28
Sep
2007

Fanny Hensel, HIOB

Goethe-an-Fanny-Hensel

Wenn ich mir in stiller Seele
Singe leise Lieder vor:
Wie ich fühle, daß sie fehle,
Die ich einzig auserkor.

Möcht’ ich hoffen, daß sie sänge
Was ich ihr so gern vertraut;
Ach! aus dieser Brust und Enge
Drängen frohe Lieder laut.

So dichtet kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe 1827, lässt Zelter diese Zeilen Fanny Hensel übermitteln – "Gieb das dem lieben Kinde"… - nachdem diese sich über zu wenig vertonbare Texte beschwert hatte. Vom Schauspieler und Freund der Familie Mendelssohn und Hensel, Eduard Devrient, sind die Worte übermittelt: "Wie die reine Vernunft alle Regungen einer weiblichen Seele so vollständig ... durchdringen, und das zuverlässigste Gleichgewicht aller Kräfte herstellen kann, daß darüber die kleinlichen Versuchungen der Eitelkeit, des Neides und der Begehrlichkeit allen Raum verlieren, ... wird sich nicht oft wiederholen."; und Charles Gounod urteilte: "Madame Hensel war eine unvergleichbare Musikerin, eine ausgezeichnete Pianistin, eine geistig überlegene Frau; sie war klein, fast schmächtig, aber der feurige Blick aus tiefen Augen verriet ungewöhnliche Energie. Als Komponistin war sie von seltener Begabung ..."

Fanny Hensel, 4 Jahre ältere Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, von diesem ehrfürchtig "Cantor" oder liebevoll "Fenchel" genannt – wohl eine der faszinierendsten Frauengestalten in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Die äußeren Rahmendaten sind recht schnell berichtet – viel schwieriger ist es, das, was sich dahinter verbirgt, zu beleuchten oder gar zu enträtseln. Am 14. November 1805 wird sie als Tochter der Eheleute Abraham und Lea Mendelssohn in Hamburg geboren, 1816 evangelisch getauft, im gleichen Jahr ist sie mit der Familie in Paris und hat Klavierunterricht bei Marie Bigot, später in Berlin bei Ludwig Berger und wahrscheinlich auch Ignaz Moscheles. 1817 trägt sie dem Vater auswendig 24 Bach-Präludien vor. 1819 Kompositionsunterricht bei Zelter, 1822 Kennenlernen Goethes; ab 1825 finden im elterlichen Haus die 'Sonntagsmusiken' statt, eine Instanz in Berlin, die nach kurzer Unterbrechung und nach Felix' Abwesenheit von Fanny in eigener Regie fortgeführt werden. 1823 lernt sie den späteren Gatten Wilhelm Hensel kennen, der anschließend für 5 Jahre nach Italien reist. 1829 erst findet die Hochzeit statt, 1830 wird der gemeinsame Sohn Sebastian geboren. 1835 Tod des Vaters, 1838 einziger öffentlicher Auftritt als Pianistin (mit dem g-moll-Konzert des Bruders), der aber nicht der Tatsache ihrer Virtuosität, sondern der Tatsache zu danken ist, dass sie die Tochter eines Bankiers ist… 1840 Freundschaft mit Gounod und Italienreise; 1841 Tod der Mutter, Felix kommt nach Berlin zurück. 1846 erstmals Publikation von Kompositionen bei Schlesinger und Bote, 1847 – während einer Probe zu den Sonntagsmusiken – Tod durch einen Gehirnschlag. "Gott selbst hat uns ja diese Wunde für das übrige Leben geschlagen", schreibt Felix an den Schwager und den Neffen – das übrige Leben währte für ihn selbst keine 6 Monate mehr.

Wie viele Auseinandersetzungen sich hinter diesen Fakten verbergen, kann hier nur anhand einiger wichtiger Zitate kurz umrissen werden – dennoch scheint dieser Hintergrund zum Verständnis des HIOB notwendig, bilden diese Fakten doch die Folie dieser ganz erstaunlichen Musik. Es sind demnach mindestens drei ganz wesentliche Kämpfe, denen sich Fanny beinahe täglich ausgesetzt sah: der als getaufte Jüdin, der als komponierende Frau und jener als Schwester von Felix, dem männlichen Wunderkind.

Von Abraham, dem Vater (Sohn des berühmten Philosophen Moses Mendelssohn, der Lessing zur Ringparabel inspirierte), der von sich selbst gesagt haben soll: "Erst war ich der Sohn meines Vaters und später der Vater meines Sohnes.", ging die Initiative zur Taufe der Kinder im Jahr 1816 aus. Abraham selbst konvertierte 1822, seit diesem Zeitpunkt erst datiert der Beiname Bartholdy. In seinem Buch "Die Mendelssohns, Bilder aus einer deutschen Familie" (Zürich/München 1990) schreibt Eckart Kleßmann: "…jedes Aufsehen provozierte wieder Judenfeindlichkeit, und der Antisemitismus in Preußen war zu jener Zeit groß." Kleßmann weist darauf hin, dass die Vermeidung von Aufsehen einer der Gründe war, warum Abraham Mendelssohn das Talent seiner Tochter, das er zwar erkannte, fördern ließ, hinsichtlich des Komponierens aber bremste. Der 15-jährigen Fanny schreibt er: "Was du mir über dein musikalisches Treiben im Verhältnis zu Felix in einem deiner früheren Briefe geschrieben, war ebenso wohl gedacht als ausgedrückt. Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, niemals Grundbass deines Seins und Tuns werden kann und soll"; und die 23-Jährige erhält die Ermahnung: "Du mußt dich mehr zusammennehmen, mehr sammeln, du mußt dich ernster und emsiger zu deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens, zur Hausfrau bilden." 1829 schreibt Fanny an Karl Klingemann: "Beinahe hätte ich vergessen, Ihnen zu danken, daß Sie erst aus meiner Verlobungskarte geschlossen haben, ich sey ein Weib wie Andre, ich meines Theils war darüber längst im Klaren, ist doch ein Bräutigam auch ein Mann wie Andre. Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf jedem Schritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekömmt, ist ein Punkt, der einen in Wuth, u. somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht dadurch das Uebel ärger würde."

