Déjà-vu...
Typisches Déjà-vu-Erlebnis beim gestrigen Konzert der phantastischen Jungen Deutschen Philharmonie in Dresden: ein wunderbares Stück von Aribert Reimann zu Beginn, einige "Cluster und Klangsplitter" (der Dirigent Marc Albrecht) - und schon herrscht in Dresden Unruhe im überwiegend mit Senioren gefüllten Saal. Anfang der 80-er Jahre hießen die 'Skandal-Komponisten' Manfred Weiss (Violinkonzert), Wilfried Krätzschmar (1. Sinfonie) oder P. H. Dittrich (Stücktitel weiß ich nicht mehr genau). Nur Fritz Geißler mit seiner rückwärtsgewandten 9. Sinfonie (unter Herbert Kegel) wurde bejubelt (und bekam von mir ein Buh).
Die Dresdner... restaurieren, barockisieren, wölben grün und golden ihre Schätze und wachen streng, daß ja keine häßliche moderne Brücke den Blick aufs Städtchen verbaut (warum haben sie dereinst eigentlich das wirklich stählern-undurchsichtige Blaue Wunder zugelassen, das ja heute wohl zum Welterbe dazugehört...?!?)
Man kann und muß sie für das alles lieben - wie man manchmal daran verzweifeln könnte: die ehrwürdige Staatskapelle beendet ihre diesjährige Saison in Sachen zeitgenössische Musik etwa im Jahr 1945 mit dem Komponisten Bartók, die Dresdner Philharmonie schmückt sich mit etwas Schnittke, einem süffigen Cantabile von P. Vasks und dem Stück von Reimann - sh.o. - das noch dazu ein Gastorchester spielt (und 11 min. dauert). Daß bei dieser Programmpolitik die Zuhörer bei Reimann quatschen und unruhig sind, wundert mich nicht.
Kollegen - möchte ich den mein Blog sicher nicht lesenden Verantwortlichen zurufen: wollen wir uns auch mal um die Werte UNSERER ZEIT kümmern?
Danke also an Marc Albrecht und seine Truppe, die auf ihrer Tour auch noch die UA eines Stückes von Kaija Saariaho im Gepäck hatte (in Frankfurt und Leipzig zu hören - ein sehr farbiges, fast impressionistisches Stück; in Leipzig hören die Leute besser zu - aber es kommen zu wenige: das Gewandhaus war zu einem Drittel gefüllt).
"Robert Schumanns letztes Thema, kurz vor dem Ausbruch der Krankheit zu Papier gebracht, leuchtet hinein in Reimanns Katastrophen-Musik, in diese Cluster und Klangsplitter - für die Apokalypse glaubwürdige Klänge zu finden ist ja ohnehin Reimanns große Kunst, das macht ihm keiner nach. Plötzlich wird in diesen Stücken ein Fenster geöffnet und es wehen Schumanns Es-Dur-Klänge wie aus einer anderen Welt herein. Und sorgen für Ruhe, für Ausatmen, schaffen eine Insel des Vertrauens. Schon damals überkam mich dieses Gefühl: Man ist gestresst von der Musik, körperlich angegriffen, und spürt dann dieses Licht. Ein großartiges Stück!"
(M. Albrecht im Interview)
Nix hinzuzufügen!
Die Dresdner... restaurieren, barockisieren, wölben grün und golden ihre Schätze und wachen streng, daß ja keine häßliche moderne Brücke den Blick aufs Städtchen verbaut (warum haben sie dereinst eigentlich das wirklich stählern-undurchsichtige Blaue Wunder zugelassen, das ja heute wohl zum Welterbe dazugehört...?!?)
Man kann und muß sie für das alles lieben - wie man manchmal daran verzweifeln könnte: die ehrwürdige Staatskapelle beendet ihre diesjährige Saison in Sachen zeitgenössische Musik etwa im Jahr 1945 mit dem Komponisten Bartók, die Dresdner Philharmonie schmückt sich mit etwas Schnittke, einem süffigen Cantabile von P. Vasks und dem Stück von Reimann - sh.o. - das noch dazu ein Gastorchester spielt (und 11 min. dauert). Daß bei dieser Programmpolitik die Zuhörer bei Reimann quatschen und unruhig sind, wundert mich nicht.
