12
Mrz
2007

Paul Gerhardt *400

"Keines der 139 erhaltenen Gedichte Paul Gerhardts hat den Krieg zum Thema. Aber kaum eines wäre ohne ihn denkbar. Paul Gerhardts jubilierende Anbetung des Allmächtigen verdankt sich eben nicht nur der Rhetorik eines lutherischen Pfarrers, auch nicht allein der eines belesenen Dichter-Virtuosen, der es großartig versteht, alte Texte umzudichten. In ihr steckt Todeserfahrung. Dass alles vergänglich ist, dass nichts seinen Wert behält, dass alles zu Staub wird, hatte er erlebt, nicht nur gelesen. Es mag eine Barbarei sein, angesichts der Vernichtung Gedichte zu schreiben. Aber die Menschheit hat es immer wieder getan. Sie weiß, dass die Gedichte dem Grauen kein Ende machen, aber sie weiß auch, dass sie die Gedichte braucht, um das Grauen ertragen und so sein Ende erleben zu können. Auch das Grauen wird zu Staub. Aus diesem Staub ist Paul Gerhardt und ist die große deutsche Barockdichtung hervorgegangen."

Das ist fürwahr eine fulminante Würdigung, die Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau von heute dem Barockdichter hat zuteil werden lassen!
Es fehl höchstens der Verweis auf das ebenso wunderbare TREFFEN IN TELGTE von Grass. Und über den Schluß des Textes von Widmann kann man getrost geteilter Meinung sein. Welche Erwartung unseres Endes kann schöner sein als die, wie sie Paul Gerhardt formuliert?

Ich verehre ihn - und bei manchem Vers treibt es einem...
Nein, wir müssen hier nicht zu melancholisch werden. Das Lyrische ist bei PG zu kraftvoll, als daß wir darob zerfließen sollten.

9
Mrz
2007

...von der Kraft des Lyrischen

Kraft und Lyrik - ein Widerspruch? Ich hoffe, am Sonntag 11 Uhr (Einführung 10 Uhr, Kulturpalast Dresden) unser Publikum von der überwältigenden Energie des Lyrischen in unserem Konzert überzeugen zu können.

Es gibt zunächst die MELODIEN für Orchester des verehrten (und 2006 verstorbenen)

Ligeti1

György Ligeti, ein vorwiegend leises Stück voller Poesie, voller Farbschattierungen, Linien und Virtuositäten.

Danach Mozarts Klavierkonzert d-moll, KV 466, eines der bekanntesten und düstersten - dem GIOVANNI recht nahe.

Schließlich die neulich HIER bereits annoncierte 4. Sinfonie von Anton Bruckner in einer hoffentlich lyrischen, weniger blechgepanzerten Variante, auf die ich mich nach den ersten Proben mit dem Hochschulsinfonieorchester sehr freue!!

Karten zu 12 Euro an der Kasse am Vormittag!

26
Feb
2007

Große Werke der Oratorienliteratur

30.06.07, 20.00 Uhr, Klosterkirche Thalbürgl
01.07.07, 17.00 Uhr, Kreuzkirche Dresden

Ludwig van BEETHOVEN - Missa solemnis

Singakademie Dresden und Jena/Jenaer Philharmonie/EkkehardKlemm


06.10.07, 16.30 Uhr, Lukaskirche Dresden

Fanny HENSEL - HIOB
Johannes BRAHMS - Ein deutsches Requiem

Singakademie Dresden/Sächsische Staatskapelle/Ekkehard Klemm


28.10.07, 17.00 Uhr, Kreuzkirche Dresden

Felix MENDELSSOHN BARTHOLDY - ELIAS

Singakademie Dresden/Orchester der Landesbühnen Sachsen/Ekkehard Klemm



Mit Beethovens MISSA SOLEMNIS, mit dem DEUTSCHEN REQUIEM von Brahms – ergänzt durch Fanny Hensels Kantate HIOB – sowie mit Mendelssohns ELIAS stehen große und bedeutende Werke der Oratorienliteratur im Mittelpunkt der Konzerte des Großen Chores der Singakademie.

Wir freuen uns, dass dafür durchweg hochkarätige Partner und 'alte Weggefährten' gewonnen werden konnten.