Bruder Felix war mit Fanny von Kindheit an aufs Innigste verbunden. Die beiden hatten Unterricht bei denselben Lehrern – Felix zwar mit dem doppelten Vorteil des Jüngeren und eines Knaben, dennoch spricht Fanny sicher die Wahrheit, wenn sie mit 17 Jahren selbstbewusst formuliert: "Ich habe sein Talent sich Schritt für Schritt entwickeln sehen und selbst gewissermaßen zu seiner Ausbildung beigetragen. Er hat keinen musikalischen Ratgeber als mich…"
Es würde zu kurz greifen, Felix Ignoranz oder Distanz vorzuwerfen, wenn er später in einem Brief an Mutter Lea schreibt: "…zu einer Autorschaft hat Fanny, wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf – dazu ist sie zu sehr eine Frau, wie es recht ist, sorgt für ihr Haus und denkt weder ans Publikum noch an die musikalische Welt, noch sogar an die Musik, außer, wenn jener erste Beruf erfüllt ist." Dennoch ist klar, dass Felix damit die Schwester gründlich missverstand, sind doch von Fanny beide Seiten überliefert – die tiefe Einsamkeit der Unverstandenen ebenso wie die Euphorie über die Anerkennung: "Komponiert habe ich in diesem Winter rein garnichts. Was ist auch daran gelegen, kräht ja doch kein Hahn danach und tanzt niemand nach meiner Pfeife.", schreibt sie 1841. Zwei Jahre zuvor hatte sie von einer glücklichen Italienreise an die Mutter berichtet: "Ich schreibe auch jetzt viel; nichts spornt mich so an als Anerkennung [...] Ich will mir gar nicht verhehlen, dass die Atmosphäre von Bewunderung und Verehrung, von der ich mich hier umgeben sehe, wohl etwas dazu beitragen mag." Nur zögernd, als wenn er der Schwester die wahre Autorenschaft nicht zutraut, die auch mit Kritik, Ablehnung und herben Rückschlägen verbunden sei, erteilt Felix der Schwester den Segen zur Veröffentlichung von 6 Liedern im Jahr 1846. "…möge die Druckerschwärze dir niemals drückend und schwarz erscheinen"… Selbst Mutter Lea täuscht sich in ihrer Tochter, wenn sie dem um Fanny werbenden Wilhelm Hensel den Kontakt verbietet und schreibt: "Fanny ist sehr jung und ohne Leidenschaft … Sie sollen sie durchaus nicht in jene verzehrende Empfindung reißen wollen und sie durch verliebte Briefe in eine Stimmung schrauben, die ihr ganz fremd ist." Fanny – eine Frau ohne Leidenschaft?

Sie setzt sich durch. Zögernd und ständig zweifelnd, aber beharrlich. Sie heiratet den Hofmaler Hensel, widersteht den Ermahnungen des Vaters, geht über die Bedenken des Bruders ihrem Schaffen gegenüber hinweg und kann vielleicht sogar als die eigentliche Schöpferin der Idee der 'Lieder ohne Worte' gelten. Einen sehr interessanten Beitrag zu diesem Thema liefert u.a. Cornelia Bartsch, wenn sie Fannys Werke als Korrespondenzen deutet: Fannys Musik als Spiegel und Schatten der des Bruders – und umgekehrt! Mehrere Zitate lassen die tiefe Ungeduld erspüren, die sie umtrieb, oft gepaart mit einem Anflug von Resignation. "Dass wir Deutsche immer warten! Immer den Moment verpassen! Immer zu spät kommen! Dass man doch aus seiner Zeit, seiner Familie, seinem eigenen Selbst so schwer sich erhebt.", meldet das Tagebuch 1840. Hintergrund war der Wunsch des Ehemanns, von Italien nach Deutschland zurückzukehren, während Fanny weiter in die Welt aufbrechen wollte. Sie gehorchte – einem Mann, den sie zweifellos liebte und verehrte.

Einen tiefen Einblick in ihre Gedankenwelt geben ihre Äußerungen an Felix aus dem Jahr 1835, die sich auf die Auseinandersetzung mit Beethoven und ihre "weichliche Schreibart" beziehen: "Du hast das durchgelebt und durchgeschrieben, und ich bin drin steckengeblieben, aber ohne die Kraft, durch die Weichheit allein bestehen kann und soll. Daher glaube ich auch, hast Du nicht den rechten Punkt über mich getroffen oder ausgesprochen. Es ist nicht sowohl die Schreibart, an der es fehlt, als ein gewisses Lebensprinzip, und diesem Mangel zufolge sterben meine längern Sachen in ihrer Jugend an Altersschwäche, es fehlt mir die Kraft, die Gedanken gehörig festzuhalten, ihnen die nötige Konsistenz zu geben. Daher gelingen mir am besten Lieder, wozu nur allenfalls ein hübscher Einfall ohne viel Kraft der Durchführung gehört."

Hier irrt gottlob selbst Fanny und fast scheint es, sie erliege den Kritiken und Auseinandersetzungen um ihr Komponieren. Die Kantate HIOB aus dem Jahr 1831 kann uns eines Besseren belehren – sie ist ein wundervolles Dokument der kreativen Ungeduld Fannys, ihrer kontrapunktischen Meisterschaft wie ihrer durchaus nicht 'weichlichen' Schreibart. Ganz im Gegenteil ist das Stück im Unterton recht eigentlich bitter und streckenweise geradezu zornig zu nennen. Bisher konnte noch kein direkter Anlass zur Komposition ermittelt werden, es kann daher angenommen werden, Fanny habe die Texte selbst gewählt. Allenfalls die Cholera-Epidemie des Jahres 1831 könnte als äußerer Anstoß gelten – das Thema 'unverständliches und ungerechtfertigtes Leid', das dennoch in neues Vertrauen zu Gott mündet, könnte dennoch ebenso autobiografisch motiviert sein.

