6
Aug
2008

HÄNSEL UND GRETEL Oper in der Stiftsruine Bad Hersfeld

Haensel-L-Richter

Die Partitur dieses wundervollen Werkes, dessen Komponist ohne diese wahrscheinlich ein 'no name' geblieben wäre, ist wirklich ein Schmuckstück. Es ist mir beinahe unbegreiflich, wie ein Mensch mit derartigen Fähigkeiten im Bereich der Kontrapunktik, mit Spürsinn für melodische Raffinesse ebenso wie für dramatische Bögen nur durch ein, zwei große Werke (zum HÄNSEL kommen noch die KÖNIGSKINDER, die seinerzeit sehr erfolgreich an der Met liefen, vor kurzer Zeit in München wiederbelebt wurden) sich hervortun konnte: Engelbert Humperdinck. Es ist auch nach ungezählten Vorstellungen mit diesem Stück noch immer verblüffend, wie großartig der Komponist mit dem 'Abendsegen' in den Hörnern das Vorspiel beginnt, den Bogen spannt über den 'richtigen' Abendsegen der Kinder im Waldbild bis hin zum hymnischen Schluss - und damit deutsches Religions- und romantisches Naturverständnis in Eins zu setzen weiß. Die weitere Verarbeitung ist in der Korrespondenz mit den 'Hokus-Pokus'-Mächten und - Motiven viel weniger leitmotivisch als vor allem sinfonisch geprägt. Es würde sich eine detaillierte Analyse der Partitur lohnen, die für die Oper des ausgehenden 19. Jahrhunderst ebenso bedeutsam scheint wie für die Sinfonik und mir persönlich Strauss näher als Wagner.

Ab morgen abend (7.8.08) jeweils 20.30 Uhr in der romanischen Stiftsruine in Bad Hersfeld unter meiner Leitung in einer Inszenierung von Hugo Wieg und mit den Solisten Julia Küßwetter (Gretel), Merit Ostermann (Hänsel), Claudia Götting (Mutter), Johannes Wollrab (Vater), Jenny Stark (Sandmann), Christiane Kapelle (Taumann) und Brigitte Schweitzer (Hexe). Das Dvorak-Sinfonieorchester sitzt im 'Graben', Kinder und Engel sind aus Hersfeld, Hünfeld, Eschwege, Fulda und sonstwoher - es herrscht eine sehr eigene und schöne Atmosphäre bei diesen Festspielen.

20
Jul
2008

ARARAT

Ararat

Im Zusammenhang mit der glücklichen Befreiung der Bergsteiger am Ararat zeigte spiegel-online heute dieses wundervolle Foto. Es ist m.E. von Nord-Osten aus aufgenommen, demnach von armenischer Seite. Von Jerewan aus sieht man den heiligen Berg der Armenier, der in der Türkei steht, mit dem großen Gipfel im Vordergrund, der kleine Ararat verschwindet dahinter immer etwas im Dunst. Ein tolles Foto!

15
Jul
2008

Kritiken...

Manchmal meint man, die Kritiker seien in zwei verschiedenen Konzerten gewesen.

Hier der Text der Dresdner Neuesten Nachrichten in Auszügen:

Der Chor als wichtigster Akteur hatte nicht nur enorme Textmengen zu bewältigen, sondern fand auch die erforderliche Mitte zwischen relativ nüchtern gehaltenem Bericht und dramatischer Zuspitzung, die aber bei Blacher emotional gebremst ist. Der Stil erinnert in manchen Passagen an die liturgische Musik der orthodoxen Kirche, die der Komponist während einigen Jugendjahren in Sibirien intensiv kennen gelernt hat. Dichte der Deklamation, Unisonopassagen und volksliedhafte Einfachheit gelangen den Sängern so gut, dass das auf einen ungewöhnlich hohen Probenaufwand schließen lässt. Eckehard Klemm konnte sich bei seinem Dirigat auf die großen Linien konzentrieren, weil die Details in den Proben sicher genug gearbeitet worden waren. Andreas Schmidt sang den Solopart trotz voller Tongebung mit großer Zurückhaltung, die Blachers Methode der reduzierten Emotionalität voll entsprach. Dennoch entstand nie der Eindruck, es würde unterkühlt musiziert, weil eine hohe innere Spannung bei allen Beteiligten deutlich spürbar war, sich aber nicht in äußeren Effekten niederschlug.
Die überzeugende Wirkung dieser Zurückhaltung war um so bemerkenswerter, weil vor Blachers Werk zwei Chorkompositionen von Johannes Brahms standen, deren klangliche Opulenz die Blachers weit übertraf. Britta Schwarz sang ihren Part in der Rhapsodie für Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53 mit großem Stimmvolumen und selbst im hohen Register mit prächtigem Legato und natürlichem melodischem Fluss. Klemm verstand es, die dynamischen Relationen zwischen Solistin und Chor gut auszubalancieren und konnte sich hier wie in der Nänie op.82 auf seinen Chor und dessen gut gestütztes Piano ebenso verlassen wie auf die Fähigkeit, ein abgerundetes Klangbild mit weichen Konturen herzustellen. Klug gebändigte Fortissimopassagen und spannungsreiche Vokalisen waren weitere Kennzeichen einer Aufführung, bei der die Neue Elblandphilharmonie den anderen Ausführenden an Qualität um nichts nachstand. Peter Zacher