Die Partnerschaft zum Chor aus Jena führte zuletzt zu einer wundervollen Aufführung des Requiems von Verdi (2004). Anders als damals wird beim Dresdner Konzert diesmal auch die Jenaer Philharmonie den Chor begleiten.
Die traditionelle Aufführung des Requiems von Brahms wird wieder durch die Partnerschaft zur Sächsischen Staatskapelle ermöglicht und in diesem Jahr durch ein unbekanntes Werk aus der Feder der Schwester Mendelssohns ergänzt.

Schließlich freuen wir uns auf mehrere Aufführungen des ELIAS von Mendelssohn gemeinsam mit den Landesbühnen Sachsen (die übrigen Termine stehen noch nicht fest), unserem dauerhaften Kooperationspartner, dem wir im Gegenzug auch bei seinen Konzerten mit CARMINA und Beethovens 9. Sinfonie zur Verfügung stehen. Bei diesem Konzert wird Kammersänger Olaf Bär erstmals in Dresden mit der Partie des Elias zu hören sein.

Kontrastprogramm III

18.12.07, 19.30 Uhr, Lukaskirche Dresden

ADVENTSSTERN 2007

Marc-Antoine CHARPENTIER - Messe de minuit
Lothar VOIGTLÄNDER - MenschenZeit (UA)
Jean Baptiste LULLY - Te deum

Großer Chor/Kinder- und Kammerchor der Singakademie/Sinfonietta Dresden e.V./Ekkehard Klemm


Mit einem französischen Abend läßt die Singakademie das Jahr 2007 ausklingen. Das Jahresmotto KULT&OPFER scheint hier vorerst keine Rolle zu spielen – augenzwinkernd und 'durch die Hintertür' indessen hat auch hier das Thema seine Spuren hinterlassen, denn die ADVENTSSTERNE der Singakademie sind ja mittlerweile Kult in Dresden... – und opferbereit verzichtet auch 2007 der Chor auf den Kult der Bachschen WO-Präsentationen und bereichert das Konzertleben stattdessen mit Unbekanntem und vor allem Neuem!
Aber auch im Ernst führt von den Klagen des Schubertschen Stabat mater, von der Myroloja in Schultz' "Archaische Landschaft..." ein roter Faden zu einem Text wie "Mais je ne pleure pas, d'ailleurs, - je crie." (Aber ich weine übrigens nicht, ich schreie.) von Eugène Guillevic.

Schon lange standen die beiden französischen Barockkomponisten auf der Wunschliste der Singakademie. Die "Mitternachtsmesse" Charpentiers ist eines seiner bedeutendsten Werke und stammt vermutlich aus dem Jahr 1690. Zehn französische Weihnachtslieder sind in ihr verarbeitet. Im Jahr 1677 entstand Lullys opulentes Te deum – es gehört zu den wichtigen Zeugnissen der musikalischen Pracht am Hofe Ludwig XIV. .

Solcherlei repräsentative Musik kontrastieren wir mit einem Zeitgenossen aus Deutschland: Lothar Voigtländer gehört zu den wichtigsten Komponisten der jüngeren Zeit, seine Bedeutung nahm nach 1989 noch zu. Er lehrt an der HfM Carl Maria von Weber in Dresden und gilt auch mit seinem unermüdlichen Einsatz für neue Formen und elektronische Musik als Stimme, die sich nicht zuletzt auf internationalen Festivals für neue Musik viel Gehör verschafft hat.
Bereits 1990 vertonte der Komponist in "Le temps en cause" Texte des französischen Dichters Eugène Guillevic, der 2007 100 Jahre alt geworden wäre. Das damals in Paris erklungene Werk erhält nun mit einer Umarbeitung und zahlreichen Ergänzungen unter dem geplanten Titel MenschenZeit eine völlig neue Form und Struktur und erklingt als Uraufführung.

Wie bei den vergangenen Adventssternen dürfen wir uns auch 2007 wieder auf die Zusammenarbeit mit Sinfonietta Dresden e.V. freuen!

