf die Erlernung des dirigentischen Handwerks konzentriert. Nach mir gingen ihn u.a. Gerd Herklotz, Martin Hoff, Hans Christoph Rademann, Eckehard Stier, Michael Güttler, Maja Sequiera, Annunziata de Paola – allesamt erfolgreiche Dirigenten, die ihren Weg gefunden haben.

"O Wort, du Wort, das mir fehlt"... – nicht zuletzt könnte das ein passender Wahlspruch für einen Komponisten sein. Zumal für einen, der vor allem wegen seiner Dirigenten- und Lehrtätigkeit als Tondichter in den letzten Jahren verstummte. Sein als junger Mann mit Schwung hingeworfenes Trompetenkonzert gehörte seinerzeit sogar zum Schulstoff: ein noch heute interessantes Dokument lebendigen, modernen Komponierens aus den 50-er Jahren. Bedeutende Stücke kamen später hinzu: das Hornkonzert für Peter Damm, 2 Sinfonien, ein Klavierkonzert, Kammermusik und sogar ein Musical.

Wir sagen Dank für ungezählte musikalische Erlebnisse unter seiner Stabführung – hier in Dresden allein über 2000 Abende!, insgesamt nahezu 3000! Danke für eine unvergessliche Zeit des Lernens! Glückwunsch zum Achtzigsten – Siegfried Kurz!

5
Jul
2010

dpa-Meldung von heute

Kultur News
Klemm neuer Rektor der Dresdner Musikhochschule
dpa

Der Dirigent Ekkehard Klemm wird im September neuer Rektor der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" in Dresden. Der 51-Jährige wurde am Montag mit deutlicher Mehrheit vom erweiterten Senat für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt, teilte die Hochschule mit. Der scheidende Rektor Professor Stefan Gies durfte nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal kandidieren konnte. Der aus Chemnitz stammende Klemm war einst Mitglied des Dresdner Kreuzchors. Seit knapp sieben Jahren ist er Professor für Dirigieren und künstlerischer Leiter des Sinfonieorchesters an der Dresdner Musikhochschule. Dort sind derzeit rund 600 Studenten eingeschrieben.

© DNN-Online, 05.07.2010, 13:57 Uhr

28
Jun
2010

Romanzen und Balladen – der Dresdner Schumann und seine Zeit

(ein Nachtrag zum gerade zu Ende gegangenen Elbhangfest in Dresden, das die Singakademie mit einem Konzert mit Romanzen und Balladen eröffnet hat; Motto des Festes: "Der Elbhang träumt")

Vorab: die Singakademie Dresden ist nicht der direkte Nachfolger des von Robert Schumann 1847 gegründeten "Verein(s) für Chorgesang" (später "Robert Schumannsche Singakademie"), auch steht sie nicht in direkter Linie zur "Dreyssigschen Singakademie". Dennoch führen naturgemäß viele Bezüge zu diesen ersten bürgerlichen Gesangvereinen in Dresden. Die 1884 erfolgte Gründung des Lehrergesangvereins (zunächst als Männerchor, unter Fritz Busch dann ab 1927 mit Frauenchor) weist indessen sowohl personelle als vor allem ideelle Verbindungen auf. Die von Schumann selbst beklagte Unterentwicklung des bürgerlichen Musiklebens in Dresden schlägt sich auch in der gegenüber anderen Städten späteren Gründung entsprechender Vereine nieder.

Vor diesem Hintergrund können die Dresdner Bemühungen Schumanns um die Belebung des Chorgesanges nicht hoch genug gewürdigt werden! Er geht bei den Anforderungen seiner Werke auch deutlich über das etwa von Zelter oder auch Mendelssohn geforderte Maß an Schwierigkeit hinaus. Keine der Motetten Mendelssohns oder der Kompositionen Zelters verlangen harmonisch oder strukturell das, was Schumann bspw. in den Chören op. 141 oder dem 8-stimmigen Finale der "Faust-Szenen" seinen Sängern 'zumutet'. Möglicherweise erklären sich Ungeduld oder Resignation des Chorleiters Schumann auch von dieser Seite her?