Und hier die Worte der Sächsischen Zeitung:

Herr, lass es Sommerpause werden
Von Anders Winter

Dresdens Singakademie übernahm sich mit Boris Blachers „Großinquisitor“.


Im letzten Konzert vor der Sommerpause versuchte sich Dresdens Singakademie an Boris Blachers sprachgewaltigem „Großinquisitor“. Doch nicht nur in der Kombination mit Chorsymphonik von Brahms blieben Fragen in der Dresdner Lukaskirche offen.

„Nie wieder“, so das Programmheft, „hat Brahms sich in eine solche Nähe zu Wagner begeben.“ Es wäre tatsächlich ein wunderbares Rendezvous geworden, wenn die Neue Elbland Philharmonie ein paar schmelzendere Farben aufgelegt hätte. So sang sich die Altistin Britta Schwarz in der Brahmschen „Altrhapsodie“ um Kopf und Kragen, und aus dem Orchester kam nichts. Außer ein paar innigen Holzbläserpassagen sah sich das Orchester außerstande, mehr als nur die Noten zu präsentieren. Vielleicht hätte Dirigent Ekkehard Klemm – auch bei seiner Akademie – erst einmal um Sympathie für die Musik werben müssen?

Leider blieb auch der eigentlich faszinierende „Großinquisitor“ bruchstückhaft, schleppte sich von Takt zu Takt. Zwischen den tatsächlich sehr gut präparierten „heiklen Stellen“ dehnte sich die rhythmisch holprige Ebene. Zögerlich nur kam der Chor voran und setzte sich vor dem hochspannenden, alles entscheidenden ersten Bass-Solo erst einmal aufs Podest, was dem Werk den letzten Rest innerer Spannung raubte.

Wenn Andreas Schmidt da nicht gewesen wäre! Er füllte die Figur des greisen „Großinquisitors“ mit Leben und gab der gesamten Szenerie mit einem Mal Stimmung und Gestalt. Das hochdramatische Werk erblühte durch Schmidts farbenkräftige Erzählkunst, was das Publikum zu Recht feierte.


Also zumindest bei der Sache mit der Sympathie kann ich Herrn Winter beruhigen: die Werbung ist eindeutig erfolgt und war eigentlich auch gar nicht nötig, denn die Stücke werben für sich. Daß ich den Chor habe an einer spannungsvollen Stelle setzen lassen - nun gut, möglicherweise ein Fehler. Bei 90 min. Programm aber nötig, und das Stück hat dazu nur diese eine Möglichkeit. Wie aber ist es um die Motivation eines Kritikers bestellt, der einem ohne Zweifel leistungsfähigen Chor und Orchester bei der Aufführung eines sehr selten zu hörenden Werkes einen solchen Strick dreht? Kritik in Ehren - das aber ist einfach nur eine boshafte Unverschämtheit.