Kontrastprogramm II

02.06.07, 19.30 Uhr, Palais im Großen Garten
Konzert im Rahmen der Reihe SingSCHULAkademie

Giacomo CARISSIMI - JEPHTE (in der Fassung und Instrumentation von Hans Werner Henze)
Hans KRÁSA - BRUNDIBÁR
Henry PURCELL - DIDO UND ÄNEAS

Kinderchor und Kammerchor der Singakademie Dresden/Mitglieder des Chorus Cantiuncularum/Sinfonietta Dresden/Paul-Johannes Kirschner/Ekkehard Klemm/
Tobias Mäthger


Dieses besondere Konzert gilt der jungen Generation und knüpft mit seiner Stückwahl gleichwohl an das Jahresmotto KULT&OPFER an: JEPHTE erzählt von einem Menschen, der geopfert werden soll, DIDO, die Prinzessin aus Karthago, opfert sich selbst. BRUNDIBÁR schließlich wurde im Ghetto Theresienstadt von Menschen musiziert, die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und seiner Vernichtungsmaschinerie wurden. Die hoffnungsfrohe Botschaft dieser Kinderoper antwortet den Klagen der Stücke des berühmten Italieners und des wohl bedeutendsten englischen Komponisten vor Elgar und Britten.

Wir haben dieses Konzert größtenteils in die Hände junger Leute gegeben: unsere Assistenten Paul-Johannes Kirschner und Tobias Mäthger werden erstmals eigene Einstudierungen erarbeiten, der Kinderchor (Einstudierung und Leitung Claudia Sebastian-Bertsch) spielt die Oper in einer szenischen Version von Christiane Kapelle, die für die USA-Tournee im Februar erarbeitet wurde. Eine besondere Zusammenstellung wird es für Carissimi/Henze geben: die älteren Mädchen des Kinderchores bilden mit einigen ehemaligen Kruzianern des Chorus Cantiuncularum einen jugendlichen Chor, der unter Leitung des erst 20-jährigen P. J. Kirschner die Aufführung bestreiten wird.

Die Singakademie knüpft mit diesem Projekt an die Aktivitäten ihrer Reihe SingSCHULAkademie an, die der Arbeit mit und für junge Leute gewidmet ist. Bisher fanden öffentliche Proben mit Einführungsvorträgen in Schulen statt (Schumann, FAUST-Szenen), es wurde im Jahr 2006 erstmals ein Dirigierseminar gemeinsam mit dem Dirigentenforum des Deutschen Musikrates abgehalten, der Chor des Kreuzgymnasiums wirkte bei der Aufführung der CARMINA BURANA mit usw. usf.
Diesmal steht neben der Erarbeitung des Programms durch junge Leute auch die inhaltliche Auseinandersetzung wieder stark im Vordergrund. Es wird Kontakte zu Schulen, Einführungen und wahrscheinlich sogar Begegnungen mit Zeitzeugen geben, die die Aufführungen in Theresienstadt er- und überlebt haben. Auch eine Besichtigung der neuen Dresdner Synagoge wurde durch den Kinderchor unternommen. Bereits jetzt danken wir der jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Dresden e.V. für ihre Hilfe und Unterstützung.

Partner dieses Konzertes ist wie bei vielen ungewöhnlichen Aufführungen und ambitionierten Projekten der letzten Jahre wieder die Sinfonietta Dresden e.V., die auch die UA von Manfred Weiss 2006 und unser Armenien-Projekt 2005 unterstützten – ein Engagement, für das wir außerordentlich dankbar sind!

Kontrastprogramm I

22.04.07, 19.30 Uhr, Versöhnungskirche Dresden

Franz SCHUBERT – Stabat mater g-moll D 175
Wolfgang Andreas SCHULTZ – "Archaische Landschaft mit heilender Trauer" (UA)
Franz SCHUBERT – Stabat mater f-moll D 383

Kammerchor der Singakademie Dresden/Dresdner Kapellsolisten/E. Klemm


Unter dem Motto KULT&OPFER stellt die Singakademie auch im Jahr 2007 außergewöhnliche, selten erklingende Werke vor. Wie in vielen vorangegangenen Konzerten steht an diesem Abend ein Kontrast zwischen Alt und Neu im Mittelpunkt, wobei selbst das Alte den meisten Zuhörern neu sein dürfte – zu unbekannt sind die beiden Vertonungen des Stabat mater von Schubert.