Das zumindest legt der Ton des 3-sätzigen Stückes nahe. In akzentuiertem g-moll beginnt Teil 1 und stellt ein Hauptthema vor ("Was ist der Mensch"), das zunächst in Einzelstimmen erklingt. Bei den Worten "daß du ihn groß achtest" werden die Harmonien geradezu bizarr, die Stimmen fallen ineinander. Wenig später zieht das Tempo an – poco piu vivace – und der Text "du suchest ihn täglich heim" gerät zur zornigen Anklage, die zunächst kontrapunktisch aufgefächert erscheint, ehe kompositorisch und dramaturgisch äußerst schlüssig bei "und versuchest ihn alle Stunde" der Chor homophon über einer drängenden Orchesterbegleitung den Höhepunkt des 1. Satzes markiert, dessen anschließende Reprise harmonisch noch kühner ist als die Exposition.
Satz 2 ist ebenfalls dreiteilig, beginnt und endet mit dem Alt ("Warum verbirgest du dein Antlitz") über einer barock anmutenden portato–Begleitung der Streicher. Die übrigen Stimmen kontrapunktieren in der Mitte mit einer aufsteigenden Figur, die die Worte "willst du wider ein fliegend Blatt so eifrig sein" zu illustrieren scheinen.
Satz 3 schließlich beginnt nun erstmals in Dur: "Leben und Wohltat hast du an mir getan" – doch der Schein trügt. Beim Text "so weiß ich doch, daß du des gedenkest" deutet sich bereits Unheil an: das Wort "des" ist harmonisch dissonant als Tritonus gesetzt (interessanterweise auf den Ton cis, die enharmonische Verwechslung von des). Noch einmal findet der Gesamtchor in Dur zusammen, ehe eine wiederum dissonante Fermate unterbricht: "und dein Aufsehn bewahrt meinen Odem" – eben noch in Dur vertont, bricht nun mit einem direkten Zitat des piu vivace aus Satz 1 ("du suchest ihn täglich heim") die zornige Welt des Beginns ein, von der sich die Musik lange nicht erholen kann. "Leben und Wohltat" wird nun in alle erdenklichen harmonischen Abwandlungen und Abweichungen geführt, harmonisch eine lange Zeit chaotische Passage, ehe ein Orgelpunkt die Kräfte doch noch sammelt und die Musik bündig zu Ende geführt wird – vier Takte choralhafte Einigkeit bilden den aufrichtig hoffnungsvollen Schluss eines Werkes, das den Weg des Hiob von anklagendem Zorn zu neuer Glaubensgewissheit in musikalischer Kürze nachzeichnet.

Ein autobiografisches Werk? Ich meine: unbedingt. Ein wichtiges, ein schönes Werk.

23
Sep
2007

demnächst mehr zu: FANNY HENSEL

Fanny-Hensel

(vorerst der Link zur interessanten Website des Furore-Verlages)

„Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf Schritt und Tritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekommt, ist ein Punkt, der einen in Wut und somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht dadurch das Übel ärger würde.“
Alice Schwarzer 1977 in EMMA? – Weit gefehlt: Fanny Hensel 1829 an Carl Klingemann.
Vom 4 Jahre jüngeren Bruder Felix Mendelssohn-Bartholdy respektvoll ‚Cantor‘ oder liebevoll ‚Fenchel‘ genannt, von Vater Abraham auf ihre Rolle als Frau und Mutter festgelegt, zudem in einer latent antisemitischen Atmosphäre in die ständige Auseinandersetzung mit den jüdischen Wurzeln gedrängt… Fanny Hensel, Frau des Hofmalers Wilhelm Hensel, war wohl eine der wundervollsten, stärksten und kreativsten Frauengestalten der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Unzählige Werke entstanden, ohne dass sie jemals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückten. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde dieser dringende Nachholbedarf etwas abgearbeitet – mit den überraschendsten und überzeugendsten Resultaten.
Die Kantate HIOB, erst 2007 in einer Neuausgabe ediert und in Dresden unseres Wissens noch nie erklungen, ist ein nervös-unruhiges, harmonisch kühnes Dokument der kreativen Ungeduld Fannys – klar in der Form, sicher in der Beherrschung der orchestralen Mittel sowie des schwierigen Chorsatzes, möglicherweise sogar ein autobiografisch wichtiges Werk in der Vertonung der anklagenden Worte aus dem Buch Hiob.
Ihrem Konzept der Kontrastierung in den Programmen folgend stellt die Singakademie die etwa viertelstündige Kantate der traditionellen Aufführung des DEUTSCHEN REQUIEMS von Brahms mit der Sächsischen Staatskapelle voran – nicht zuletzt auch ein Vorgriff auf die demnächst geplanten Konzerte mit Mendelssohns ELIAS. Einen in dieser Trias der Werke sehr interessanten Blick auf ein Stück spätromantische Chorsinfonik erhält also, wer am 6.10. 16.30 Uhr in der Lukaskirche Hensels HIOB und Brahms‘ DEUTSCHES REQUIEM sowie am 28.10. 17.00 Uhr in der Kreuzkirche Mendelssohns ELIAS, dann mit dem Orchester der Landesbühnen Sachsen, sich nicht entgehen lässt. Die Solisten sind exquisit: Ute Selbig und Egbert Junghanns konnten für Brahms, Anja Zügner, Marlen Herzog, Falk Hoffmann sowie Kammersänger Prof. Olaf Bär für ELIAS gewonnen werden. Auch für Olaf Bär eine Premiere – er sang das Stück zuletzt im Dresdner Kreuzchor, als Chorsänger im Verein mit dem nunmehrigen Dirigenten beider Aufführungen

Termine 07/08

06.10.07 Lukaskirche Dresden, 16.30 Uhr
Singakademie Dresden, Sächsische Staatskapelle Dresden
Ute Selbig, Egbert Junghanns
Fanny Hensel HIOB
Johannes Brahms Ein deutsches Requiem