Kollegen - möchte ich den mein Blog sicher nicht lesenden Verantwortlichen zurufen: wollen wir uns auch mal um die Werte UNSERER ZEIT kümmern?
Danke also an Marc Albrecht und seine Truppe, die auf ihrer Tour auch noch die UA eines Stückes von Kaija Saariaho im Gepäck hatte (in Frankfurt und Leipzig zu hören - ein sehr farbiges, fast impressionistisches Stück; in Leipzig hören die Leute besser zu - aber es kommen zu wenige: das Gewandhaus war zu einem Drittel gefüllt).
"Robert Schumanns letztes Thema, kurz vor dem Ausbruch der Krankheit zu Papier gebracht, leuchtet hinein in Reimanns Katastrophen-Musik, in diese Cluster und Klangsplitter - für die Apokalypse glaubwürdige Klänge zu finden ist ja ohnehin Reimanns große Kunst, das macht ihm keiner nach. Plötzlich wird in diesen Stücken ein Fenster geöffnet und es wehen Schumanns Es-Dur-Klänge wie aus einer anderen Welt herein. Und sorgen für Ruhe, für Ausatmen, schaffen eine Insel des Vertrauens. Schon damals überkam mich dieses Gefühl: Man ist gestresst von der Musik, körperlich angegriffen, und spürt dann dieses Licht. Ein großartiges Stück!"
(M. Albrecht im Interview)
Nix hinzuzufügen!
klemmdirigiert - 2006-09-24 17:26
7 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
mikel (Gast) - 2006-09-24 21:30
so sehr ich es mag, wenn sich Kunst nur um sich selbst kümmert, aber in dem Zusammenhang frage ich mich immer wieder, wenn nicht von Nischen gesprochen wird, sondern vom (fast) ausschließlich hochsubventionisiertem Musikbetrieb (woher auch immer die Gelder stammen), ob sich "neue Musik" wirklich um UNSERE Zeit kümmert (oh ja, ich kenne schon Musiker die solches tun) oder doch nur in professoralem Denken erstarrt und nicht "studierte" Hörer alleine lässt, nicht lockt zum hören sondern eher das "nichtverstehen" blockt. Wieviele Semester Musiktheorie braucht man, um wirklich mithören zu dürfen? Warum gibt es diese unselige Trennung zum Pop, zum Jazz (dort ist die Begegnung noch am ehesten spürbar, im Freejazz) ? Der Musikbetrieb scheint mir noch unbeweglicher, als der Literaturbetrieb im Gegensatz zum sehr beweglichen und effektiven "bildenden" Kunstbetrieb, der heute alle "neuen" Medien umfasst. Na ja, was schreib ich sowas...
Crossovergedanken schwenkend.
Crossovergedanken schwenkend.
klemmdirigiert - 2006-09-24 22:33
Lieber Mikel,
bitte nicht mit Crossover... das ist so das schlimmste, was man mir antun kann.
Nein: einzig ein wenig Mut und Geduld gehören dazu. Dort, wo engagierte Leute durch geschickte Programme Interesse geweckt haben, funktioniert es auch in der Musik wie in der bildenden Kunst. Jedes Arbeitsamt, jede Arztpraxis hat heute moderne(re) Kunst an den Wänden - aber wehe, es käme jemand auf die Idee, Stravinski durch den Lautsprecher zu jagen.
Wir müssen endlich H. Lachenmanns Definition ernstnehmen, derzufolge wahre Kunst in der AUSEINANDERSETZUNG entsteht, nicht im Bedienen von Bedürfnissen (er bezieht es auf den sogenannten 'ästhetischen Apparat'). Und diese Auseinandersetzung wird zugunsten meist merkantiler Gesichtspunkte nicht geführt. Da geht es um Verträge großer Künstler, um Reisen, Plattenaufnahmen, um Zuschauerzahlen, aber schon lange nicht mehr um Kunst.
Die Ruhrtriennale funktioniert doch auch und hat ein recht avanciertes Konzept?!
Daß man zum Hören neuer Musik professoral gelehrsam sein muß - wer erzählt solchen Quatsch? im Übrigen: neue Musik - wie sehr sie sich bewußt oder unbewußt um etwas kümmert - IST unsere Zeit. Sie ist es beim unbequemen Lachenmann, bei der träumerischen Saariaho, beim spröd-schönen Reimann oder beim kultigen Pärt.