Der junge Komponist vertonte den zur katholischen Liturgie gehörenden Text innerhalb recht kurzer Zeit in zwei Versionen: 1815 in einer kurzen lateinischen Fassung, ein Jahr später nach einer Parodie von Klopstock aus dem Jahre 1766. Klopstock hatte die deutsche Neutextierung des lateinischen Textes offensichtlich für das Werk Pergolesis gedacht. Mit Klopstocks Worten wurde Pergolesis Stück vermutlich 1770 in Leipzig aufgeführt – ein interessantes Detail der wechselvollen Beziehungen der Musikgeschichte: Johann Adam Hiller veröffentlicht Pergolesis Werk mit seperatem Druck der Worte Klopstocks und schaffte so die wahrscheinliche Vorlage für Schubert, der ein großer Anhänger der Oden, Elegien und geistlichen Lieder Klopstocks war und bereits mehrere davon vertont hatte.

Das Werk bezieht sich einerseits auf Pergolesi, wie es in Charakter und Instrumentation auch ganz deutlich mit Haydns "Sieben Worten des Erlösers am Kreuz" in der Oratorienfassung (von der Singakademie 2004 aufgeführt) korrespondiert. Zusammen mit dem in g-moll stehenden lateinischen Stabat mater D 383 des 18-jährigen Schubert bilden beide Werke einen überaus spannenden Blick auf einen uns weitgehend unbekannten Teil aus dem Oeuvre des Wiener Komponisten.

Mit "Archaische Landschaft mit heilender Trauer" von Wolfgang Andreas Schultz stellen wir einen zeitgenössischen Kontrast in die Mitte des Programmes, der beziehungsvoll antwortet: in den Bergtälern Griechenlands existiert vereinzelt noch der Brauch der Myroloja, eines heilenden Klagegesanges. Der Psychologe Jorgos Canacakis hat mit seiner Beschreibung der Myroloja den Hamburger Komponisten zu seinem Stück inspiriert. Schultz arbeitet und lehrt an der Hamburger Musikhochschule, war Schüler und Assistent G. Ligetis und forscht gegenwärtig vor allem zum Thema "Musik und Spiritualität". Ein streitbarer Aufsatz "Avantgarde und Trauma" erschien erst jüngst in der Zeitschrift DAS ORCHESTER (2/07).
Das neue Stück ist für Streicher geschrieben und erklingt als Uraufführung.

Für das Konzert konnten erstmals die Dresdner Kapellsolisten mit ihrem Leiter Helmut Branny als Partner gewonnen werden – die Singakademie ist dankbar für dieses Engagement des mittlerweile weltweit auftretenden, durch hervorragende CD-Produktionen bekannten Kammerochesters und freut sich auf die Zusammenarbeit, die auch im Jahr 2008 fortgesetzt werden soll.

23
Feb
2007

FIDELIO - LEONORE

Leonore

Eine rundum beglückende Vorstellung der LEONORE (die Urfassung des FIDELIO aus dem Jahr 1805) am gestrigen Tag in München (Gärtnerplatztheater) läßt mich auf dieses selten zu hörende Opus aufmerksam machen. Das Werk ist m.E. das bessere von beiden - es beginnt bereits mit einer viertelstündigen Ouvertüre (Leonore II), die an Gewagt- und Schroffheiten kaum zu überbieten ist: die nach dem ersten As-Dur fortissimo viermal eingefügten Riesenpausen (bei Tempo 60 die Achtel also 4x5 Sekunden Pause!!! - möglich, dass ich gestern etwas rascher war) füllt Beethoven in der bekannteren Ouvertüre Leonore III mit Holzbläser-portato-Akkorden; als wenn er die unerträgliche Stille nicht mehr aushielte oder seinem verständnislosen Publikum nicht mehr zumuten mochte.