Die gewaltige Entfaltung des Chorlebens in Dresden in den letzten Jahrzehnten hat uns u.a. eine große Zahl von Kammerchorgründungen gebracht, in denen auf professioneller oder zumindest semiprofessioneller Basis gearbeitet wird (incl. der dafür nötigen Bezahlung). Es war das Bedürfnis der Singakademie und mir selbst, zu prüfen, inwieweit die äußerst anspruchsvolle Literatur tatsächlich von Laien bewältigt werden kann. Ich denke: Sie kann. Aber der Anspruch ist 2010 nicht niedriger als 1848 oder 49. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass von den 4 Chören op. 141 Schumann wahrscheinlich nur einen einzigen (den ersten) mit seinem eigenen Verein probierte (wie Thomas Synofzik in der gerade erschienenen Publikation der "Dresdner Hefte 102" auf S. 71 feststellt). Die doppelchörigen Gesänge sind darüber hinaus lt. Titelblatt "für größere Gesangsvereine" gedacht. Sie leben vom breit entfalteten Chorklang, den wiederzugeben wir uns bemüht haben. Sicher ist: Auch heute sind diese Werke für einen Laienchor Grenzerfahrungen und Herausforderungen ganz besonderer Art.

Schumann selbst und seine Frau Clara waren sich klar darüber, dass das Genre der Balladen und Chöre aus Roberts Feder Neuland sind. Über die Balladen op. 67 schreibt er an den Verleger, er habe "mit wahrer Passion eine Sammlung Balladen für Chor zu schreiben angefangen; etwas, was, wie ich glaube, noch nicht existiert". Hinsichtlich der Chöre op. 141 ist vom "bis jetzt unbebauten Terrain" die Rede. In seinem Buch "Schumann und seine Zeit" schreibt Arnfried Edler (S. 226):

"Seitdem insbesondere Herder im 18. Jahrundert die Volkspoesie als eine Hauptquelle der Literatur wiederentdeckt hatte, war die Ballade als Inbegriff des Ausdrucks des Volksgeistes ins allgemeine Bewusstsein eingegangen und in diesem Sinn auch in die Kunstdichtung übernommen worden. … Goethes Auffassung von der Ballade als einem 'lebendigen Urei' der Poetik (1821) ist für diese Einschätzung ebenso bedeutungsvoll wie die ein Jahr später erschienene Sammlung Balladen und Romanzen des polnischen Adam Mickiewicz. Von daher lag es nahe, die Ballade zu einer zentralen Gattung des bürgerlich-liberalen Gesangswesens werden zu lassen, nachdem sie in den Sologesängen Carl Loewes bereits Einzug in die bürgerliche Hausmusik gehalten hatte. Mit dem Chorverein, den er in Dresden leitete, begann Schumann deshalb mit der Erprobung dieses neuen Genres."

Und Peter Gülke ergänzt in seinem soeben erschienenen Band "Robert Schumann – Glück und Elend der Romantik" (S. 184/185)

"Auch die Vokalkompositionen seit den späten vierziger Jahren signalisieren einen Neuanfang, zumindest Neuorientierung. Bei Chören spielt die Konstellation, in der gesungen wird, in besonderem Maße mit, bis hin zu Interessenlagen und Klima der Gemeinschaft, in der sich das Komponierte bewähren muss. Hier am ehesten ist Schumann vormärzlich …"
"Angesichts eigener kommunikativer Schwierigkeiten mag Schumann das Auf-du-und-du im Umgang, Singen und Arbeiten mit Chören als Therapie empfunden haben … Ohne die Aspekte der Gebräuchlichkeit zu vernachlässigen, exzelliert er, nicht anders als bei vielen Liedern, in melodischen, metrischen, harmonischen, deklamatorischen, polyphonen Subtilitäten und fordert den Singenden, …, ein Äußerstes ab. Wenn irgendwo Chorkomposition damals avantgardistisch war, dann hier."