09.10.07 Kleines Haus Dresden, 12.00 Uhr und 18.00 Uhr
Semifinale des A.-Rubinstein-Klavierwettbewerbs 2007
Hochschulsinfonieorchester Dresden
10.10.07 Semperoper Dresden, 20.00 Uhr
Finale des A.-Rubinstein-Klavierwettbewerbs 2007
Hochschulsinfonieorchester Dresden
Programm entscheidet sich nach Semifinali
17.10.07 Parksäle Dippoldiswalde, 19.30 Uhr
Konzertwiederholung vom 10.10.07

28.10.07 Kreuzkirche Dresden, 17.00 Uhr
Singakademie Dresden, Orchester der Landesbühnen Sachsen
Anja Zügner, Marlen Herzog, Falk Hoffmann, Olaf Bär
Felix Mendelssohn Bartholdy ELIAS


18.11.07 Semperoper Dresden, 11.00 Uhr
Hochschulsinfonieorchester Dresden
Dieter Schnebel Schubert-Phantasie
Alban Berg Violinkonzert
Johannes Brahms 4. Sinfonie

21.11.07 Hauptkirche Zittau, 17.00 Uhr
ELIAS
25.11.07 St. Ägidien Oschatz, 17 Uhr
ELIAS

18.12.07 Lukaskirche Dresden, 18.30 Uhr
Singakademie Dresden, Sinfonietta Dresden
Eiko Morikawa, Barbara Schmidt-Gaden, Falk Hoffmann,
Andreas Scheibner
M. A. Charpentier In navitatem domini canticum
Lothar Voigtländer MenschenZeit (UA)
J. B. Lully Te deum

19.01.08 Kleines Haus Dresden, 20.00 Uhr
Premiere der Opernklasse der Hochschule für Musik Carl Maria
von Weber Dresden; Inszenierung: Prof. Andreas Baumann
Aufführung in Originalsprache
Giacomo Puccini LA BOHEME

Weitere Termine am 26.01., 28.01., 31.01.,

08.03.08 Parksäle Dippoldiswalde
Singakademie Dresden, Dresdner Kapellsolisten

J. S. Bach Matthäus-Passion
15.03.08 Lukaskirche Dresden
Singakademie Dresden, Dresdner Kapellsolisten
J. S. Bach Matthäus-Passion
16.03.08 Semperoper Dresden, 11.00 Uhr
Hochschulsinfonieorchester Dresden
N.N. Uraufführung
D. Schostakowitsch Cellokonzert Nr. 1
S. Prokofjew Symphonie classique

Weiter in Planung:

Juni 08 Singakademie Dresden, ensemble 1704 Prag
W. A. Mozart IDOMENEO
(konzertante Aufführung auf hist. Instrumenten)
In Zusammenarbeit mit dem Dirigentenforum des Deutschen
Musikrates und dem Festival Mitte Europa

13.07.08 Kreuzkirche Dresden
Singakademie Dresden, Neue Elblandphilharmonie
J. Brahms Nänie
J. Brahms Alt-Rhapsodie
Boris Blacher Der Großinquisitor

August 08 Oper in der Stiftsruine Bad Hersfeld
E. Humperdinck HÄNSEL UND GRETEL
Neuproduktion

31.10.08 Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
Eröffnung des neuen Konzertsaales
Hochschulsinfonieorchester, Hochschulchor
Friedrich Goldmann UA eines Auftragswerkes
Robert Schumann FAUST-Szenen 3. Teil

20
Sep
2007

16
Sep
2007

Rolf Reuter +

Reuter1

Was für ein Charakterkopf - Rolf Reuter ist letzte Woche gestorben.

Rolf wer? Es gehört zur Tragik einer ganzen Generation von fantastischen Dirigenten des ehemaligen Ostblocks, das sie heute keiner mehr kennt. Siegfried Kurz, Rolf Reuter, Herbert Kegel, Heinz Fricke, Robert Hanell, Heinz Rögner, Max Pommer, in Prag Martin Turnowski (der kurze Zeit in Dresden Chef der Staatskapelle war und 68 aus Protest die DDR verließ, zusammen mit dem bekannteren Vaclav Neumann, der damals Gewandhaus-Chef in Leipzig war), die Liste kann fortgesetzt werden. Abseits der großen Medienmaschinen, die in Salzburg, Berlin, Bayreuth, bei der Deutschen Grammophon und anderswo Karrieren prägte, dirigierte im Osten eine Phalanx hochkarätiger Dirigenten, denen der Weg zum ganz großen Durchbruch zwar verwehrt blieb, von deren Arbeit heute jedoch fast ausnahmslos gechwärmt wird: die Abwesenheit der Gefahr, mit den neuen Medien dem schönen Schein zu verfallen, zeitigte eine Art der Interpretation, die zumeist von sauberem Handwerk, interpretatorischer Genauigkeit, künstlerischer Ehrlichkeit - im besten Fall durch Leidenschaft und durchaus nicht selten von Genialität geprägt war.

Reuter war unter den Erwähnten ein Schwergewicht in Sachen Interpretation. Seine Berliner MEISTERSINGER (mit Harry Kupfer und dem berühmten Riesenbaum auf der Bühne) sind mir als feuriger, transparent musizierter Wagner-Abend, die JUDITH von Matthus als beeindruckende Uraufführung in lebhafter Erinnerung! (Zum letzten Mal erlebte ich ihn als Dirigent in Rheinsberg mit einem FALSTAFF von Salieri, wenn ich das recht im Kopf habe.)
Mit großer Strenge verlangte er, die Viertel des letzten Taktes der Einleitung von Mozarts Es-dur-Sinfonie in die Ganzen des Allegros münden zu lassen - klare Grundsätze und eine geistige Durchdringung von großer Dichte prägten seine Vorstellungen.

"Erst kommt der Inhalt" lautete sein Credo, das er uns jungen Leuten in Seminaren mit auf den Weg gab. Ich selbst hatte das Vergnügen, 1988 an einem Kurs in Weimar teilzunehmen. Da ich bereits 4 Jahre als Kapellmeister und teilweise amtierender Chef in Altenburg hinter mir hatte, sah ich mich zwar mit der Tatsache konfrontiert, das Reuter mich fragte "...und was wollen Sie dann hier?" - dennoch, der Profit dieser 14 Tage war erheblich.