Und dergestalt gibt es unzählige Details, die mit dem fast doppelt so langen F-Dur im Finale ("O Gott, welch ein Augenblick") noch nicht enden: darin finden sich zwei dissonante Verschärfungen, die jedesmal mit Marzelline korrespondieren - dem eigentlichen Opfer des Stücks; diesem Konflikt - der Leonore zusätzlich in den Wahnsinn treibt (sie muß Marzelline täuschen, um ihren eigenen Mann retten zu können) - ist ein ganzes Duett gewidmet. Auch das fehlt im FIDELIO, wie leider vieles andere.

Beide Stücke sind genial - die Urfassung jedoch ist die noch genialere, avantgardistischere, kühnere.

Noch am Sonntag 16 Uhr und am 2. März.

22
Feb
2007

PETER GRIMES

Der neue Dresdner GRIMES ist irritirend.

Gespannt auf den Ansatz des interessanten Regisseurs Sebastian Baumgarten sieht man das Stück statt in den Fluten des Ozeans in Flaschen und Kästen der Marke Margon (in Sachsen soeben ganz kapitalistisch aufgekauft und verscherbelt) versinken. Grimes als Turbokapitalist eines Getränkemarktes; sein zweiter Gehilfe sitzt im Rollstuhl (der erste war laut Vorlage ja auf See umgekommen). Auch der zweite rutscht ab und fällt die Klippe hinunter - in Dresden bringt ihn Grimes (laut Handlungsangabe!) um. Das ist leider völlig falsch - Grimes ist eben kein billiger Kindesmörder. Und darüber geht auch der Rest des Abends in die Binsen. Ein Margonwasser sprudelnd verspritzender Chor während des existentiellen Sturms des 1. Aktes wirkt einfach lächerlich.

Fragen auch an die Musik: Bolton ist Engländer - muß so Britten klingen? Wenn ja, habe ich ihn anders verstanden. Bolton musiziert (bei allerdings hervorragenden pianissimo-Passagen) locker und gelöst - und genau das ist mein Problem: der Beginn des Stückes ist doch bissig, anklagend und scharf!!! So aber kommt er beinahe beiläufig daher. Das Stück gerät teilweise in die gefährliche Nähe des Musicals. Die riesigen Kontraste und die poetische Bandbreite scheinen mir zusammengeschrumpft auf ein kleines Sozialdramolett in einem modernen Getränkemarkt...

Sorry, Kollegen. Ich bin tief enttäuscht und sehe in dem gewaltigen Opus bei weitem andere Dimensionen. In Dresden bekommt Grimes Pillen, die er tapfer schluckt. Im Original soll er sein Boot im Ozean selbst versenken, was er auch tut. In der Differenz dieser beiden Todesversionen liegt das Mißverständnis des Abends begraben...

Hervorragende Sängerinnen und Sänger!

PS: eben schaue ich nochmal nach - die Handlungsangabe im Programmheft vermerkt. "Peter tötet den Jungen" - das ist definitiv nicht richtig und stellt das Stück wirklich auf den Kopf. Dann hätte ja die geifernde Menge am Ende gar recht behalten; das geht einfach nicht auf. Nicht zuletzt sprechen die ungeheueren Lyrismen des Grimes gegen eine solche Sicht. Die ungeklärten Tode beider Jungen gehören zum Kern des Stücks - erst dadurch wird das Treiben der Menge wirklich diabolisch.

20
Feb
2007

Bruckners Vierte in der Fassung von 1888

Bruckner

Bruckners Vierte, die "Romantische", erklingt gewöhnlich in der Fassung von 1878/80. B. Korvstedt hat nun 2004/06 die Version, in der das Stück lange bekannt war, im Musikwissenschaftlichen Verlag der Int. Bruckner-Gesellschaft Wien neu herausgegeben. In dieser Fassung (von 1888) erklingt das Werk am 11.3. unter meiner Leitung mit dem Sinfonieorchester der Dresdner Musikhochschule im Dresdner Kulturpalast sowie am 13.3. in der Kölner Philharmonie. Eine kleine Einführung:

