26
Mai
2007

...und hier noch der köstliche Beitrag des Schriftstellers Brussig zum aktuellen Thema

"Urinkontrollen während der Buchmesse, das ist doch lachhaft. Da sind die Bücher doch längst geschrieben. Unangemeldete Kontrollen gibt’s so gut wie nie. Grass lebt monatelang in Dänemark, Birgit Vanderbeke in Frankreich, Ingo Schulze geht eben mal für ein ganzes Jahr nach Italien, Juli Zeh taucht immer wieder auf den Balkan ab, und Christian Kracht ist mal in Thailand, mal in Sri Lanka, mal in Nepal. Radek Knapp verschwindet für Monate nach Polen. Daniel Kehlmann war letztens wochenlang in Kasachstan. Und bei einem Christoph Ransmayr weiß man eh nie, wo er ist. Ich will den Kolleginnen und Kollegen ja nichts unterstellen. Was ich sagen will: Es ist überhaupt kein Problem, den Kontrollen zu entgehen."


Das ganze Interview über diesen Link.

Beethoven

Von Zeit zu Zeit gräbt man sich in besonderer Weise in Komponistenbiografien und Werke ein - meist im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Aufführung. Das rechts annoncierte Buch des Beethoven-Forschers Klaus Kropfinger ist sensationell und inspirierend. In größter Dichte und Fülle wird darin der Stand der Dinge (von etwa 2000) zusammengefaßt, kommentiert und kritisiert. Ich mußte ein kaputtes Stimmband und einen eineinhalbtägigen Krankenhausaufenthalt auferlegt bekommen (meine erste Vollnarkose...), um über die ersten 100 Seiten dieses wichtigen Buches zu kommen.

Mittlerweile träume ich schon von der Missa solemnis - wobei heute Nacht eine 5. Solostimme auftauchte, von der ich nicht wußte, was sie zu singen habe (es gibt sie nicht!), was wiederum zu selbstkritischen Gedanken zum Studium der Partitur führte. Außerdem der Dauerbrenner: kurz vor'm Konzert fehlt irgendein Anzugteil, Fliege, Hose, Hemd oder sonstwas - aber draußen wird schon musiziert... Ein Klassiker im Alptraumrepertoire eines Dirigenten.

Einzige Deutungsmöglichkeit: Beethoven und seiner Missa nicht gewachsen. Laß die Finger davon.

Werde ich aber nicht tun. Jetzt erst recht nicht!

16
Mai
2007

...und auch dieser Text sollte erwähnt werden:

Während seiner Intendanz am Gärtnerplatztheater, dem letzten Refugium der deutschen Spieloper und der Operette in München, hatte Klaus Schultz dem zeitgenössischen Musiktheater eine Nische eingeräumt und damit das Stammpublikum seines Opernhauses erweitert. Sein designierter Nachfolger Ulrich Peters schraubt diese Ambitionen zurück und will die einstige Alleinherrschaft der leichten Muse wieder herstellen: Johann Strauß statt Dieter Schnebel. An der Münchner Staatsoper atmet man erleichtert auf, hatte man hier doch den bisherigen Kurs des Gärtnerplatztheaters mit all seinen Repertoireüberlappungen argusäugig beobachtet. Was für ein schöner Seitenhieb auf den Konkurrenzbetrieb und den künftigen Theaterleiter, dass sich Klaus Schultz für seine letzte große Premiere nun ausgerechnet Luigi Nonos epochales Werk "Intolleranza 1960" ausgesucht hat.

Die ganze Kritik von Stephan Schwarz in der Stuttgarter Zeitung hier!

...tja Freunde...