Die Zuhörer für Klassik sind übrigens im letzten Jahr um 1,9% gesunken - warum wohl. Jedenfalls nicht, weil zu viel neue Musik erklang. Die Leute langweilen sich. Das ewig Alte lediglich neu zu interpretieren reicht als schöpferische Leistung dem Hirn auf Dauer nicht aus.
Zum Jazz ist die Trennung gar nicht so groß, zum Pop - na ja, kommt drauf an, was man darunter versteht. Seit den Beatles ist ja nix Neues mehr passiert. Jedenfalls habe ich keine stilistische Entwicklung hören können. Gegen den Pop von heute sind ja die Beatles geradezu modern.
Nein: einzig ein wenig Mut und Geduld gehören dazu. Dort, wo engagierte Leute durch geschickte Programme Interesse geweckt haben, funktioniert es auch in der Musik wie in der bildenden Kunst. Jedes Arbeitsamt, jede Arztpraxis hat heute moderne(re) Kunst an den Wänden - aber wehe, es käme jemand auf die Idee, Stravinski durch den Lautsprecher zu jagen.
Wir müssen endlich H. Lachenmanns Definition ernstnehmen, derzufolge wahre Kunst in der AUSEINANDERSETZUNG entsteht, nicht im Bedienen von Bedürfnissen (er bezieht es auf den sogenannten 'ästhetischen Apparat'). Und diese Auseinandersetzung wird zugunsten meist merkantiler Gesichtspunkte nicht geführt. Da geht es um Verträge großer Künstler, um Reisen, Plattenaufnahmen, um Zuschauerzahlen, aber schon lange nicht mehr um Kunst.
Die Ruhrtriennale funktioniert doch auch und hat ein recht avanciertes Konzept?!
Daß man zum Hören neuer Musik professoral gelehrsam sein muß - wer erzählt solchen Quatsch? im Übrigen: neue Musik - wie sehr sie sich bewußt oder unbewußt um etwas kümmert - IST unsere Zeit. Sie ist es beim unbequemen Lachenmann, bei der träumerischen Saariaho, beim spröd-schönen Reimann oder beim kultigen Pärt.
Die Zuhörer für Klassik sind übrigens im letzten Jahr um 1,9% gesunken - warum wohl. Jedenfalls nicht, weil zu viel neue Musik erklang. Die Leute langweilen sich. Das ewig Alte lediglich neu zu interpretieren reicht als schöpferische Leistung dem Hirn auf Dauer nicht aus.
Zum Jazz ist die Trennung gar nicht so groß, zum Pop - na ja, kommt drauf an, was man darunter versteht. Seit den Beatles ist ja nix Neues mehr passiert. Jedenfalls habe ich keine stilistische Entwicklung hören können. Gegen den Pop von heute sind ja die Beatles geradezu modern.
mikel (Gast) - 2006-09-25 23:25
und wo kann man sowas downloaden?
;-)
;-)
klemmdirigiert - 2006-09-26 00:25
die Genannten gibt es in besseren CD-shops, Beck in München z.B., opus 61 in Leipzig oder Dresden usw.usf.