Die Balladen und Romanzen op. 67 sind "kleine Mini-Dramen" (Th. Synofzik, Schumann-Handbuch, S. 470). Auffallend ist der einheitliche Ausgangspunkt: Wir vermeinen, schlichte Volksweisen zu hören – und werden ganz elegant auf's Glatteis geführt, denn jedem Stück gewinnt Schumann einen ganz besonderen Klang und Effekt ab. Im "König von Thule" läuft eine Tenorstimme mit dem Sopran parallel und erweitert den Satz zur Fünfstimmigkeit; große dynamische Bandbreite mit fortepiano-Effekten prägt "Schön-Rohtraut", ein wunderbar ironisch gefasster Satz; geradezu lakonisch kommt Goethes "Heidenröslein" daher – ein Gegenentwurf zu anderen Vertonungen, etwa von Moritz Hauptmann; ins Dramatische gesteigert wird Chamissos "Ungewitter"; in feiner klanglicher Abstufung singen die Altistinnen in "John Anderson" eine Sopranpassage direkt nach und zeigen, wie sensibel Schumann mit Klangfarben auch im Chor spielt und den dunkleren Alt dem helleren Sopran bewusst entgegensetzt.

Der Dichter Laube war ein jungdeutscher Publizist. Für den Dresdner Kapellhornisten J. R. Levy und seine Kollegen entstanden verschiedene Werke, die Jagdlieder im Mai 1849 – also in unmittelbarer Parallelität zu den revolutionären Ereignissen. Über den 7. Mai schreibt Philipp Eduard Devrient:

"Mir scheint es ungeheuer. Hier ist kein gewöhnlicher Aufstand; es ist eine der ersten Schlachten, welche ein Land gegen seine Fürsten schlägt. … diese Ausdauer im fünftägigen Kampfe, diese auf bestimmte Ideen gerichtete entschlossene Gegenwehr beweist den Anfang des neuen deutschen Freiheitskampfes."
(zit. nach E. Burger, Robert Schumann, Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, S. 262)

Die anfängliche Euphorie weicht im August entsetzlicher Trauer. Ein Dresdner Bürger schreibt über den 9. August:

"Die wogende Menschenmenge … bot ein Bild tiefer Niedergeschlagenheit und Trauer; ernst und schweigsam standen auch die militärischen Sieger – sie fühlten das Leid mit, das über Dresdnes Bevölkerung eingebrochen war und ehrten deren Schmerz. … die städtischen Düngerwagen, welche zum Fortschaffen der Leichen durch alle Straßen fuhren – die noch auf den Gassen liegenden, mit geronnenem Blute bedeckten, verstümmelten Körper – und dann das Schreien und Händeringen der Weiber, der Kinder, die ihre Väter suchten, ihre Ernährer! – Welch ein Anblick!"

In diesem Kontext wirken die Jagdlieder beinahe deplatziert – aber sie gehören ins Frühjahr, nicht in den Sommer, an dessen Ende die Aufführung des 3. Teiles der "Faust-Szenen" im Palais des Großen Gartens gehört – mithin die Hinwendung zur Poesie, mit der Schumann den Riss in der Welt heilen wollte. Die Jagdlieder sind übrigens nicht ohne einen gewissen Sarkasmus, etwa wenn vom "geschossnen Kameraden" gesungen wird, der das Opfer der Eile und des zu früh losgegangenen Schusses wurde… Erheiternd wirken die Repliken auf den "Franzosen", der seinen Wald "überlichtet" hat und "singende Vögel schießt, der Fant!"; während in "Engeland" "Fabriken klappern und stampfen, Maschinen hämmern und dampfen". Europäische Agrarpolitik anno 1849.

Aus dem März des gleichen Jahres stammen die "Romanzen für Frauenstimmen op. 91. Im Chor wurde offenkundig bisweilen getrennt probiert und gesungen. Tatsächlich passen die Texte auch besonders zur weiblichen Stimme. Vom Schicksal mehrerer Jungfrauen ist die Rede, von Hochzeitskränzlein, Röslein, von des Wassermanns Weib, vom verlassenen Mägdlein und einem Laden in des Meeres Mitten. Ganz und gar grausig – auch harmonisch nachvollzogen – erscheint "Der Bleicherin Nachtlied" mit dem fürchterlichen Refrain: "Bleich, bleich muss alles Ende sein." Düster und unisono vereinen sich dabei die Stimmen in D-Moll. Melodisch, harmonisch und satztechnisch sind auch diese Stücke von erlesener Schönheit.