"Ich bin so frei, hiermit die Partitur von der romantischen Sinfonie zu senden. Selbe ist neu instrumentiert und zusammengezogen. Der Erfolg in Wien ist mir unvergeßlich. Seitdem habe ich aus eigenem Antriebe noch Veränderungen gemacht...", so schreibt Bruckner im Februar 1888 an den in München wirkenden Dirigenten Hermann Levi, der eine Aufführung der Vierten plante. Der 'Erfolg in Wien' bezieht sich auf eine Aufführung unter Hans Richter im Januar 1888 – bereits in einer revidierten Version – bei der nicht eindeutig zu klären ist, auf wen welcher Teil der Veränderungen zurückgeht. Bruckners Freunde und Schüler (neben Richter u.a. Hermann Levi, Felix Mottl, die Brüder Franz und Josef Schalk sowie Ferdinand Löwe) namen regen Anteil am Komponieren des Meisters, schlugen offenbar häufig Änderungen, Uminstrumentierungen und Kürzungen vor, die im Falle der Vierten tatsächlich ein 'work in progress' hinterließen, dessen einzelne Einflüsse nicht mehr klar rekonstruiert werden können.

Tatsache ist, dass Bruckners "Romantische" in der Fassung von 1888 über ein halbes Jahrhundert lang die Konzertsäle eroberte, ehe nach 1936 die Neuausgabe der Fassung von 1878/80 die Aufführungspraxis veränderte und die heute übliche Version in den Mittelpunkt rückte. Eine erste Fassung aus dem Jahr 1874 (in der das berühmte Jagd-Scherzo noch durch eine völlig andere Musik ersetzt ist) hatte Bruckner noch vor der Aufführung zurückgezogen.

Die Fassung von 1888 jedoch ist jene, die dem Erstdruck der Sinfonie entspricht und von der zeitlichen Beschäftigung her Bruckners letzten Willen zur Vierten dokumentiert. Die Brüder Schalk und Löwe hatten die bei der Uraufführung 1881 verwendete Version zunächst revidiert, ehe es die erwähnte Aufführung unter Richter in Wien gab. Der Erfolg dieses Konzertes führte dazu, dass Bruckner sich der Umarbeitungen nochmals selbst annahm. Auch die Erschütterung über die Zurückweisung der inzwischen entstandenen Achten durch Levi scheint Bruckner beeinflußt zu haben, den Rat der Freunde ernst zu nehmen. Leopold Nowak verweist 1953 in seiner Ausgabe der Fassung 1878/80 darauf hin, dass Bruckner die Umarbeitungen zwar unternahm, nicht aber mit seinem Namenszug signiert habe. Der "hilfsbereite Idealismus" der Freunde sei somit zwar anerkannt, aber nicht völlig autorisiert. Demgegenüber verweist Benjamin M. Korvstedt 2003 in seiner Neuausgabe der Fassung 1888 darauf, dass Bruckners Aktivitäten insofern eindeutig sind, als er die Vierte in eben der revidierten Fassung gedruckt haben wollte. Sie besitzt somit mehr als nur historischen Wert.

Wie verhält es sich nun mit den Unterschieden? Sie sind tatsächlich ganz erheblich und hinterlassen den Eindruck, die Fassung von 1888 sei die 'Durchführungsbestimmung' zur ideal-archaischerenVersion von 1878/80.

In der Großform fallen Umarbeitungen im Scherzo und Finale auf. Das Scherzo erhält einen decrescendierenden Übergang ins Trio und ein gekürztes da capo. Im Finale wird eine Idee Mottls wiederbelebt, der bereits 1881 einen Sprung vorgeschlagen hatte. Dadurch entfällt in der Reprise die monumentale Themenwiederholung in Es-dur, wodurch die Grundtonart deutlicher ans Ende des Stückes gerückt wird.