11
Jul
2008

Enthusiasmus eines Chores

SAD

Das muß ich hier schon mal sagen: nach fast 4 Monaten wöchentlicher Proben, zwischenzeitlich noch Auftritten in Riesa (Arena-Singen) und Dresden (Musikfestspiele Treppensingen) probt ein begeisterter Laienchor für ein schweres Konzert mit Brahms Alt-Rhapsodie, Nänie und Blachers Großinquisitor Samstags 5 Stunden extra, Montags eineinhalb plus Einführungsveranstaltung eineinhalb Stunden (großartige Lesung des Dostojewski-Textes durch F. W. Junge!), Donnerstags (heute) wieder zweieinhalb, morgen HP drei Stunden, Samstags GP zweieinhalb... Das ist bewundernswert und zeugt von unglaublicher Energie. Wenn ein Chor so ein Stück auch noch gerne und engagiert singt, sich auf diese Weise 'reinkniet', ist das einfach nur beglückend. Egal, wie uns das Konzert gelingt - der Weg ist das Ziel. Ich bin schwer begeistert.

Übrigens dirigieren Samstag abend 19.30 Uhr 6 StudentInnen von mir im Abschlußkonzert eines Dirigierseminars in Aue/Erzgebirge (Kulturhaus). Programm: Dvorak, Streicherserenade, Larsson, Posaunenkonzert, Stravinski, Bläsersinfonie, Beethoven 2. Sinfonie. Und auch hier deutet sich ein schönes Resultat an.

8
Jul
2008

Brahms - Blacher

Blacher

Nicht nur die Anfangsbuchstaben scheinen die beiden Komponisten zu verbinden: ein Kollege in Berlin (Constantin Alex) verband Blachers GROSSINQUISITOR mit der 3. Sinfonie von Brahms. Die Singakademie folgt ihrem Motto 2008 MusikTheoLogie und stellt dieses wichtige Werk aus der deutschen Schreckenszeit (entstanden ohne Aussicht auf Aufführung zwischen 1941/42) in den Zusammenhang mit zwei Literaturvertonungen von Brahms: Alt-Rhapsodie (nach Goethe) und Nänie (nach Schiller).
Aufführung am kommenden Sonntag, den 13.7., 17.00 Uhr in der Dresdner Lukaskirche mit der Singakademie Dresden und der neuen elbland philharmonie. Solisten sind Britta Schwarz, Alt und KS Prof. Andreas Schmidt, Bariton, der für den erkrankten Egbert Junghanns dankenswerterweise kurzfristig einspringt.

Der Link zu einem sehr ausführlichen Gespräch zwischen Constantin Alex und Michael Höppner führt hierhin.

Zum Komponisten selbst und seinem Werk hier noch einige Infos, teilweise mit Hilfe der im Internet verfügbaren Materialien zusammengestellt, teilweise zu danken der Akribie Burkhard Meischeins, Musikwissenschaftler und Chormitglied, der auch einen Einführungstext schrieb für das Programmheft:

Boris Blacher - Biografie

19. Januar 1903 - geboren in Niutschuang (Provinz Mandschurei, China) als Sohn deutsch-baltischer Eltern

1922 - Übersiedlung nach Berlin. Studium der Mathematik und Architektur

seit 1924 - Kompositionsstudium bei Friedrich E. Koch und Musikwissenschaft bei Friedrich Blume, Arnold Schering und Erich Moritz von Hornbostel

1938 - Kompositionslehrer am Landeskonservatorium in Dresden

1945 - Eheschließung mit Gerty Herzog

1945-48 - Lehrtätigkeit am Internationalen Musikinstitut Berlin-Zehlendorf

seit 1948 - Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Berlin, seine Schüler u.a.: Klebe, v. Einem, Erbse, Burt, Reimann, Yun und K. Huber

seit 1950 - Lehrtätigkeit bei verschiedenen internationalen Kursen, u.a. in Bryanston, Salzburg und Tanglewood

1953-70 - Direktor der Hochschule für Musik Berlin

1960 - Vorlesungen über elektroakustische Musik an der Technischen Universität Berlin