joernsnotizen - 2006-09-27 09:30
"wölben grün..." :)
Oh ja, wir Dresdner sind schon ein spezielles Völkchen, hier in unserer Barockprovinz... wobei speziell die neue Brücke ja wohl per Volksabstimmung sogar bestätigt wurde. Das Blaue Wunder, so sehr es jetzt nicht wegzudenken ist, die zwei backsteinroten Platzklötze im Auslauf der Brückenrampen haben einst den Kern zweier schöner Dörfchen plattgemacht, und einen Dialog mit dem Rest der Dörfchen, ein gewinnbringendes Spiel mit der Landschaft oder gar einladende Plätze kann ich dort nicht erkennen. Das gelang an andren Orten damals schon bedeutend besser, ohne herumzuhistorisieren. Und ich finde nicht, dass die neue Brücke in irgendeiner Beziehung als modern oder gar gelungen bezeichnet werden kann. Ich kann nur Lobbyismus und eine schwindelerregende Geldverheizungsmaschine darin erkennen. Insofern ist gerade sie vielleicht ein schlechtes Beispiel für den unbestrittnen heiligen Eifer der Dresdner beim Historisieren, der mich zuweilen sehr belustigt und noch öfter traurig macht, wenn ein Diskurs ein weitres Mal ob schon beschlossnen Ausgangs im Keim erstickt und ein Projekt gestorben, kaum dass man daran gedacht. Die alten Schübe im Krämerladen bieten keinen Platz fürs Neue, schon gar nicht fassen sie den Widerspruch, der doch gerade die Klüfte zwischen all den Schüben überbrücken könnte. Dissonanzen aushalten, vermeintlich nicht Zusammenpassendes einfach zusammen stehenlassen... ja, es ist ein Jammer, wie schwer es "die Moderne" hat, die doch meist, wird sie geboten, in Wahrheit eher der "klassischen Moderne" zuzurechnen ist. Dabei sind doch gerade musikalische Experimente im Gegensatz zu einer Brücke nix, womit man dann hundert Jahre leben müsste. Ich halte aber für lebenswichtig, dass Kunst in Dialog tritt mit der Umgebung, Bezug nimmt, reflektiert, wie ich mir das ja auch von Architektur erhoffe. Es ist in meinen Augen eine immense Herausforderung, das schon Dagewesene nicht als lähmend blind zu meiden. Und den Reiz eines Stückes nicht nur auf der Ebene komplex verwobener Zitate und wohldurchdachter Affekte zu gründen. Brückenbau zum ungeübten Hörer hin. Und andererseits müsste endlich gerade alles Neue wiederholt zu hören sein, weil es sich naturgemäß nicht jedem beim ersten Hören schon erschließt. Ich wünschte mir generell weniger heiligen Eifer. Ein golddurchwirkter Brokatvorhang bedeutet nicht gleich gestriges Theater, Provokation muss nicht gleich Kunst sein. Ich träume auch davon, dass man ein Konzert im ersten Anlauf wieder richtig herzhaft Sch..schrecklich finden darf, ohne dafür im Schubladen der Ewiggestrigen zu landen. Denn nichts finde ich schlimmer, wenn man als Hörer beständig an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern denkt und dabei doch versucht, intelligent-interessiert zu blicken. Auch diese Sorte gibt es.
mikel (Gast) - 2006-09-28 23:54
Ich fragte eigentlich nach downloads, nicht nach Datenträgern.
Nur wegen dem HEUTE.
Wer streitet außer Klemm (Hoch soll er deshalb leben) noch im Internetz für die Wahrnehmung neuer Musik?
Gibt es Musik ohne Frack?
Nur wegen dem HEUTE.
Wer streitet außer Klemm (Hoch soll er deshalb leben) noch im Internetz für die Wahrnehmung neuer Musik?
Gibt es Musik ohne Frack?
klemmdirigiert - 2006-09-29 00:59
sorry
das kann ich gar nicht so genau beantworten; wahrscheinlich auch ein urheberrechtliches Problem, zumal immer gleich zig Musiker nach ihrem Einverständnis gefragt werden müssen - so einfach eine Aufnahme ins Netz stellen geht da nicht
Musik ohne Frack? aber selbstverfreilich - aber ich kann das gar nicht so leiden, weil ich meine: gleiches Recht für alle. Mozart im Frack, also auch Ligeti und Xenakis - das ist wie so eine Art Bilderrahmen für mich, eine Art Stilisierung in der Präsentation
Die ausgeprägten Avantgarde-Kollegen spielen oft im schwarzen Hemd... - auch nicht so originell und sehr dröge.
Die Reimann Seite (sh. Links) hat verschiedene Tonbeispiele als Download. Sicher andere auch.
Musik ohne Frack? aber selbstverfreilich - aber ich kann das gar nicht so leiden, weil ich meine: gleiches Recht für alle. Mozart im Frack, also auch Ligeti und Xenakis - das ist wie so eine Art Bilderrahmen für mich, eine Art Stilisierung in der Präsentation
Die ausgeprägten Avantgarde-Kollegen spielen oft im schwarzen Hemd... - auch nicht so originell und sehr dröge.
Die Reimann Seite (sh. Links) hat verschiedene Tonbeispiele als Download. Sicher andere auch.
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