Frohe Weihnacht mit Schumann und Schenker
Erschienen ist kurz vor Weihnachten die CD mit dem Titel "Musik aus Dresden - Avantgarde 1846 und 2010".
Die Sächsische Zeitung schwingt sich zu einem weihnachtlichen Lob auf: Wohl kaum einer würde Robert Schumann heute zur Avantgarde zählen. Ekkehard Klemm, umtriebiger Dirigent und Rektor der Dresdner Musikhochschule „Carl Maria von Weber“, tut es – und hat recht. ... Und es klingt gut: Die Studenten interpretieren mit Klemm die beiden kantenreichen Schönheiten mit Entdeckerfeuer. Der Schenker ist lustvoll spröde, der Schumann energiegeladen trotz Eleganz – eben mit Liebe gespielt.
Das Booklet mit Texten von mir und Prof. Manuel Gervink erklärt etwas mehr den Hintersinn des Titels:
12 Charakterstücke für jugendliches Orchester/UA Friedrich Schenker
„Welch ein Werk ist der Mensch? Zur Hälfte doch hoffentlich ein Wesen, das sich selbst und seine Mitwelt heiter erfährt. Was aber ist Heiterkeit? Und wie kann Heiterkeit, Hohnlachen, Biss, Satire in moderner Musik funktionieren? Friedrich Schenker weiß die Frage strukturell wie kaum ein anderer auseinander zu nehmen. Die Devise des Komponisten und Posaunisten: Je unfröhlicher die Zeiten, desto abgefeimter, bissiger die Musik.“ Mit diesen Worten ehrte Stefan Amzoll 2002 den damals 60-jährigen Friedrich Schenker. „Springt der Künstler mit Bildern, Texten, Noten, Figuren heiter um, dringt er gelaunt oder missgelaunt in die Zerrwelt des Fragments, um sie nach seinem Bild umzuformen, experimentiert er mit artigen und abartigen Phantasien, entscheidet er, wann was wo stimmig und unstimmig gerät, wann Wirklichkeit mitläuft und wann nicht, ob etwas kühn, idiotisch, sachlich, frivol, monumental, frech, barbarisch, kitschig, infantil, lachhaft, lustvoll, dämlich, schändlich ist, dann tut er das kritischen Herzens und wachen Auges. Scharf und ganz unsentimental schaut Schenker dabei und fragt, zu welcher Schande die Jetztwelt noch fähig ist und wie man ihr Lichter aufsetzen kann.“
In diesem Kontext sind auch die „12 Charakterstücke für jugendliches Orchester“ zu sehen. Schon der Titel verrät Ironie: denn natürlich sind die Anforderungen durchaus sehr hoch und keinesfalls von ‚Jugendorchestern‘ zu meistern. Eher ist wohl ein ‚jung gebliebenes‘ Orchester gemeint – eines, dass offen und neugierig auf Entdeckungssuche geht.
Voller Bezüglichkeiten streift Schenker in 12 Teilen durch die Musikgeschichte - vermeintliche Avantgarde wird dabei ebenso lustvoll persifliert wie Walzer, Impressionismus, Beethoven oder Marschmusik, die ins Straucheln gerät.
20 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit reflektiert das neue Werk nicht zuletzt ein Stück Geschichte – wie immer bei Schenker: Mit Biss, sarkastischem Humor und Leidenschaft.
Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 Robert Schumann
Am 5. November 1846 im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung Mendelssohns uraufgeführt, war dem Werk kein spontaner Erfolg beschieden, was wohl an der Programmgestaltung gelegen haben mag, bei der das Konzert durch die Ouvertüre zu Gioacchino Rossinis Ouvertüre zu Wilhelm Tell eröffnet (und auf Verlangen des Publikums da capo wiederholt) worden war, wogegen Schumanns Sinfonie am Ende des Programms einen schweren Stand hatte. Dies hat aber ihre langfristige Anerkennung nicht verhindert. Im zweifellos vorhandenen Gegenüber verhaltener bis schwermütiger und lebhafter Passagen ein Abbild der persönlichen Situation Schumanns zu sehen, wäre sicherlich verfehlt.