... - nun haltet Euch fest: das sagt die Süddeutsche über mein Tun am Sonntag abend:

Bezeichnend und ein wenig verwirrend ist es schon, dass diese letzte große Premiere der Schultz-Zeit nicht von David Stahl, dem Musikchef des Hauses, dirigiert wird. Statt seiner steht, wie schon so häufig, der fabelhafte Ekkehard Klemm am Pult, und Regisseurin Florentine Klepper hat ihn endlich einmal dort hingestellt, wo er hingehört: ins Zentrum, oben auf die Bühne, wo sich Orchester und Chor befinden. Klemm ist ein mitreißender Handwerker, einer, der Rossini so ernst nimmt wie Nono, der federnd befeuern, sensibel begleiten kann, der sich vor nichts fürchtet und neugierig ist, aber nie unkritisch. Der ideale Musiker für solch ein Haus. Nonos lyrisch verzweifelte und hochexpressiv romantische Klage dirigiert er wie die einfachste Sache der Welt. Schlicht und genau schafft er mit den Musikern "atmendes Klarsein", das elegant betörend vom Stillstand sich aufschwingt in gellende Verzweiflung, sich dann entspannt, verflüchtigt. Dazu lässt sich dieses Hausorchester verführen, zu dieser Brillanz kann es fähig sein.

- oder, wie ein Künstlerkollege treffend bemerkte: so eine Kritik bekommt man nur einmal im Leben. Wie alles muß sie relativiert werden: die Oper DAS BEBEN ist nicht nach Kafka, sondern nach Kleist; und sicher hätte der Gärtnerplatzchor einiges mehr live hinbekommen - Nono aber schreibt Lautsprecher und Tonband vor... Trotzdem, verehrter Brembeck: danke für diese Blumen.

Leider kommt die Regie weniger gut weg - was ungerecht ist: Florentine Klepper hat sich auf das Orchester auf der Bühne eingelassen und daraus Konzept gemacht. Das bekommt sie nun teilweise vorgeworfen. Anders aber hätte das Stück überhaupt nicht gespielt werden können - in den Graben paßt es nicht im Gärtnerplatz. Und die Bilder, die sie gefunden hat, sind keine Bebilderungen der Geschichte, sondern befassen sich mit unserer Art der Auseinandersetzung mit Folter, Krieg und Unterdrückung. Schade, daß das offenbar nicht verstanden wird. Auch die allseits (in den anderen Zeitungen) kritisierte Schauspielszene in der Mitte ist mehr wert, als die Kritik vermeint: Nono wollte an dieser Stelle Absurditäten des Alltags (von 1960!) vorführen lassen (ohne Musik) - jetzt steht ein Text dort mit den Absurditäten von heute von Klimakatastrophe über Versicherungsgesellschaften bis hin zu Weltmarkt und Behörden. Schlagwörter von heute in einem Kassandratext: die Katastrophe hat bereits stattgefunden. Das wurde nicht verstanden, stattdessen wird der Text abgestraft und als dem großen Nono gegenüber nicht ebenbürtig eingestuft. Ich meine, Nono hätte diese Idee der Aktualisierung interessant gefunden - er war immer auf dem Weg. Stattdessen wird er nun schon glorifiziert - das dürfte den eigentlichen Absichten zuwider laufen.

12
Mai
2007

INTOLLERANZA 1960

...so der genaue Titel der morgigen Premiere.

Erste Eindrücke von Plakat:

Intolleranza

und Bühne, in die hineingewoben das Orchester platziert ist:

Intolleranza-Buehne

Und hier weitere Fotos und etwas zum Stück.

9
Mai
2007

Ferneyhough

Ferneyhough_resized_kk_resized

Ich werde von meinen Schülern überholt - gutes Zeichen: einer von ihnen - Lennart Dohms - wird, dieweil ich bei Nono (ver)weile, den neuen "Ernst von Siemens Musikpreis"-träger Ferneyhough am heutigen Mittwoch in der Dresdner Hochschule vorstellen mit dem hochartifiziellen Ensemblestück "La Chute d'Icare". Tiefer Respekt vor den 9 StudentInnen, die in den letzten 4 Wochen für dieses etwa 10-minütige Werk ihr Selbstverständnis als MusikerIn haben in Frage stellen lassen... Es hat sich gelohnt! Musik kommt nicht voran ohne diese Art von existenzieller Auseinandersetzung.

Man mag - wie es mir z.T. noch geht - Ferneyhoughs Ansatz als intellektuell empfinden, die Faszination vor einem Phänomen bleibt. Werde/n wir/ich diese Musik begreifen? Vielleicht nicht. Aber etliches andere wird dadurch faßlicher, ja kinderleicht. Fast möchte ich sagen: z.B. Nono...