Einen Kontrast bilden die 4 Männerchöre von Mendelssohn (1809 – 1847), Marschner (1795 – 1861; in den 20-er-Jahren Kapellmeister in Dresden), Reinicke (1824 – 1910) und Julius Otto (1804 – 1877). Sie alle standen mit Schumann in Verbindung, Mendelssohn ohnehin; Marschner war vor Schumann in Dresden tätig und wurde vom Letzteren hochgeschätzt, Reinicke war mit ihm freundschaftlich verbunden (besonders in Düsseldorf), Otto war Kreuzkantor von 1828 – 1875, zeitweise auch Leiter der Liedertafel, die Schumann kurzzeitig dirigierte. Die teils heiteren, teils deftigen Gesänge zeigen ein farbenfrohes Bild des Männerchorgesanges, der als Vorläufer des bürgerlichen Gesangvereins angesehen werden muss. Und wer in Dresden könnte sich eines Schmunzeln erwehren, wenn beim "Langen Magister" das treffliche Bild eines Lateinlehrers der Kreuzschule gezeichnet wird…

Nach diesem Ausflug in den Humor kehren wir mit den Gesängen 0p. 141 zurück zu Schumann und zu einer seiner subtilsten und vielleicht auch artifiziellsten Schöpfungen.
Doppelchörig beginnen die "Sterne, in des Himmelsferne" von Rückert, ehe Halbtonrückungen bei "schaun nicht Geisteraugen" erste harmonische Irritationen bringen. Eine zweite Strophe bestätigt zunächst die erste. Im dritten Anlauf wendet sich die Harmonie von G-Dur nach E-Dur und H-Dur, ehe die vierte Strophe das Tempo anzieht und einen Aufschwung bringt, der bei "Hoffend, glaubevoll!" wieder zurücksinkt in die Atmosphäre des Beginns. Schumanns "Florestan" scheint den "Eusebius" der Nummer 1 in Nummer 2 ("Ungewisses Licht") ablösen zu wollen. Kernig und mit punktierten Rhythmen, "lebhaft und sehr markiert" hebt die Musik an. Irrlichternd verkünden Soli einen Schimmer "von fern", der zwischen E-Moll und H-Dur chargierende Schluss balanciert wie der Text: "Ist es die Liebe? Ist es der Tod?" Nummer 3, "Zuversicht", ist mit besonderer Raffinesse strukturiert: "Nach oben musst du blicken" heißt der Text, die Außenstimmen aber streben auseinander, während die Mitte vorerst beim Ton D verweilt. Verschiedene Ausbruchsversuche werden über einen langen Orgelpunkt (Ton G) am Ende wieder hinab geführt – das Bleiben und wundervolle Verweilen der Liebe symbolisierend? Dem antwortet in Nummer 4 der Text Goethes. "Mit Kraft und Feuer" schreibt Schumann vor, wobei "Ruhe" und "Frieden" stets auch mit langen und tiefen Noten vertont werden. In geradezu impressionistischer Manier lässt Schumann Klänge des einen Chores in den des anderen hineinragen, sie überlagern sich und lösen einander ab, um immer wieder in den Quartschritt zu münden "Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident!" Die harmonisch aufregendste Passage des gesamten Zyklus (und Abends…) ist die verwegene Chromatik bei "Mich verwirren will das Irren". Sie wird mit den Worten des 2. Soprans "Doch du weißt mich zu entwirren" wieder zurück nach C-Dur gebracht. Nach großem Aufschwung und vollem fortissimo endet das Stück in tiefer Ruhe und mit dem Wort "Amen". Hier spricht der Komponist der großen und bedeutenden "Faust-Szenen". Die Gesänge op.141 sind ein Pendant dazu im Bereich der A-cappella-Literatur und weisen weit voraus auf spätere Werke von Max Reger ("Vater unser"), Richard Strauss ("Deutsche Motette") oder Günter Raphael ("Im Anfang war das Wort"). Sie manifestieren Schumanns Leistung, als Komponist – gerade auch von Chormusik –Avantgarde verkörpert zu haben.