1968 - Präsident der Akademie der Künste, Berlin

gestorben am 30. Januar 1975 in Berlin

Mit folgenden Worten erinnert sich Harald Kunz an den Komponisten:
"Er schrieb zwölf Opern, zehn Ballettmusiken, fünfzig Orchesterstücke, Oratorien und Konzerte, ungezählte Vokal- und Kammermusikwerke und ein gutes Dutzend elektronische Kompositionen. Er wurde ausgepfiffen und bejubelt, angegriffen und verehrt. Er arbeitete bis zum letzten Tag und sprach seit seinem 70. Geburtstag von sich im Imperfekt: „Ich war einmal ein moderner Komponist.“ Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich und die Welt mit Ironie zu betrachten. Die Versuchung liegt nahe, Boris Blacher als den modernen „Klassiker der leichten Hand“ zu sehen, weil die breite Öffentlichkeit seine nur scheinbar leichtgewichtigen, durch Bravour und Esprit im besten Sinne unterhaltsamen Instrumentalwerke kennt, die seinen Weltruhm begründeten. Dabei hat er mit dem Großinquisitor und dem Requiem, mit Rosamunde Floris und Romeo und Julia, mit den Drei Psalmen und der Orchesterfantasie Werke geschrieben, deren Ernst jeden Hörer anzurühren vermag. Solche Arbeiten lagen ihm besonders am Herzen, und sie waren ihm wesentlicher und wichtiger als die Kompositionen, mit denen man gemeinhin seinen Namen verbindet." (zitiert nach dem Porträt auf www.boosey.com)

zum Stück selbst und seiner Handlung:

Die Legende vom Großinquisitor entstammt dem 5. Buch von Dostojewskis letztem Roman. In einer fast rauschhaften Vision entwickelt einer der drei Brüder die Erzählung: Zur Zeit der spanischen Inquisition, in einer Situation düsterster Verfolgungen und allgemeiner Niedergeschlagenheit, kommt Christus zurück auf die Erde, wird unmittelbar erkannt und vollbringt Wunder, wodurch der greise Großinquisitor auf ihn aufmerksam wird. Der Großinquisitor, tags zuvor der Mörder einer großen Anzahl von Ketzern, lässt Christus, den auch er erkennt, verhaften und einkerkern. Im Kerker entwickelt der Großinquisitor im Angesicht Christi seine Weltsicht, in der die Rückkehr Christi nur als Störung erscheinen kann und kündigt an, ihn morgen ebenfalls auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen: „Weshalb bist du denn gekommen, uns zu stören?“ Denn der Mensch sei nicht zur Freiheit geboren, wie Christus sie gegeben habe, sondern wünsche sich die Unfreiheit: „So werden endlich die Menschen zu schätzen wissen, was es heißt, ein für alle mal sich zu fügen, und bevor sie das nicht begriffen haben, werden sie unglücklich sein. […] Und sie werden bescheiden werden und werden hinaufblicken zu uns und werden sich in Furcht an uns anschmiegen. Sie werden uns anstaunen und heilige Scheu hegen vor uns, und sie werden stolz darauf sein, dass wir mächtig und klug genug waren, eine so wilde Hundert-Millionen-Horde zu bändigen. Sie werden in Schwäche erzittern vor unserem Zorn, ihr Geist wird verzagen vor uns, und ihre Augen werden voller Tränen sein […], aber ebenso leicht werden sie auf einen Wink von uns übergehen zur Heiterkeit und zu Lachen, zu lichter Freude und zu glücklichen Kinderliedchen.“ Im Heilsplan der Welt, der Freiheit durch Brot ersetzt, in der schrecklichste Verbrechen durch die Natur des Menschen gerechtfertigt werden, hat Christus keinen Platz mehr. Am Ende seiner Suada küsst Christus den greisen Großinquisitor auf den Mund, der, dadurch existentiell erschüttert, Christus aus der Haft entlässt und ihn auf die Straße schickt.
Der unmittelbare Bezug des Stoffes auf den Krieg, auf die kaum noch geheim gehaltenen Verbrechen apokalyptischen Ausmaßes, die weitgehenden Einschränkungen persönlicher Freiheiten, gepaart mit beruhigenden Geschenken beunruhigender Herkunft, mit denen der Staat sich die Loyalität seiner Bürger zu sichern suchte – zur Zeit der Entstehung der Musik des Großinquisitors waren die furchtbarsten Prophezeiungen Wirklichkeit geworden, eine Wirklichkeit, die dem Werk seinen grusligen Existenzgrund bot. (zit. nach B. Meischein, der für das Programmheft eine Einführung schrieb)

21
Jun
2008

Stefan Mickisch über Opernregie

mickisch1

Der geniale Pianist und Musikwissenschaftler Stefan Mickisch hat sich in einem Focus-Interview zu aktuellen Fragen des Musiktheaters geäußert:

FOCUS: Kann man sagen, dass Wagner in speziellem Maße durch Regie und Ausstattung verhunzbar ist?