Von allergrößter Bedeutung hingegen sind die Änderungen in Instrumentation, Artikulation und Dynamik. Sie verweisen auf konkrete aufführungspraktische Details, lassen Rückschlüsse zu auf die Art und Weise, wie Bruckner musiziert wurde und musiziert werden sollte.
Der Befund mit wenigen Worten zusammengefasst: weicher, lyrischer, agogisch flexibler und insgesamt differenzierter als wir vielleicht vermuten. Alles Martialische, Akzentuierte wird auffallend oft korrigiert.
Das beginnt bereits vor dem ersten fortissimo-Höhepunkt des 1. Satzes: 8 Takte davor steht in der früheren Fassung lediglich sempre crescendo, nun verlangt Bruckner ein nochmaliges piano (nach bereits erfolgtem crescendo der Takte zuvor), schreibt Langsamer über die Stelle (das beim Höhepunkt wieder zum Tempo I wird) und notiert bei Flöten und 1. Violinen zusätzlich "sehr weich" bzw. "zart"! Nachdem der Höhepunkt erreicht ist, sind die Posaunen vom fortissimo marcato auf einfaches forte korrigiert, danach wurde der Blechbläsersatz merklich ausgedünnt. Beim 2. Thema steht ausdrücklich "etwas gemächlich", kurz danach sind Posaunen vom piano auf pianissimo bzw. vom forte auf mezzoforte korrigiert. Auch der 3. Themenkomplex wurde in der Dynamik reduziert.

So ergibt sich bereits in der Exposition des 1. Satzes der Eindruck, die Musik sei in den Aufführungen bis dahin zu laut, zu akzentuiert, zu wenig kantabel erklungen. Liegt es an der Qualität der Orchester? Bei Aufführungen unter Hans Richter in Wien (Februar 1881) oder Felix Mottl in Karlsruhe (Dezember 1881) schlecht vorstellbar. Eher mag es an der ungenügenden Vertrautheit mit der Struktur der Materie gelegen haben. Der Hang zum Forcieren des Blechs bei Bruckner-Sinfonien scheint jedenfalls keine Erfindung des 20. Jahrhunderts zu sein...

Auch das Bild des 2. Satzes ist ähnlich, wobei auffällt, dass alle mit lang gezogen überschriebenen Passagen der früheren Fassung nunmehr Bindebogen erhalten – ein Unterschied, der tatsächlich ein viel weicheres Klangbild ergibt. Andere Abschnitte oder einzelne Motive erhalten Zusätze wie z.B. mit größtem Ausdruck. Auch die fortissimo-Höhepunkte dieses Satzes wurden in den Blechbläsern und namentlich in den Posaunen um mindestens eine, manchmal sogar zwei Stufen nach unten korrigiert.

Vom besonderen Übergang im Scherzo war schon die Rede. Im Finale ist interessanterweise ein Paar Becken hinzugekommen, das auf dem Höhepunkt der ersten thematischen Entwicklung krönend sich einmischt, um gegen Ende des Satzes nach dem pianissimo vorgetragenen Choral der Hörner und Posaunen beim zweimaligen Wechsel nach Ces-dur der Szenerie einen misterioso-Charakter zu verleihen.

Dem Rotstift zum Opfer fiel merkwürdigerweise die fortissimo-Remeniszens des Hauptthemas des 1. Satzes in den Blechbläsern am Ende der Sinfonie. Warum der Komponist diese wundervolle Brücke zum Beginn eliminierte, bleibt rätselhaft. Übrig ist nur noch der Rhythmus des Themas, der charakteristische Quintsprung dagegen fehlt. Der einzige ersichtliche Grund könnte sein, dass das Hauptthema melodisch sozusagen "abgearbeitet" ist und somit im rhythmischen fortissimo seine Apotheose erhält.

Änderungen wie diese mögen den Eindruck verstärkt haben, hier sei der Komponist den gutgemeinten Ratschlägen seiner Freunde erlegen und habe seine eigene Substanz dem unverständigen Zeitgeschmack geopfert. Interessant bleiben die Änderungen dennoch, zumal sie den Willen zur Verdeutlichung und Straffung dokumentieren – Bruckner kämpft darum, verstanden zu werden und seine grundsätzlich demütige Art sucht den Fehler bei sich selbst...

Weder die Fassung von 1878/80 noch die von 1888 jedoch kann als "Originalversion" bezeichnet werden. Zusammen mit der von Bruckner verworfenen Erstfassung ergibt sich das Bild des um seine Vierte wie um jede andere Sinfonie ringenden Komponisten – immer auf dem Weg, stets auf der Suche nach größtmöglicher Vollendung. Die Fassung von 1888 ist ein Dokument großer künstlerischer Verantwortung, Sensibilität und darf nach der Neuveröffentlichung zumindest berechtigt, wenn auch nicht gleichberechtigt neben der uns bekannten von 1878/80 stehen.