Die Tatsache, dass diese Werke in Dresden entstanden sind, sollte uns Verpflichtung sein.

Im Großen Garten bisweilen noch auf denselben Wegen und unter denselben Bäumen laufen zu dürfen wie Clara und Robert Schumann indessen erfüllt mich mit tiefer Ehrfurcht, dem Gefühl innigster Rührung und Verbundenheit. Es lässt mich träumen, wenn auch zwei Meilen vom Elbhang entfernt…

22.6.2010
Ekkehard Klemm

Literaturhinweise:
Schumann Handbuch, hrsg. von U. Taddey, Bärenreiter/Metzler, Stuttgart, 2006
Ernst Burger: Robert Schumann – Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, Schott, Mainz, 1999
Peter Gülke: Robert Schumann – Glück und Elend der Romantik, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2010
Arnfried Edler: Robert Schumann und seine Zeit, Laaber, Regensburg, 1982/2002
Dresdner Hefte, 28. Jahrgang, Heft 102: Robert Schumann in Dresden, Sandstein Verlag, Dresden, 2010

16
Jun
2010

Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle

Am 23.6. erklingt in der Semeroper Dresden ein Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle unter meiner Leitung. Weitere Infos unter der Adresse der Semperoper.

Saunders

Rebecca Saunders ist (war) diese Saison "capell-compositrice" des Orchesters. "fury II" ist ein Ensemblestück für Kontrabass und Instrumente. Eingerahmt wird die Uraufführung von einer vielleicht etwas ungewöhnlichen Lesart der Es-Dur-Sinfonie KV 543 von Mozart (ich möchte die Einleitung konsequent als französische Ouvertüre musizieren - kein Pathos, sondern aufklärerisch geschärfter Klang) sowie der Instrumentation des späten Es-Dur-Quintetts KV 614 durch Paul Dessau (Mozart-Adaptationen - diese übrigens in E-Dur). Alt und Neu treffen in dem Programm recht interessant aufeinander...

15
Jun
2010

ROMEO UND JULIA von Boris Blacher

nr-17

Nur ein kleiner Eindruck von einem sicher recht interessanten Konzert am kommenden Samstag 19.30 Uhr im Palais des Großen Gartens in Dresden: Zu Boris Blachers ROMEO UND JULIA haben junge Leute Illustrationen geschaffen. In Blachers Oper übernimmt häufig der Chor die Funktion verschiedener Personen (so u.a. des Paters Lorenzo). Das hat u.a. Johanna Klemm zu dem obigen Bild inspiriert.

Blachers Stück ist von 1943, geschrieben in einer Zeit, wo er in Deutschland weitgehend verboten und unerwünscht war. Die Uraufführung fand 1947 statt, in Dresden drüfte es sich um eine Erstaufführung handeln.

Im zweiten Teil des Konzertes erklingen Madrigale von Hans Leo Hassler, die um die Zeit Shakespeares entstanden sind. Weitere Informationen hier.

5
Jun
2010

...der Pöbel hat bisher recht gut über Mozart gedacht...

In der ZEIT stand ein Beitrag zum Thema Theater, auf den mich der kulturchronist gebracht hat. Eine Leserzuschrift war fällig, insbesondere auf die Einlassungen eines "Knut Schreiber" antwortend, der sein Statement folgendermaßen beginnt:

Theater sind vor allem Unterhaltungseinrichtungen. Der Theaterbesucher geht dort in erster Linie hin, um sich von der Darbietung unterhalten zu lassen. Insofern unterscheiden sich Theater nicht von Kinos oder anderen Unterhaltungseinrichtungen. Jetzt schreit das Mitglied des sogenannten "Bildungsbürgertum" auf und behauptet arrogant, Theater sei "höhere Kultur" und der "blöde Pöbel" soll gefälligst dafür bezahlen.