7
Mai
2007

...ziemlich einmalig

dürfte die anspruchsvolle Folge moderner Werke sein, die im Münchner Gärtnerplatz demnächst geboten wird. Wobei erwähnenswert ist, daß das Haus zur gleichen Zeit auch CARMEN, TRAVIATA, LUSTIGE WEIBER, Operette und Ballett gibt und vieles mehr. Die von mir dirigierten Abende:


13.5. INTOLLERANZA
17.5. INTOLLERANZA
19.5. IDOMENEO
20.5. INTOLLERANZA
06.7. IDOMENEO
13.7. INTOLLERANZA
17.7. MAJAKOWSKIS TOD
20.7. BEBEN
21.7. BEBEN
23.7. INTOLLERANZA
25.7. MAJAKOWSKIS TOD

5
Mai
2007

INTOLLERANZA

Kielspur

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: gerade von den Bühnen-Orchesterproben zu Nonos aufregender 'szenischer Aktion' zurückgekehrt - in tiefem Respekt vor Ensemble, Chor und Orchester des Münchner GPT sowie einem leidenschaftlich und präzise arbeitenden Regieteam. Wenn Freude vor einer Premiere nicht so entsetzlich gefährlich wäre...

Vorerst der Tipp für die obige DVD, die u.a. hier zu bekommen ist.

12
Mrz
2007

Paul Gerhardt *400

"Keines der 139 erhaltenen Gedichte Paul Gerhardts hat den Krieg zum Thema. Aber kaum eines wäre ohne ihn denkbar. Paul Gerhardts jubilierende Anbetung des Allmächtigen verdankt sich eben nicht nur der Rhetorik eines lutherischen Pfarrers, auch nicht allein der eines belesenen Dichter-Virtuosen, der es großartig versteht, alte Texte umzudichten. In ihr steckt Todeserfahrung. Dass alles vergänglich ist, dass nichts seinen Wert behält, dass alles zu Staub wird, hatte er erlebt, nicht nur gelesen. Es mag eine Barbarei sein, angesichts der Vernichtung Gedichte zu schreiben. Aber die Menschheit hat es immer wieder getan. Sie weiß, dass die Gedichte dem Grauen kein Ende machen, aber sie weiß auch, dass sie die Gedichte braucht, um das Grauen ertragen und so sein Ende erleben zu können. Auch das Grauen wird zu Staub. Aus diesem Staub ist Paul Gerhardt und ist die große deutsche Barockdichtung hervorgegangen."

Das ist fürwahr eine fulminante Würdigung, die Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau von heute dem Barockdichter hat zuteil werden lassen!
Es fehl höchstens der Verweis auf das ebenso wunderbare TREFFEN IN TELGTE von Grass. Und über den Schluß des Textes von Widmann kann man getrost geteilter Meinung sein. Welche Erwartung unseres Endes kann schöner sein als die, wie sie Paul Gerhardt formuliert?

Ich verehre ihn - und bei manchem Vers treibt es einem...
Nein, wir müssen hier nicht zu melancholisch werden. Das Lyrische ist bei PG zu kraftvoll, als daß wir darob zerfließen sollten.

9
Mrz
2007

...von der Kraft des Lyrischen

Kraft und Lyrik - ein Widerspruch? Ich hoffe, am Sonntag 11 Uhr (Einführung 10 Uhr, Kulturpalast Dresden) unser Publikum von der überwältigenden Energie des Lyrischen in unserem Konzert überzeugen zu können.

Es gibt zunächst die MELODIEN für Orchester des verehrten (und 2006 verstorbenen)

Ligeti1

György Ligeti, ein vorwiegend leises Stück voller Poesie, voller Farbschattierungen, Linien und Virtuositäten.

Danach Mozarts Klavierkonzert d-moll, KV 466, eines der bekanntesten und düstersten - dem GIOVANNI recht nahe.

Schließlich die neulich HIER bereits annoncierte 4. Sinfonie von Anton Bruckner in einer hoffentlich lyrischen, weniger blechgepanzerten Variante, auf die ich mich nach den ersten Proben mit dem Hochschulsinfonieorchester sehr freue!!

Karten zu 12 Euro an der Kasse am Vormittag!
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Weblog des Dirigenten Ekkehard Klemm, Dresden

Ansichten, Einsichten, Rücksichten, Aussichten

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