Mickisch: Ja, weil er Transzendenz hat, unerhörte Qualität, große Tiefe, Schönheit und Geschmack. Eine wirkliche Wagner-Regie, die die Höhe dieser Werke erreicht, steht noch aus. Zunächst einmal sollten sich nur Dramaturgen und Regisseure mit Opern befassen, die Dur von Moll unterscheiden können, das wäre schon mal die Eingangsprüfung.


Statements wie diesem kann man sicher vielfach beipflichten. Dennoch bleibt beim Lesen des Textes ein fader Beigeschmack. Erstens: warum wird immer vom "Regietheater" gesprochen?! Gott im Himmel - was ist Regietheater? Gab es zu Wagners Zeit keine Regie? Kann man umstandslos Neuenfels, Schlingensief und Katharina Wagner (die kritisiert wird, aber sicher zu denen gehört, die Dur und Moll unterscheiden können und auch die Story von den 12 Apostel=12 Meistersinger, der Taufe in Ges-dur usw. ganz gewiß kennt... - zumindest aus Mickischs Mund selbst) in einen Topf werfen? Kann man umstandslos die verschiedenen Regiearbeiten selbst eines Einzelnen in einen Topf werfen? Jeder hat doch Gelungenes und Mißlungenes vorzuweisen! Neuenfels zumal. (Gehörte nicht seine Stuttgarter ENTFÜHRUNG zu den allseits gerühmten ganz großen Würfen der neueren Operngeschichte?)

Und Konwitschny... : Er ist einer der wenigen Kundigen, die auch persönlich sehr nett sind und offen für Diskussionen. Er kennt den Unterschied von Dur und Moll. Schade, dass er trotz vieler genialer Einfälle und Aspekte die Schlüsse der Wagnerschen Opern geistig-inhaltlich verfehlt. Auf die kommt es aber maßgeblich an. Es ist, wie wenn einer ganz toll die Beethovensche „Waldstein-Sonate“ spielt und dann die letzte Seite vollkommen in den Sand setzt. Hut ab - das kann man nur so formulieren, wenn man selbst nicht inszeniert. Scheint mir.

Und wer trägt die Schuld? Richtig - die 68-er.

FOCUS: Was meinen Sie, woraus der derzeit modische Inszenierungsstil resultiert?

Mickisch: Aus der 68er-Bewegung – deren wenige positive Aspekte anzuerkennen sind -, verbunden mit Unkenntnis der Materie, Abwesenheit von Geschmack, Bildung und ethischer Tiefe sowie der Sucht nach „Neuem“ um jeden Preis, meist um den von Qualität und Seriosität. Neuheit ist aber kein Eigenwert. Nur das Kriterium der Qualität bestimmt, was wertvoll ist. Bach ist immer „neu“, weil er gut ist, Regietheater ist nicht deswegen gut, weil es „neu“ ist.


Auch bei diesem Satz stimmt sicher vieles. Aber der "Altvater" des Regietheaters - sorry - Felsenstein war nun gewiß kein 68-er, ebensowenig Frau Berghaus, Joachim Herz oder Harry Kupfer. Und fast allen ambitioniert arbeitenden Regisseuren, denen ich begegnet bin, ging es keinesfalls um das Neue um jeden Preis, sondern darum, ein Meisterwerk im Heute neu lebendig werden zu lassen.

..."wenige positive Aspekte" der 68er-Bewegung - mich schaudert bei solchen Pauschalurteilen. Sie mögen als Meinung zu respektieren sein - als Urteil eines Künstlers unserer Tage machen sie mich frieren. Die gesamte Musik unserer Tage von Boulez über Ligeti, Nono, Lachenmann oder Schnebel ist ursächlich mit der Bewegung vor und nach 68 verbunden: Wagner selbst hat seinerzeit auf den Barrikaden gestanden und sympathisierte mit den revolutionären Strömungen seiner Zeit! Der Geist des Neuen - durchaus auch das Neue um jeden Preis ist doch Wagners ureigenster Ansatz!! Warum den Theaterleuten das jetzt vorwerfen? Aber auf die 68-er läßt sich ja z.Zt. so bequem eindreschen. Nein - diese Diskussion hat Schlagseite.
Mag Mickischs Diagnose und Analyse des Meistersinger-Schlusses vielleicht Wagners Intention entsprechen und vielleicht sogar richtig sein - inzeniert kann (kann!) das ebenso langweilig wirken, wie eine zeitgenössische Sicht auf die Dinge möglicherweise Spannung erzeugt und einen erregenden Theaterabend kreiert.