Denkwürdig für mich ein privates Mittagessen im Hotel Elefant: ich wollte Reuters Rat wegen der bevorstehenden Übernahme des Chefpostens in Greifswald - damals ein kleines Theater auf der Kippe: langjährige Rekonstruktionsarbeiten und Vakanzen ohne Ende hatten das Ensemble mürbe gemacht. Hilfe war nur zu bekommen, wenn die staatlichen Stellen den Neuanfang auch unterstützten, Wohnungen für junge Absolventen zur Verfügung stellten z.B. Reuter schien mir (damals GMD in der Komischen Oper Berlin und stets ein unbequemer Partner jener Ämter) als Ratgeber der Richtige. "Bestellen Sie mal schon", wies er mich an und setzte, leicht resigniert hinzu: "für mich Spiegeleier, was anderes haben die hier ja nicht." - Reuter war Vegetarier... Der eigentliche Rat Reuters war kurz und bündig: "Gehen Sie zu Frau Ragwitz" - mithin in die Höhle des Löwen: Ragwitz war die Kulturchefin des ZK der SED. Ich schrieb also einen Brief, teilte mein Konzept mit und wurde zu zwei Herren ins ZK geladen - Ragwitz selbst ließ sich entschuldigen, so wichtig war Greifswald nun auch nicht. Sie ließ mir aber beste Wünsche übermitteln, was immerhin hieß: 'machen Sie mal'. Die zwei Herren (nach meiner Erinnerung Müller und Hafrannek oder so ähnlich, der eine zuständig für Theater, der andere für Musik) waren äußerst zuvorkommend, beklagten inständig, daß sie ja so selten von der Basis etwas mitbekämen, lobten mein Bemühen und es wurde allerhand geredet. Irgendwann sagte ich da ziemlich unverblümt: "Machen Sie den Laden in Greifswald dicht oder nicht?" - einigen kleineren Theatern schien dieses Schicksal damals tatsächlich zu drohen, Greifswald gehörte dazu, war außerdem als Universitätsstadt doppelt gefährdet, denn wo renitente Studenten waren, stellte das Theater möglicherweise eine politische Gefahr dar (Jena weiß ein Lied davon zu singen). Da kam von den zwei Herren die recht klare Antwort: "Wo sich etwas tut, haben wir keine Veranlassung, dicht zu machen." Über das ZK ging offenbar eine Note an das Kulturministerium, von dort an die "Direktion Theater und Orchester", die uns mit jungen Absolventen etwas besser als vorher versorgte, die Wohnungsfrage konnten wir vor Ort lösen (auch das durch die Berliner Intervention befördert). Im Dezember 88 kam TITUS heraus, mit FIDELIO wurde 89 das Theater wiedereröffnet... Dazwischen allerhand interessante Konzerte sowie natürlich andere Produktionen.

Das Essen mit den Spiegeleiern ist daran nicht völlig unschuldig...

Zu den Vorwürfen der letzten Zeit gegen Reuter hat Werner Wolf hier Stellung genommen - eine Darstellung, die mir absolut glaubwürdig erscheint.

Die Musikwelt, die ihn erlebt hat, die Schüler, die ihn zum inspirierenden Lehrer hatten, werden ihn als einen der wichtigen, sehr aufrichtigen und ehrlichen Dirigenten, als künstlerisches Schwergewicht in Erinnerung behalten.

10
Sep
2007

neue Mailadresse

für alle Freunde, die ich möglicherweise per Mail nicht erreicht habe:

wegen der Spam-Überfülle habe ich meine Adresse geändert; sie lautet ab sofort wie dieser weblog mit den zwischengeschobenen letzten zwei Ziffern meines Geburtsjahres (3 Jahre vor dem Mauerbau; zwischen Namen und Verb); das Ganze ät Nordpol Gustav Ida Punkt Dora Emil, und alles klein

So, das kann nun hoffentlich jede/r verstehen und trotzdem keine Suchmaske entziffern...

26
Jul
2007

viel unterwegs

Die 6 letzten Vorstellungen von Schnebels MAJAKOWSKIS TOD, Nonos INTOLLERANZA und Terterians BEBEN sowie ein letzter vorangegangener IDOMENEO am Gärtnerplatz in München sind vorbei - und damit meine Tätigkeit für dieses Haus, das nun andere Wege gehen soll und wird: wieder mehr zur Unterhaltung hin, wenn ich das vom Kultusministerium geforderte Konzept des neuen Intendanten richtig verstehe.

Ich wünsche dem Haus Glück - allen Ernstes; kann aber nicht glauben, daß diese Linie über längere Dauer Erfolg haben wird. Im Bemühen um Besonderes, Vielfalt, Ungewohntes, Neues werden viele Fehler gemacht. Die sind nach Kräften gemacht worden - sicher. Aber die vielen Akzente gerade der letzten Zeit bis hin zu phantastischen Aktivitäten mit Jugendlichen (CINDERELLA von P. M. Davis in einer Produktion nur mit GymnasiastInnen) werden in München fehlen. Ob der MANN IM MOND von Bresgen, eine neue LUSTIGE WITWE oder der KÄFIG VOLLER NARREN sie ersetzen können? Ich melde Zweifel an.

DANKE an ein großartiges Publikum, das die letzten Abende mit neuer Musik feierte!

Nun mit den Studenten unterwegs: Dirigierseminar und Konzert in Schneeberg im Erzgebirge (morgen abend) mit Schumann (Genoveva), Bottesini, Mahler (Lieder) und Brahms (2. KK).

Danach in Bad Hersfeld, wo FIGARO neu herauskommt, ab 7. August immer an den ungeraden Tagen (bis 21.8.).

Hier melde ich mich erst im September wieder - um Vergebung.

25
Jun
2007

Arbeitsnotizen zur Missa solemnis

Beethoven-Skizze

Samstag/Sonntag kommender Woche erklingt in Thalbürgl und in Dresden Beethovens Missa solemnis mit dem Philharmonischen Chor Jena, der Singakademie Dresden und der Jenaer Philharmonie (mehr hier).