Nahezu alle Abmachungen werden bereits in dem zarten, ungeduldigen, eruptiven Beginn des ersten Satzes geradewegs auf den Kopf gestellt. 4-taktige Taktgruppen in den Blechbläsern werden 3-taktigen in den Streichern gegenübergestellt; das Hauptthema bringt in 8 Takten 7 verschiedene Varianten eines gezackt punktierten Motivs und gleicht einem Würfelspiel mehr als einem Thema. Es herrscht eher ein kreatives Chaos im klassischen Gewand, angereichert mit kontrapunktischen Elementen im Geiste Bachs. Ein Stück Avantgarde des Jahres 1846, das in Teilen der Durchführung im Zusammenhang mit einer ausgesucht aparten Instrumentation und Dynamik fast eine Vorahnung von Debussy sein könnte.
Der bekannteste Satz der Sinfonie ist möglicherweise der zweite – ein fulminantes und virtuoses Scherzo, dessen Einfallsreichtum faszinierend ist. Auch hier scheut Schumann nicht die Neubewertung des Genres. Die Umstellung von langsamem Satz und Scherzo wie in Beethovens Neunter ist ihm nicht genug: er schreibt zur Abwechslung gleich zwei verschiedene Trios; eines, das beim Zitieren Mendelssohnschen Geistes gleichsam ins schwärmerische Singen verfällt, ein weiteres, das eben jenes Singen zum Fugato verarbeitet. Die Coda ist im Unterschied zu Beethoven nicht schroff und überraschend: sie fasst zusammen, führt weiter und es wird wohl jeder zustimmen, wenn sie ‚elektrisierend‘ genannt wird.
Einen ganz anderen Weg beschreitet der Komponist im langsamen dritten Satz, dessen Hauptgedanken mit einer unendlichen Melodie angemessen beschrieben werden könnte. Auch hier täuscht der Höreindruck zunächst Klassizität vor: Melodie plus Begleitung. In Wahrheit sind nicht eine, sondern sondern zwei ganz eigenständige Melodien zu entdecken: Jener in den 1. Violinen ist eine Basslinie zugeordnet, die in ihrer melodischen Bedeutung kaum weniger gelten kann. Die prägenden Sexten beider Linien erinnern an die Fanfaren aus Satz I: Sie übersteigern die Quinte des dortigen Trompetenmotivs um einen bedeutungsvollen Halbton und machen so aus einer Fanfare ein herzenswehes romantisches Lied, das im Verlaufe seiner Entwicklung alle Stationen zwischen Schmerz, Melancholie, Ergebenheit, Aufbäumen, Hoffnung und Zusammenbruch durchschreitet. Ein ‚Lied ohne Worte‘ von Schumann, das über die beschriebenen Eigenarten hinaus mit einer weiteren aufwartet: Es dürfte eine der ersten Klangfarbenmelodien der Musikgeschichte sein. Jedes neue Erscheinen des Aufwärtssprunges (später zur Septime geschärft) wird anders instrumentiert. Innerhalb des ersten Teiles findet sich in 9 verschiedenen Varianten nicht eine einzige Kombination von Instrumenten, die schon einmal verwendet worden wäre. Ganz außerordentlich ist in die Ausdruckskraft dieses Adagio espressivo, das noch dazu von einem Fugato unterbrochen wird, das mit Motivik aus Bachs Musikalischem Opfer an den Gesang der Geharnischten Männer aus Mozarts Zauberflöte gemahnt.
Das Elektrisierende kehrt im Schlusssatz zurück, der alle Kräfte bündelt. Mit einer Vitalität ohne Beispiel geraten Zacken, Fanfaren, Lieder und Linien, Fugen und Themen aller Sätze an- und ineinander. In drängendem Tonfall findet sich das schmerzliche Lied des 3. Satzes plötzlich als kraftvoll lyrisches Seitenthema wieder; die an Webers Freischütz erinnernde Klarinette schreit den gleichen Gedanken wenig später zu forte sempre con energia gemeißelten Triolen der 2. Violinen und Bratschen spiegelbildlich von oben herab; das schwärmerische Singen wird plötzlich zum „Nimm sie hin denn, diese Lieder“, mithin zu einem Zitat von Beethoven. Ganz am Ende ertönt in einem Jubiloso der Bläser eine übersteigerte Triolenfigur, die nicht anders als eine Verbeugung vor Schubert und seiner C-Dur-Sinfonie gedeutet werden kann – von Dresden aus geht der Gruß nach Wien zum bewunderten Meister, dessen großes sinfonisches Opus Schumann wiederentdeckt hatte – alles in allem ein ansteckendes Furioso, das uns hochgestimmt entlässt.
"ein ansteckendes Furioso, das uns hochgestimmt entlässt." In diesem Sinne ein frohes Fest allen Leserinnen und Lesern sowie allen Freunden und Interessenten!
klemmdirigiert - 2010-12-24 15:32
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