Aber Mickischs Einführungen sind eine Klasse für sich! Ihn am Klavier zu erleben, ist wundervoll. Vielleicht übernimmt er ja mal eine Regiearbeit...

mickisch-sternenhimmel

Mehr unter Mickischs Website, wo man auch seine CDs bestellen kann.

15
Jun
2008

IDOMENEO im neuen Cuvilliés

cuvellier

Der Innenraum des neueröffneten Cuvilliés-Theaters in München ist tatsächlich eine Perle und eine leichte Wehmut in Richtung München bemächtigte sich gestern Abend dem Autor...

Einige Jahre zurück - der Gärtnerplatz wurde auch gerade rekonstruiert - da lief unsere ENTFÜHRUNG im alten Cuvilliés. Es waren wunderschöne Abende, in denen das Stück ganz intim und kammermusikalisch wirken konnte. Kobie van Rensburg war unser Belmonte - es waren tatsächlich besondere Vorstellungen.

Van Rensburg war dann auch unser IDOMENEO - nicht mehr im Cuvilliés, sondern wieder im Gärtnerplatz. Die Produktion war hervorragend besetzt und sehr erfolgreich. Nun hat München einen neuen IDOMENEO, produziert von der Staatsoper, eine - dem Bayerischen Fernsehen nach zu urteilen - insgesamt sehr gelungene Aufführung mit Nagano am Pult und Dorn als Regisseur, der interessante Facetten entdeckt, das Stück keinesfalls vergewaltigt, doch sehr klar die Schrecken des Krieges auf die Bühne bringt. Nagano beruft sich auf die Münchner Fassung. Hier muß ihm leider etwas entgegnet werden - und das wären auch meine kleinen Einwände: die Münchner Fassung hatte einen Kastraten als Idamante; ihn als Tenor zu besetzen, ist zu deutlich Regiekonzept. Der Gewinn größerer Erotik im Verhältnis zu Ilia ist kaum zu verzeichnen, dagegen der Verlust des stimmlichen Reichtums: Ilia, Sopran, Idamante, Mezzo, Idomeneo, Tenor - das ist unschlagbar, insbesondere im Quartett. Und hier patzen leider Nagano und sein Idamante: er singt als Tenor die Mezzo - Fassung, was mit sich bringt, daß Idamante ständig unten rumbrummelt, der kunstvolle Satz von Mozart grausig entstellt wird und das sensationelle Quartett damit seiner einmaligen Wirkung verlustig geht. Auch der grandiose Walzer des Münchner Duetts Ilia/Idamante muß geopfert werden.

Schade außerdem, daß Nagano dem Idomeneo trotz Sinn für Vollständigkeit die letzte Arie streicht; das geht insbesondere dann nicht, wenn Elettra die ihre vorher singen durfte - wie geschehen. Die Ballettmuk wurde ziemlich komplett gebracht (auch nicht ganz), dafür mußte der Schlußchor bluten und blieb einteilig statt dreiteilig.

Etwas bedauerlich, daß die Chance einer wirklichen Komplettaufführung nicht genutzt wurde. Wo, außer im Cuvilliés wäre sie möglich? Alle Theater schauen ja längst auf die Uhr - der Abonnent will nach Hause. Das Verhängnis beim IDOMENEO: schon Mozart hatte zur UA gekürzt. Ich vertrete die Meinung: weil ihm alle reingequatscht haben. Er war 24 und hat sich leider beirren lassen. Aber die 10 min. wären nun auch noch möglich gewesen... (dafür hätte das Orakel kürzer ausfallen können: Mozart hat wahrscheinlich die kürzeste Fassung musiziert, nicht die lange Variante).

16
Mai
2008

dirigierender Roboter

Schöne Bewegungen, die der Kollege da vollführt - aber wie würde er reagieren, wenn ein Sänger eine Fermate hält und wirklich REagieren müßte?
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Weblog des Dirigenten Ekkehard Klemm, Dresden

Ansichten, Einsichten, Rücksichten, Aussichten

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