VON DER LUST DER AUSEINANDERSETZUNG...

...muß hier ein wenig berichtet werden, nicht, um unsere Zuhörer mit Details zu quälen, sondern um davon zu erzählen, wie das Ringen um die Details die Arbeit zur Lust werden lassen kann – spät vielleicht, aber mit Gewißheit.

"Selten hat es einen Menschen gegeben, der so stark und konzentriert wie Ludwig van Beethoven sein Werk als das schöpferische Andere dem allgemeinen Sein gegenübergestellt hätte."

So schreibt der Musikwissenschaftler Martin Geck über den Komponisten der "Missa solemnis", deren Bewältigung jedes Ensemble vor schier unüberwindbare Hindernisse stellt. Sie zu erarbeiten und aufzuführen heißt, Beethovens Intentionen zu folgen – den Menschen durch die enorme Herausforderung seiner Geistigkeit teilhaftig und die Welt dadurch bessern zu helfen!

Das ist auch der Grund, weshalb ich eine Aufführung durch qualifizierte Laienchöre nicht nur für möglich, sondern sogar für notwendig halte! Es ist jene Form existenzieller Auseinandersetzung mit Musik, die durch den Mainstream des Musikgeschäfts, durch das Starren auf die Charts, durch Opern-Galas, Pop-Events aller Art und vieles mehr konterkariert wird. Genau durch diese Art der Musik'ausübung' verlieren wir das Publikum, statt es zu gewinnen. Der Komponist Helmut Lachenmann spricht von der 'Auseinandersetzung mit dem ästhetischen Apparat', die wahre Kunst hervorzubringen imstande ist: auseinandersetzen! – nicht bedienen.

Nun ist im Jahr 2007 eine Aufführung der Missa solemnis beileibe kein revolutionäres Ereignis mehr – für musikalische Laien indes ist es eine Grenzerfahrung. Bis zur letzten Probe muß um die Bewältigung der enormen Schwierigkeiten gerungen werden, jede/r wird an seine stimmlichen und musikalischen Leistungsgrenzen geführt.

Übrigens auch der Dirigent, der sich dem Werk das erste Mal nähert.

Die direkte Auseinandersetzung sieht dann z.B. so aus, wie sie in den Notizen für meine Jenenser Kollegin festgehalten ist – zweifellos keine Konzerteinführung für den gewöhnlichen Zuhörer, dennoch gilt auch hier, daß wir vom oberflächlichen Einerlei zurückfinden sollten zum existenziellen Detail. Deshalb hier einige Auszüge:

Kyrie

- Halbe zwischen 52 – 56, die "Kyrie"-Akkorde konsequent immer in 4
- bitte konsequentes sub. piano; ob ich "ri – e" machen lasse oder "ri – je", da bin ich noch am Experimentieren, letzte Variante war "ri – je" mit einem winzigen dim. nach einem forte angerissenen "ri", besser wäre aber abzusetzen, falls es danach nicht unsauber wird oder zu sehr knallt bei den Sopranen
- Takt 85 poco rit. (in 4 gehen) und dann das Tempo Halbe 88 – 92 vorbereiten
- im Christe bitte absetzen "Chri – ste" (das sind die Hammerschläge der Kreuzigung), dagegen "eleison" molto legato
- beim Wort "eleison" übrigens das i immer im letzten Moment, ggf. die kurze Note vor son
- Takt 209 und alle weiteren punktierten Stellen auch in den anderen Nummern: das sind die Trommeln der franz. Revolution, auch im piano und langsamen Tempo stets den Trommelrhythmus mitmusizieren, im Falle "Kyrie" also auch gut absetzen und nicht legato artikulieren


Gloria

- Viertel 152 oder schneller, ab 43 die piano-Stellen wenn möglich in Ganzen
- generell deutliche sforzati, wobei ein Entspannen nach dem Anreißen wichtiger ist als ein überzogenes fortissimo, um Gottes Willen nicht brüllen lassen
- 74 usw. gute Akzente auf "be – ne – di – ci – mus te"
- 131 etwas ruhiger in Ganzen
- 173 zurück in die 3 und wieder das erste Tempo
- 226 in Ganze wechseln und etwas Tempo nachlassen, um auf ein Verhältnis zu kommen ganzer Takt wird das kommende Viertel, das aber etwas ruhiger ist; also dann etwa Achtel 88 – 92, im Ganzen recht flüssig, so daß in 270 die Fanfaren der Revolution zu hören sind – im Sinne von: Christus sitzend zur Rechten Gottes ist der wahre Richter, nicht das Fallbeil der Jakobiner; ebenso geraten die Figuren 274 etc. zu verhaltenem Trommelwirbel als Hintergrundmusik zu "miserere nobis", das ständige Waffengeklirr der Menschen bleibt die Folie, auf der das "erbarme dich" erklingt
- 310 etwas mehr maestoso als am Anfang, also ca. 138 – 144 die Viertel
- 360 fast dasselbe Tempo, vielleicht etwas gebremst, keinesfalls zu schnell – es muß nach Arbeit klingen!!, noch nicht nach Jubel
- 459 dann etwa Halbe 96; in Abhängigkeit von den Soli
- für das Presto Viertel bleiben Viertel, das wären dann Ganze zwischen 62 – 66, womit der Tempokosmos dieses Stücks in sich stimmig wird – so hoffe ich...
- den Schluß ohne rit.!!