Insbesondere dazu meine Antwort:

...der Pöbel hat bisher recht gut über Mozart gedacht...

Als Bildungsbürger und ausübender Künstler erlaube ich mir den diskreten Hinweis, dass es sich bei Schütz, Purcell, Bach, Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn, Verdi, Wagner, Mahler ... bei Ligeti, Xenakis, Rihm oder Lachenmann, bei da Vinci, Rembrandt, Dürer, Tizian, Michelangelo, ... bei Picasso, Chagall, Schmidt-Rottluff, Richter, Warhol, bei Shakespeare, Goethe, Schiller, Heine, Lessing, ... bei Frisch, Dürrenmatt, H. und Th. Mann, Bulgakow, S. Heym oder Uwe Tellkamp ...........

... NICHT um Unterhaltung handelt, sondern um die Essenz des menschlichen Geistes, um den Kern seiner gebündelten Kreativität und des Versuches, sich mit dem Sinn unseres Daseins, den Grundkonflikten unserer Gesellschaft und mit dem ganz tiefen Inneren unserer selbst auseinanderzusetzen. Das hat seit den alten Griechen in der Menschheitsgeschichte ganz gut und noch nie ohne Subventionen funktioniert, die indessen in der Demokratie - völlig richtig - erstritten werden müssen. Aber wenn wir sie abschaffen, sollten wir uns wenigstens darüber klar sein, dass wir den Kern unseres Menschseins zu den Akten legen. Der kann über kurz oder lang nicht nur aus Thomas Gottschalk und Lena bestehen.

31
Mai
2010

Nachtrag GENOVEVA

Es war eine schöne, bewegende Aufführung mit allen Schwierigkeiten, die es mit sich bringt, wenn man das Stück mit einem Ensemble von vorwiegend Studenten aufführt. Die haben sich der Herausforderung mit Engagement und Herzblut gestellt und sicher auch etwas schmerzlich kennengelernt, was es heißt, einen halben TRISTAN zu spielen (2 h 45 min.) Die Anforderungen Schumanns sind exorbitant.

Der Kritiker der SZ geht indessen Schumann in die Falle, wie ich finde: Die hier mit einem Happy End aufpolierte Genoveva-Legende, die in Hebbels Drama noch Trauerspiel sein darf, ist bei Schumann einfach arg süßlich. Auch musikalisch bleibt er einiges schuldig. Nach vielversprechender Ouvertüre braucht es lange, bis das Werk Fahrt aufnimmt.

Arg süßlich? Was ist denn dann LOHENGRIN oder HOLLÄNDER? Warum bekommt Schumann immer das ab, was bei den anderen viel mehr zuträfe? Man sollte die Story nicht 1:1 lesen - sie geht tief in die menschliche Seele. Und deshalb nimmt die Musik auch nicht Fahrt auf, sondern bleibt alles in allem lyrisch, motivisch unerhört dicht und verzahnt und verzichtet auf Äußerlichkeit. Die Chöre des TANNHÄUSER sind schmissiger, wirkungsvoller - mag sein. Die der GENOVEVA sind Lieder für Chor und Orchester. Die Gebete von Elsa und Elisabeth sind Melodien mit Akkorbegleitung - das Gebet der Genoveva ein harmonisch-kontrapunktisches Kunstwerk und wundervolles Lied ohnegleichen. Der intimste Moment des Stückes ist das Duett "Wenn ich ein Vöglein wär" - dort sind sich Genoveva und Golo viel näher, als es Siegfried und Genoveva je sein könnten. Das sollte zu denken geben.

Der Kollege Schüler vom Brandenburgischen Staatstheater in Cottbus sagt folgendes: "Der Plot ist: Was passiert, wenn Pfalzgraf Siegfried in den Krieg zieht, seine junge Frau zurücklässt und zum Aufseher einen bestimmt, der sie liebt? Siegfried hat Genoveva und liebt sie nicht, Golo – in unserer Version illegitimer Sohn des Pfalzgrafen – liebt Genoveva und hat sie nicht." (Das ganze Interview hier) Auch Zwickau bereitet eine Premiere vor!
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