2
Feb
2007

dös taugt mer aber jetzt

Nürnberg - Bayern 3:0!

Ob Mainz wieder gewinnt?

nochmal Gielen

schönes Bild des Kollegen

gielen-gross

"Vor acht Jahren wurde ich eingeladen, in der Mozart-Woche in Salzburg ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern zu dirigieren, und da war die große Sinfonie Es-dur KV 543 im Programm. Eines dieser Interpretationsprinzipien, die von Kolisch allerdings nicht expressis verbis erwähnt werden, von denen ich aber felsenfest überzeugt bin, lautet: Die Einleitung verhält sich zum Allegro wie eins zu zwei. Das ist fast immer der Fall. Das bedeutet, dass in der Es-dur-Sinfonie die Einleitung ungefähr doppelt so schnell geht wie bei allen berühmten Dirigenten - Furtwängler, Böhm etc. Böhm dirigiert sie besonders langsam, in Achteln. Sie ist aber "alla breve" bezeichnet, und das ist schon ein Hinweis darauf, dass es nicht so langsam geht. Ein ähnlicher Fall ist ja die Einleitung zum ersten Satz der großen C-dur-Sinfonie von Schubert: Seit man weiß, dass da "alla breve" steht, spielt man sie mit gutem Gewissen doppelt so schnell. Aber Furtwängler und Böhm wussten ja nicht, dass über der Einleitung alla breve steht und wussten sich nicht anders zu helfen als mit dieser Feierlichkeit und dem großen Accelerando. – Also gut ich komme zurück zur Es-dur Sinfonie von Mozart mit den Wiener Philharmonikern. Es war natürlich eine große Ehre. Ich verehre dieses Orchester, aber ich wusste schon, da gibt es einen Riesenkonflikt. Ich fange an, und das Orchester versteht Achtel, wo ich Viertel meine. Ich muss also nach dem zweiten Schlag abbrechen und sagen: "Nein, meine Herren, in Vierteln." Schon Sand im Getriebe. Sowas geht einem Orchester gegen den Strich. Aber gut, sie spielen es. Dann kommen wir zum Allegro, und da machen auch alle anständigen Menschen drei Viertel daraus und spielen alles aus. Und ich dirigierte in Eins. Natürlich nicht in striktem Tempo, sondern in einem Tempo, das dem Charakter dauernd folgt. Also eine etwas freie Deklamation. Es sollte ein bisschen wie menschliche Sprache sein, ein bisschen nur, aber doch wahrnehmbar. Worauf dann natürlich gleich der Konzertmeister sagte: "Aber Herr Gielen, das geht doch im Takt", und singt mir das vor, so Viertel nach Viertel. Und ich sagte: "Aber um Gottes Willen doch bloß nicht im Takt!" Dann haben sie alle gelacht, und dann war's gut. Sie haben schließlich sehr schön gespielt."

"Strukturen versinnlichen"

... unter diesem Titel hat die nzz einen Artikel über

gielen

Michael Gielen veröffentlicht.

Der bedeutende Kollege feiert in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Am kommenden Sonntag musizieren wir im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels (20 Uhr) seine Version der Großen Fuge op. 133 von Beethoven. Zusammen mit der Grand Partita von Mozart und zwei Uraufführungen von KompositionsstudentInnen aus Slowenien und Südkorea.

24
Jan
2007

klassisch - gesund; romantisch - krank?

Offenbar denkt der Dirigent an Goethes problematisches Wort: "Das Klassische ist das Gesunde, das Romantische das Kranke!" Norrington, der Arzt ist zur Stelle und kuriert mit seiner Interviewattacke ästhetische Irrläufer wie Furtwängler, obwohl Kulturphilosophen wie Ernst Fischer die Frage längst geklärt haben: "Die Antithese Romantik-Realismus ist an sich anfechtbar. Romantik ist eine Haltung, Realismus eine Methode."

Das scheint ein interessanter Disput zu werden, den Götz Thieme in Stuttgart als Replik auf ein Interview des Dirigenten Norrington angezettelt hat.

Beobachten wir mal eine Weile.
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Weblog des Dirigenten Ekkehard Klemm, Dresden

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