Credo

- meine im Moment noch unsicherste Nummer – ich neigte bisweilen zu Halben, es müssen aber Viertel sein, trotz aller Indizien für die Halben; die Fünfte hat im letzten Satz (Allegro C) Halbe 84 vorgezeichnet, ziehen wir 2 Einheiten für das non troppo ab und zwei bis drei dafür, daß es Kirchenmusik ist, kommen wir auf Halbe 69, das bedeutet Viertel 138 – und irgendwie fühle ich mich dabei am wohlsten
- ab Takt 86 sicher in Halben
- Adagio 124 in Viertel etwa 56; Takt 125 bitte alle Tenöre, nicht der Solist (ich habe die neue Henle-Partitur, die Auszüge und Stimmen sind wohl z.T. noch älteres Material)
- 144 wieder etwas flüssiger, Viertel ca. 72 – 76; 156 werden die Viertel zu Achteln
- Et resurrexit noch nicht zu schnell, eher eine sehr gefaßte Schnelligkeit, Viertel 144
- dann aber Halbe 126 – 132 beim Allegro molto
- 232 "Vi – vos" bitte sehr kurz (Keile im Orchester)
- Allegro ... maestoso wieder wie der Anfang, sogar etwas gehaltener, also eher 126 – 132, da jetzt kleingliedrigere Rhythmen kommen
- 296 "et" immer kurz, bitte keine Viertel halten
- "Et vi – tam ven – tu – ri" bitte immer alle Silben kurz, besonders achtgeben beim "tu", dort neigen alle zur Länge, Tempo etwa Halbe 100, aber eher pointiert langsam empfinden als zu schnell, es könnte gerade in den Kirchen ruhiger werden
- bitte genaue Dynamik, also nie zu schnell zu laut, es geht vieles im piano
- das con moto dann nur etwas rascher, also etwa auf 120 – 126 beschleunigen, alles andere wird undurchsichtig bei dem Nachhall und ist nicht auszuführen, ich strebe eher große Klarheit der Struktur als vordergründige Raserei an
- die Synkopen im Chor auch immer etwas trennen und dadurch plastisch machen
- 410 wieder recht kurz und knapp nehmen
- 432 ohne rit., die Halben werden zum Viertel, es geht in 6 weiter, ab 439 dann in Halben

...

Wir enden an dieser Stelle den Blick auf die interpretatorische Werkbank, die ein Resultat monatelangen Ringens ist und dennoch Werkbank bleibt: indem ich diese Notizen schreibe, hatte ich noch keine Orchesterprobe – alles ist bis hierher nur musikalischer Wille, der die Reibung der Praxis noch vor sich hat. Diese bringt nur zu oft große Überraschungen mit sich: eine unübersehbare Zahl von CD-Aufnahmen zeugt von den Leistungen, Erfolgen und auch vom Scheitern bedeutender Dirigenten. Da gibt es die durchgeistigte und alles in allem überzeugende Version des großen Beethoven-Kenners Michael Gielen, die fulminante von John Eliot Gardiner, der aber überraschenderweise viele der mechanischen Achtelketten der Streicher so breit spielen läßt, daß der 'Arbeitseffekt', das Motorische dieser Figuren gänzlich verschwindet; es gibt den ruppig rasenden Toscanini – in diesem Fall nicht so überzeugend wie in seinen Aufnahmen der Beethovenschen Sinfonien oder des FALSTAFF von Verdi, dennoch ist von ihm immer ein frischer Blick zu erheischen; es gibt den wundervollen David Zinman, transparent und klar im Klang mit dem Tonhalle-Orchester Zürich – während andere Passagen überrschend eilig wirken (Agnus Dei) ...

Auch Momente der völligen Irritation sind inbegriffen – denn das Hineinhören in die Interpretationen der Kollegen kann bestenfalls ein Verorten des eigenen Standpunktes sein und findet bei mir (wenn überhaupt) erst im letzten Stadium der Beschäftigung statt: nach dem Presto 3/4-Takt des ersten Osanna kommt ein als Präludium bezeichneter Überleitungsteil zum Benedictus (12/8-Takt). Diese Musik, noch immer im 3/4 – Metrum ist sostenuto ma non troppo überschrieben, was in etwa bedeutet "ruhig aber nicht zu sehr". Ich war mir völlig klar, daß diese Stelle lediglich eine Duchgangsstation vom Presto zum kommenden 12/8-Takt sein soll (Präludium!) – der alte Organist Beethoven (mit 14 bereits in Bonn tätig) 'erspinnt' eine orgeltypische Überleitung. Es sollte also das Presto etwas beruhigt und weiter in Ganzen musiziert werden. Was macht nun die versammelte interpretatorische Prominenz aus diesen Takten? Ein Stück Mysterium! Statt Ganze werden langsame Viertel zelebriert. Zweifellos gerät die Stelle damit zum harmonischen und instrumentatorischen (tiefe geteilte Streicher!) Juwel – vor dem Hintergrund des nachfolgenden (sehr!) langen Benedictus mit Violinsolo jedoch darf m.E. das Präludium nicht den Charakter eines eigenen lang dauernden Stückes erhalten. Ich bleibe bei flüssigen Ganzen als Überleitung zum nächsten Teil!

Es sind genau diese Details, die – wie unwichtig scheinend vielleicht – den Bogen des Zusammenhalts einer interpretatorischen Konzeption schließen können. Wobei ein kleines PS notwendig ist: keine der Tempo- , dynamischen oder Artikulationsentscheidungen dürfen für sich stehen, im ausdruckslosen Raum des nur Musikalischen. Es gibt keine nur musikalischen Entscheidungen – jede musikalische ist eine Ausdrucksentscheidung, die oben zitierten Notizen deuten es an. Zu beobachten ist im aktuellen Musik-Geschäft leider eine Dominanz des Ausdrucks gegenüber der musikalischen Struktur – heraus kommt falscher Ausdruck, mithin unehrliche Musik. Auf die Balance zwischen Struktur und Emotion käme es an – aus Struktur gerinnt Ausdruck, nicht umgekehrt. Das erwähnte Präludium scheint mir ein klassisches Beispiel zu sein. Gerade im Spannungsfeld des 'Erhabenen' – u.a. auch in Mozarts ZAUBERFLÖTE – schiebt sich recht schnell Pathos und Mystik in den Vordergrund, wo beide zumeist nichts zu suchen haben. Wir haben es mit Musik der Aufklärung zu tun, selbst wenn Beethoven "mit Andacht" o.ä. vorschreibt.

Stark genug sind seine Neuinterpretationen und besonderen Akzente des klassischen Messe-Textes allemal – und stets unpathetisch:

- das rhythmisch auf unbetonter Zeit beginnende "Kyrie" – ein HErr, der die normalen Gewichte der Musik vom ersten Ton an aus den Angeln hebt
- der vom Kyrie an geformte Kontrast zwischen Dreiklang und legato-Linie, der das
gesamte Stück prägend durchzieht, wobei der Dreiklang ("Kyrie") eindeutig semantisch verankert ist, während die Linie sowohl im Kyrie wie auch im Christe dem Wort "eleison" zugeordnet wird
- der in Terzen und Oktaven aufgespaltene Dreiklang als "Christe"-Ruf – die Nagelschläge der Kreuzigung!

- die raketenartig zum Himmel auffahrenden "Gloria"-Tonleitern, die leitmotivisch die Gesamtform des Gloria zusammenbinden
- die oben bereits erwähnten Anklänge an Trommelschläge, -wirbel oder französische Märsche – im Zusammenhang mit der Messevertonung in völlig neuem Licht
- die sensationelle Fuge "in gloria Dei patris", die in sforzato-Ketten justament die Moll-Figur des "eleison" aus dem Christe ins Dur wendet!! und die Masse der Ausführenden inklusive der Soli regelrecht 'arbeiten' läßt, ehe der Presto-Jubel im 3/4-Takt die aufstrebenden Linien des Beginns tempomäßig noch überhöht und zur Apotheose führt, die keinerlei Pathos kennt

- das zweifache "Credo", das einige Apologeten (Gielen) als Besonderheit betonen und als Bekräftigung des Zweiflers Beethoven interpretieren (im Unterschied zu Dahlhaus übrigens, für den eine solche Deutung "ins Leere" geht); auch dieses Motiv hält die Gesamtform des Credo ähnlich der Tonleitern im Gloria zusammen
- das dorisch beginnende "Et incarnatus"
- das atypische "Et resurrexit" – in vielen Messe-Kompositionen groß ausgeführt, hier nur vierstimmig in einem a-cappella-Satz dem "et ascendit in coelum" vorangestellt – wiederum ein 'verdächtiger' Akzent Beethovens: "secundum scripturas" wird zusätzlich mit sforzati versehen, als wenn der Komponist sagen wollte, "auferstanden nach dem Wort der Schrift" – aber es kommt auf viel wichtigere Dinge an...
- das Dreiklang und Linie zum Fugenthema verbindende "Et vitam venturi saeculi amen", das Allegretto beginnt, sich Allegro con moto steigert, im Grave schließlich gipfelt und – völlig überrschend – in einem wundervolle Spiel (im Himmel?) endet: der Chor singt pianissimo die Dreiklänge, während Soli und Instrumente mit Linien auf- und abwärts das "Amen" gleichsam umschlingen – religiöses Pathos? Fehlanzeige

- das zunächst ganz den Soli zugeordnete Sanctus mit zwei unterschiedlichen Osanna-Varianten, aus dem Staunen entstehend – nicht aus der Verherrlichung
- das nun wirklich – das Wort sei gestattet: - 'himmlische' Benedictus: "Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn" – das, was diese Aussage zusammenhält und thematisch führt, ist die Solo-Violine, das Instrument!; die singenden Menschen versuchen lediglich, sich dieser Vision anzunähern, umkreisen die Violine, kontrapunktieren, ergänzen oder spinnen fort... was für eine geniale Idee zur Vertonung dieser Worte

- schließlich das lastend und im seltenen h-moll daherkommende Agnus Dei, das 95 Takte lang Adagio bleibt, ehe es in den 6/8-Takt ("Dona nobis pacem") mündet, innerhalb dessen aber die eigentliche Sensation stattfindet: kriegerische Trompeten und Pauken zerreißen die bis dahin pastoral anmutende Atmosphäre, recitative Passagen der Soli bis hin zum Aufschrei irritieren bei der ersten dieser Unterbrechungen, ein Presto-Strudel fegt beim zweiten Mal durch das Stück und bringt die Musik an den Rand der Katastrophe; und noch kurz vor Schluß sind von fern die pianissimo und harmonisch 'unpassend' (Ton B in D-dur) gesetzten Pauken als bleibende Folie der "pacem, pacem"-Bitte zu hören

Das alles ist so visionär und groß ge- und erdacht, daß jede Qual der Einstudierung nach
der Aufführung vergessen sein wird!

Noch einmal Martin Geck: "Musik will nicht nur singen, tanzen, reden, darstellen,
abbilden, bauen; sie ist vielmehr Inbegriff gestaltender Kraft." Diese zu spüren wird die
Auseinandersetzung mit diesem schweren Werk zur Lust machen.

23
Jun
2007

Uraufführung am Sonntag

Herchet

Er galt mehreren Zeugnissen nach als der Lieblingsschüler von Paul Dessau: Jörg Herchet, der gläubige Mensch aus Weinböhla bei Dresden; der Kommunist aus Zeuthen hat ihn gemocht und gefördert wie andere Unbotmäßige auch. Herchet hat es in der DDR extrem schwer gehabt, seine Stücke - ohnehin als sperrig verschrien - wurden selten gespielt und die Orchester taten sich zusätzlich hart damit. Nach der Wende entspannte sich die Situation etwas. Udo Zimmermann holte die Opern NACHTWACHE und ABRAUM an die Leipziger Oper, aus dem Geheimtipp Herchet wurde ein ostdeutscher Avantgardist, der auch in Darmstadt und Donaueschingen 'vorzeigbar' schien.

Zu spät. Denn der mittlerweile 60-jährige ist weitergegangen und schert sich wenig um avantgardistischen Mainstream. Christfried Brödel, Chef der Dresdner Kirchenmusikschule, hat mit der Meißner Kantorei viele Werke des Zyklus "Das geistliche Jahr" aus der Taufe gehoben, zuletzt die großangelegte PFINGSTKANTATE. Im Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle erklingt nun die "Kantate zum Fest des Apostels Jakobus des Älteren". Die bisherigen Proben versprechen ein intensives und räumliches Klangerleben in vielen Farben und Formen. Sonntag 20 Uhr, Semperoper.
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Weblog des Dirigenten Ekkehard Klemm, Dresden

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